Rechtsfragen rund um Corona

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Rechtsfragen rund um Corona

Was können eigentlich Juristen in diesen schwierigen Zeiten Sinnvolles tun?

Bei Ärzten und Pflegekräften ist es klar: Sie retten Leben. Journalisten leisten ihren Beitrag, indem sie uns über die jeweils aktuelle Situation zeitnah und – hoffentlich – sachgerecht informieren. Und unsere Lieblingsinfluencer unterhalten uns zumindest weiterhin in gewohnter Manier mit Einblicken in ihr Privatleben. Aber welchen (sinnvollen) Beitrag leisten wir als Juristen?

Ich würde sagen: Juristen wirken daran mit, dass sinnvolle rechtliche Regelungen gefunden und durchgesetzt werden, um die durch die Corona-Krise (Pandemie) verursachten Lasten angemessen unter den Menschen zu verteilen.

Sehen wir uns doch einmal – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die unterschiedlichen Rechtsgebiete an und die Rechtsfragen, die Corona hier jeweils aufwirft:

1. Arbeitsrecht

Etwa das Arbeitsrecht, wo man Lösungen finden muss, wer in welchem Umfang die Nachteile von Arbeitsausfällen trägt (Risikobetrachtung).

a) Darf der Arbeitnehmer aus Angst vor Ansteckung zuhause bleiben, auch wenn der Arbeitgeber kein Homeoffice anbietet?

aa) Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, von zuhause aus zu arbeiten. Einen generellen Anspruch auf Homeoffice gibt es also nicht. Anders kann es sein, wenn es dazu eine Betriebsvereinbarung gibt. Ggf. kann sich auch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ein Anspruch ergeben. 

Viele (vernünftige) Arbeitgeber ermöglichen ihren Arbeitnehmern aber trotzdem (freiwillig), von zuhause aus zu arbeiten. Das sollte man als Arbeitnehmer anerkennen. 

Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer sollten sich zudem Gedanken zum Datenschutz/Schutz von Betriebsgeheimnissen im Homeoffice machen.

bb) Eine unspezifische Angst vor Ansteckung rechtfertigt kein Fernbleiben von der Arbeit. Voraussetzung wäre vielmehr, dass dem Arbeitnehmer die Erbringung seiner Arbeitsleistung „nicht zugemutet“ werden kann. Dann hat er ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Absatz 3 BGB. Das wird von den konkreten Umständen abhängen. 

Der Arbeitgeber muss jedenfalls einen sicheren Arbeitsplatz zur Verfügung stellen. Ob das bei fortschreitender Infektionswelle für ein (volles) Großraumbüro mit geringen Abständen zwischen den einzelnen Arbeitsbereichen noch anzunehmen ist, wird man bezweifeln können. 

b) Soll der Arbeitnehmer weiterhin sein volles Gehalt bekommen, obwohl ihm der Arbeitgeber keine Arbeit zuweisen kann, weil er – Corona-bedingt – keine Aufträge mehr hat? 

Zunächst einmal: Wer krank ist, muss nicht zur Arbeit, sondern erhält Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Wer infiziert ist, ist krank und darf/muss zuhause bleiben.

Kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht beschäftigen, muss er ihm trotzdem das (volle) Gehalt weiterbezahlen; denn das sog. Betriebsrisiko (Unternehmerrisiko) trägt grundsätzlich der Arbeitgeber, bis hin zum Insolvenzrisiko. Allerdings kann der Arbeitgeber auf einen Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeiten letztendlich mit einer betriebsbedingten Kündigung reagieren. 

Steht der Arbeitnehmer unter Quarantäne, kann ein Entgeltfortzahlungsanspruch aus § 616 BGB oder ein Entschädigungsanspruch gemäß § 56 des Infektionsschutzgesetzes bestehen.

c) Darf dem Arbeitnehmer, der wegen Corona keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen will und deshalb nicht zur Arbeit kommt, gekündigt werden? 

In Betracht kämen eine verhaltensbedingte Kündigung nach einer entsprechenden Abmahnung. Vom Grundsatz her ist es nämlich Sache des Arbeitnehmers, wie er es schafft, zur Arbeit zu kommen; denn er trägt das so genannte Wegerisiko.

Der Arbeitnehmer begeht also eine Pflichtverletzung, wenn er – ohne Absprache mit dem Arbeitgeber – der Arbeit fernbleibt. Etwas anderes sollte meines Erachtens gelten, wenn der Arbeitnehmer eine erhebliche Vorerkrankung aufweist, sodass eine Ansteckung für ihn lebensgefährlich sein kann.

2. Mietrecht

Oder im Mietrecht, wo man überlegen muss, ob die eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten von Ladenlokalen dem Mieter möglicherweise das Recht geben, die Miete zu mindern (Stichwort: Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB).

Konkret: Muss die Boutique in der Münchner Fußgängerzone nach wie vor die volle Miete zahlen, obwohl sie wegen Corona mehrere Wochen oder vielleicht sogar Monate keine Umsätze erzielt? Oder ist es nicht eher sachgerecht, auch den Vermieter in angemessener Weise an diesen Mietausfällen zu beteiligen?

Nach derzeitiger Rechtslage gibt die eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit kein Recht zur Mietminderung. Die Gerichte wenden § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) sehr restriktiv an. Das sog. Verwendungsrisiko trägt der Mieter. Es liegt also im Risikobereich des Mieters, ob er die Mieträume nutzen kann oder nicht.

