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Pflichtteil am durch den Erblasser gegen Wohn- oder Nießbrauchrecht zu Lebzeiten verschenkten Grundstück

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Ein aktuelles Urteil des OLG München gibt Anlass, auf eine in der Praxis häufige Konstellation näher einzugehen, wonach ein Erblasser zu Lebzeiten ein Grundstück verschenkte, sich aber ein Wohn- oder Nießbrauchrecht vorbehielt (OLG München, Urteil vom 08.07.2022 - 33 U 5525/21).

Dem OLG München lag folgender Kernsachverhalt zur Entscheidung vor:

Der Erblasser verschenkte zu Lebzeiten ein mit einem Bauernhaus bebautes Grundstück und behielt sich das Recht vor, die Räume des Bauernhauses allein weiter bis zu seinem Lebensende zu benutzen und ebenso sonstige Gebäude und Flächen des Grundstückes mitzubenutzen.

§ 2325 Abs. 1 BGB bestimmt, dass der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung seines Pflichtteils den Betrag verlangen kann, um den sich sein Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. § 2325 Abs. 3 BGB bestimmt, dass die Schenkung innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt wird. Sind 10 Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt, sodass der Pflichtteilsberechtigte keinen Pflichtteil an dem verschenkten Gegenstand erhält.

Für diese jahresweise Abschmelzung des Schenkungswertes und den Ausschluss des Pflichtteiles nach 10 Jahren ist also die Frage zu beantworten, wann die gesetzliche 10-Jahres-Frist zu laufen beginnt, wenn der schenkende Erblasser sich die Nutzung des verschenkten Grundstückes vorbehalten hat.

Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass grundsätzlich für den Beginn der 10-Jahres-Frist bei Grundstücksschenkungen der Zeitpunkt der Umschreibung des Grundstückes im Grundbuch auf den Schenkungsempfänger maßgeblich ist. Bei einem vorbehaltenen Nutzungsrecht (Wohnungs- oder Nießbrauchrecht) ist es aber in der Rechtsprechung streitig, inwieweit der Beginn der 10-Jahres-Frist gehemmt ist. Während die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung beim vorbehaltenen Nießbrauch davon ausgeht, dass der Beginn der 10-Jahres-Frist gehemmt ist, weil der Erblasser den Genuss des verschenkten Gegenstandes trotz Eigentumsumschreibung im Grundbuch nicht entbehren muss, ist das beim Wohnungsrecht gemäß § 1093 BGB nur ausnahmsweise der Fall. Dies wird mit dem Unterschied zwischen einem Nießbrauch als umfassendem Nutzungsrecht und dem schwächeren Wohnungsrecht als einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit begründet. Maßgeblich sind in diesen Konstellationen die Umstände des Einzelfalles, insbesondere inwieweit der übergebende Erblasser die Immobilie im Wesentlichen weiter nutzt, wobei allein auf die rechtlich vereinbarte und nicht auch die tatsächliche Nutzung abzustellen ist.

In dem vom OLG München zu entscheidenden Falle begann danach die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB bezüglich des verschenkten Grundstückes nicht mit der Eintragung des Schenkungsempfängers als Eigentümer im Grundbuch zu laufen, vielmehr war die Frist aufgrund des vorbehaltenen Wohnungs- und Mitbenutzungsrechtes bis zum Erbfall gehemmt. Dieses, weil der Erblasser den gesamten Schenkungsgegenstand auch nach Eigentumsverlust weiter nutzen durfte. Das Wohnungsrecht des Erblassers erstreckte sich auf die Räume des aufstehenden Bauernhauses und der Erblasser war berechtigt, diese allein weiter zu nutzen. Weil der Erblasser sich auch ein Mitbenutzungsrecht an den sonstigen Flächen und Gebäuden des Grundstückes vorbehielt, hatte der Beschenkte bzw. Schenkungsempfänger keine Möglichkeit, das Grundstück wirtschaftlich durch Veräußerung oder Verpachtung zu nutzen, sodass eine Situation wie im Falle eines vorbehaltenen Nießbrauchsrechts bestand.

In diesem Ausnahmefall führte also das Wohnungsrecht in Verbindung mit dem Mitbenutzungsrecht an weiteren Flächen dazu, dass entsprechend der Situation bei einem vorbehaltenen Nießbrauch der Fristenlauf des § 2325 Abs. 3 BGB gehemmt wurde. Diese Hemmung führt dazu, dass auch in dem Falle, in dem zum Zeitpunkt des späteren Erbfalles des Erblassers seit der Umschreibung des Eigentums auf den Beschenkten bzw. Schenkungsempfängers mehr als 10 Jahre vergangen sind, diese Schenkung mit ihrem reinen Schenkungswert weiter zu einem sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch des Pflichtteilsberechtigten führt. Weiterhin führt dieses dazu, dass eine jährliche Abschmelzung des Schenkungswertes gemäß § 2325 Abs. 3 BGB nicht erfolgt. Der Pflichtteilsberechtigte erhält seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch also an dem insoweit nicht abgeschmolzenen Schenkungswert der Grundstücksschenkung, wobei sich der Schenkungswert aus dem ungeschmälerten Grundstückswert zum Zeitpunkt des Erbfalles abzüglich des kapitalisierten Wertes von Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht berechnet.

Diese Entscheidung des OLG München verdeutlicht, dass nicht selten eine lebzeitige Grundstücksübertragung gegen Nutzungsvorbehalte einen Pflichtteil nicht mindert und damit derartige Grundstücksschenkungen nicht den häufig angestrebten Erfolg herbeiführen, einen zukünftigen Pflichtteilsanspruch durch eine lebzeitige Schenkung zu mindern bzw. auszuschließen.

Will also ein Erblasser einen zukünftigen Pflichtteilsanspruch im Sinne seiner zukünftigen Erben reduzieren und deshalb zu Lebzeiten z. B. ein Grundstück verschenken und sich in diesem Zusammenhang Nutzungsrechte an dem Grundstück vorbehalten, ist unbedingt eine fachanwaltliche Beratung notwendig, damit der Erblasser seine Regelungsziele auch erreicht.


[Detailinformationen: RA Arno Wolf, Fachanwalt für Erbrecht, Tätigkeitsschwerpunkt Immobilienrecht, Telefon 0351 80718-80, wolf@dresdner-fachanwaelte.de


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Foto(s): Hans auf Pixabay

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