PoliScan Speed – das unbesiegbare Messgerät - über jeden Zweifel erhaben

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Vielen Gerichten stößt es auf, dass so manche Ordnungswidrigkeit härter verteidigt wird, als deutlich schwerer wiegende Straftaten. Da aber die Vorschriften der StPO, soweit nicht im OWiG etwas anderes geregelt ist, ohne Ausnahme auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren gelten, ist es also der erkennbare Wille des Gesetzgebers, dass dem Betroffenen im Ordnungswidrigkeitenverfahren die gleichen Rechte zustehen, wie dem Beschuldigten im Strafverfahren.

Der Betroffene ist zwingend gehalten, seine Angriffe in erster Instanz, mithin bei den Amtsgerichten anzubringen, da er in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle nur hier eine Chance hat, mit seinem Ansinnen gehört zu werden, ist doch eine Rechtsbeschwerde oft schon aus Gründen der Zulassung ausgeschlossen.

Vor allem in den Fällen, in denen höchstens Zulassung zur Rechtsbeschwerde beantragt werden kann, kann und wird eine Änderung der Rechtsprechung nur erfolgen, wenn die Amtsgerichte den Anfang machen und – im Falle der Zulassung, wenn die Obergerichte aufgrund divergierender amtsgerichtlicher Entscheidungen die Möglichkeit haben, von ihrer bisherigen Linie abzuweichen/diese zu überdenken.

Jüngst hielt das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18) fest:

Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zählt das Recht auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfGE 26, BVERFGE Jahr 26 Seite 66 [BVERFGE Jahr 26 71] = NJW 1969, NJW Jahr 1969 Seite 1423). Es erschöpft sich nicht in der Selbstbeschränkung staatlicher Mittel gegenüber den beschränkten Möglichkeiten des Einzelnen, die sich in der Verpflichtung niederschlägt, dass staatliche Organe korrekt und fair zu verfahren haben (vgl. BVerfGE 38, BVERFGE Jahr 38 Seite 105 [BVERFGE Jahr 38 111] = NJW 1975, NJW Jahr 1975 Seite 103). Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens und daran anknüpfender Verfahren gewährleistet es dem Betroffenen, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbstständig wahrzunehmen und Übergriffe der im vorstehenden Sinn rechtsstaatlich begrenzten Rechtsausübung staatlicher Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können. Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist durch das Verlangen nach verfahrensrechtlicher „Waffengleichheit“ von Ankläger und Beschuldigtem gekennzeichnet und dient damit in besonderem Maße dem Schutz des Beschuldigten, für den bis zur Verurteilung die Vermutung seiner Unschuld streitet (vgl. BVerfGE 38, BVERFGE Jahr 38 Seite 105 [BVERFGE Jahr 38 111] = NJW 1975, NJW Jahr 1975 Seite 103).

Dabei enthält das Recht auf ein faires Verfahren keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht – auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte – ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben worden ist (vgl. BVerfGE 57, BVERFGE Jahr 57 Seite 250 [BVERFGE Jahr 57 275 f.] = NJW 1981, NJW Jahr 1981 Seite 1719; BVerfGE 63, BVERFGE Jahr 63 Seite 45 [BVERFGE Jahr 63 61] = NJW 1983, NJW Jahr 1983 Seite 1043; BVerfGE 64, BVERFGE Jahr 64 Seite 135 [BVERFGE Jahr 64 145 f.] = NJW 1983, NJW Jahr 1983 Seite 2762; BVerfGE 70, BVERFGE Jahr 70 Seite 297 [BVERFGE Jahr 70 308 f.] = NJW 1986, NJW Jahr 1986 Seite 767; BVerfGE 86, BVERFGE Jahr 86 Seite 288 [BVERFGE Jahr 86 317 f.] = NJW 1992, NJW Jahr 1992 Seite 2947; BVerfGE 122, BVERFGE Jahr 122 Seite 248 [BVERFGE Jahr 122 272] = NJW 2009, NJW Jahr 2009 Seite 1469).

Im Rechtsstaat darf der Betroffene nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein; ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 65, BVERFGE Jahr 65 Seite 171 [BVERFGE Jahr 65 174 f.] = NJW 1984, NJW Jahr 1984 Seite 113; BVerfGE 66, BVERFGE Jahr 66 Seite 313 [BVERFGE Jahr 66 318] = NJW 1984, NJW Jahr 1984 Seite 2403; BVerfGE 133, BVERFGE Jahr 133 Seite 168 [BVERFGE Jahr 133 200] = NJW 2013, NJW Jahr 2013 Seite 1058). Dabei wendet sich das Gebot zur fairen Verfahrensgestaltung nicht nur an die Gerichte, sondern ist auch von allen anderen staatlichen Organen zu beachten, die auf den Gang eines Strafverfahrens Einfluss nehmen, demgemäß auch von der Exekutive, soweit sie sich rechtlich gehalten sieht, bestimmte Beweismittel nicht freizugeben (vgl. BVerfGE 57, BVERFGE Jahr 57 Seite 250 [BVERFGE Jahr 57 283] = NJW 1981, NJW Jahr 1981 Seite 1719).

Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau auf das Verfahrensrecht sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Rechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, BVERFGE Jahr 47 Seite 239 [BVERFGE Jahr 47 250] = NJW 1978, NJW Jahr 1978 Seite 1149; BVerfGE 80, BVERFGE Jahr 80 Seite 367 [BVERFGE Jahr 80 375] = NJW 1990, NJW Jahr 1990 Seite 563; BVerfGE 122, BVERFGE Jahr 122 Seite 248 [BVERFGE Jahr 122 272] = NJW 2009, NJW Jahr 2009 Seite 1469; BVerfGE 133, BVERFGE Jahr 133 Seite 168 [BVERFGE Jahr 133 200 f.] = NJW 2013, NJW Jahr 2013 Seite 1058). Verfahrensgestaltungen, die den Erfordernissen einer wirksamen Rechtspflege dienen, verletzen daher nicht schon dann den Anspruch auf ein faires Verfahren, wenn verfahrensrechtliche Positionen des Betroffenen dabei eine Zurücksetzung zugunsten einer wirksamen Rechtspflege erfahren (vgl. BVerfGE 122, BVERFGE Jahr 122 Seite 248 [BVERFGE Jahr 122 273] = NJW 2009, NJW Jahr 2009 Seite 1469; BVerfGE 133, BVERFGE Jahr 133 Seite 168 [BVERFGE Jahr 133 201] = NJW 2013, NJW Jahr 2013 Seite 1058).

Die Entscheidung erging zu einem Messgerät, dass tatsächlich sogenannte Romessdaten speichert. Der Jubel der Verteidiger bundesweit blieb demnach zu Recht aus, denn das Messgerät PoliScan Speed und die meisten der eingesetzten Messgeräte speichern keine Rohmessdaten. Allenfalls je nach Gerät und je nach Version unvollständige/bruchstückhafte Messdaten.

Die Folge ist relativ einfach: Weder der Betroffene, noch das Gericht, noch sonst irgendjemand hat auch nur theoretisch die Möglichkeit, die Richtigkeit der Messung und des darauf aufbauenden Vorwurfs zu überprüfen.

Mit der vorstehend zitierten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass verfahrensrechtliche Positionen des Betroffenen eine Zurücksetzung erfahren dürfen, wenn dies zugunsten einer wirksamen Rechtspflege erforderlich ist. Betreffend der Speicherung oder Löschung der Rohmessdaten greift dieses Argument ersichtlich nicht. Es ist kein auch nur im Ansatz plausibler und überzeugender Grund ersichtlich, warum einzig und allein im Verfahren um Geschwindigkeitsmessungen die Daten und damit das einzige überprüfbare Beweismittel vernichtet werden müssten. Mehr als der Speicherung und auf Antrag der Herausgabe bedürfte es nicht.

Das Gericht ist auf Basis des standardisierten Messverfahrens in der bequemen Position die Richtigkeit der Messung nicht überprüfen zu müssen, sofern nicht von Seiten des Betroffenen konkrete Anhaltspunkte für Fehler der Messung vorgetragen werden. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch beispielsweise das OLG Jena (Beschl. v. 17.03.2021 – 1 OLG 331 SsBs 23/20) haben erkannt, dass der Betroffene diese Möglichkeit in der Regel nur dann hat, wenn ihm bestimmte Unterlagen zur Überprüfung der Richtigkeit der Messung überhaupt nur zur Verfügung stehen.

Handelt es sich dann noch um das Messgerät PoliScan Speed, so werden die rechtsstaatlichen Grundsätze zulasten des Betroffenen ad absurdum geführt. Vereinfacht gesagt führt die Bedienungsanleitung aus, dass das Messgerät bei jeder fehlerhaften Anwendung, bei jedem fehlerhaften Aufbau und bei jeder fehlerhaften Erfassung von Messdaten selbstständig eine Annullierung der Messung durchführe, weshalb im Umkehrschluss jede tatsächlich durchgeführte Messung zutreffend sei.

Auf Basis dieser Ausführungen in der Bedienungsanleitung wird beispielsweise ein Aufbau entgegen der Bedienungsanleitung hinsichtlich von Hindernissen im Messbereich als für die Entscheidung unerheblich zurückgewiesen, da das Messgerät schließlich ein Messergebnis ausgeworfen hat. Mit anderen Worten standardisiertes Messverfahren auch dann, wenn alles falsch gemacht wird.

Das Messgerät ist quasi über jeden Zweifel erhaben. Für den Betroffenen ist es unmöglich den Beweis des Gegenteils auch nur anzutreten. Diese Unantastbarkeit eines technischen Geräts, dass bereits nach gesundem Menschenverstand und jeder Lebenserfahrung einem Fehler zugänglich sein muss, verstößt gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren.

Dass die Messgeräte entgegen einer Zulassung der PTB und entgegen der Behauptung der Hersteller, was an sich trivial sein müsste, Fehler machen können, wird jüngst erst wieder deutlich, nachdem es eine Vielzahl engagierter Sachverständiger geschafft haben darzulegen, dass das Messgerät Leivtec XV 3 sehr wohl fehlerhafte Messungen auswirft.

Solange nicht wenigstens in der Theorie die Überprüfung des Messergebnisses möglich ist, unterliegt daher meiner Meinung nach das Messergebnis wegen einer vorsätzlichen und planmäßigen Beweisvereitelung einem Beweisverwertungsverbot.


Was können Betroffene machen? Wehren Sie sich. Steter Tropfen hölt den Stein.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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