Nach meiner Rechtsmeinung kann das aber nicht unbeschränkt gelten. Wenn Geschäfte aufgrund behördlicher Anordnung für, sagen wir, mehr als 6 Monate geschlossen bleiben müssen, kommen wir schon in einen Bereich, wo man über eine Störung der Geschäftsgrundlage und eine Mietanpassung nachdenken muss. 

Dabei wird man aber auch berücksichtigen müssen, dass manche Vermieter einen Kredit aufnehmen mussten, um das Mietobjekt zu erwerben, zu errichten oder umzubauen. Und so mancher Darlehensvertrag enthält die Regelung, dass der gesamte Betrag sofort in einer Summe zur Rückzahlung fällig ist, wenn der Darlehensnehmer mit der Rückzahlung auch nur einer Rate in Verzug gerät. 

Update: Aufgrund einer gesetzlichen Neuregelung sind die Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters jetzt eingeschränkt, wenn der Mieter wegen Corona in Mietrückstand gerät (siehe dazu Art. 5 § 2 des COVID-19-Gesetzes vom 27.3.2020). Leider wird diese Neuregelung gerade von Großunternehmen ausgenutzt, die es eigentlich nicht nötig hätten.

3. Gesellschaftsrecht

a) Wie wirken sich Ausgangsbeschränkungen auf Gesellschafterversammlungen aus?

Ausgangsbeschränkungen gelten grundsätzlich auch für Gesellschafterversammlungen. Allerdings dürfte die Verwaltung einer GmbH unter den Ausnahmetatbestand der „Arbeit“ fallen. Dennoch empfiehlt es sich natürlich, solche Versammlungen derzeit „unter Verzicht auf die Anforderungen nach Gesetz und Satzung“ einvernehmlich per Videokonferenz oder telefonisch abzuhalten.

Update: Gemäß Art. 2 § 2 COVID-19-G können Beschlüsse der Gesellschafter einer GmbH auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen gefasst werden. Für Aktiengesellschaften sieht Art. 2 § 1 dieses Gesetzes sehr detaillierte Regelungen über die Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung vor.

b) Sind Gesellschafter, etwa im Hinblick auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, verpflichtet, die Liquidität der Gesellschaft durch Nachschüsse aus ihrem Privatvermögen aufrechtzuerhalten? Wenn ja, in welchem Umfang bzw. bis zu welcher Grenze?

Grundsätzlich besteht keine Nachschusspflicht, sofern die Satzung eine solche nicht anordnet. Eine Nachschusspflicht widerspräche dem Grundsatz der Haftungsbeschränkung (Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen).

Meines Erachtens ist hier aber das letzte Wort noch nicht gesprochen. Zumindest in Ausnahmefällen halte ich – aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht – eine Verpflichtung der Gesellschafter zur vorübergehenden Liquiditätsstärkung der GmbH durchaus für denkbar. Die staatlichen Zuschüsse sehen ja regelmäßig auch vor, dass der Antragsteller zunächst sein Privatvermögen einsetzen muss, bevor er auf Kosten der Allgemeinheit staatliche Hilfen erhält.

c) Gelten die strengen Regelungen zur Insolvenzantragspflicht, die den Geschäftsführer einer GmbH treffen, uneingeschränkt auch in Zeiten von Corona?

Das BMJV bereitet gerade eine gesetzliche Regelung zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vor, um Unternehmen zu schützen, die infolge der Corona-Pandemie in eine finanzielle Schieflage geraten. Update: Das Gesetz ist zwischenzeitlich in Kraft getreten. Danach wird die Insolvenzantragspflicht bis zum 30.9.2020 ausgesetzt, wenn die Insolvenzreife auf die Folgen der Covid-19-Pandemie zurückzuführen ist (Art. 1 § 1 COVID-19-G).

4. Handelsrecht

a) Wie wirkt sich Corona auf vertragliche Leistungspflichten aus? Muss der Werkunternehmer oder Dienstleister auch dann fristgerecht und vollständig leisten, wenn ihm Corona-bedingt keine Mitarbeiter zur Verfügung stehen?

Vom Grundsatz her trägt der Lieferant das so genannte Beschaffungsrisiko. Das heißt, es ist seine Sache, wie es ihm gelingt, an die Ware zu kommen, deren Lieferung er seinem Kunden versprochen hat. Er trägt das Risiko, ob ihm also beispielsweise die für die eigene Produktion dringend benötigten Teile aus China rechtzeitig geliefert wurden. Allerdings wird gerade im kaufmännischen Geschäftsverkehr häufig in AGB von diesem Grundsatz abgewichen (Vorbehalt der Selbstbelieferung). 

Da wird man sich also den jeweiligen Vertrag im Einzelnen genauer ansehen müssen. Wurde für eine Leistung eine „Garantie“ übernommen – dann haftet man auch bei Corona. Wer dagegen nur die üblichen Anstrengungen schuldet, wird sich ggf. auf höhere Gewalt berufen können.

b) Gelten in diesem Fall auch die gesetzlichen oder vertraglichen Regelungen für Schadensersatz oder Vertragsstrafen?

Verzug, Schadensersatz und Vertragsstrafen setzen in der Regel Verschulden voraus. Davon ist bei Corona nicht auszugehen. Keiner der Vertragspartner trägt die „Schuld“ an Corona.

5. Fazit

Es wird die Aufgabe der Juristen in Gesetzgebung, Rechtsprechung und in der Anwaltschaft sein, sachgerechte Lösungen zu finden und dann auch in der Praxis durchzusetzen. Manchmal, ja sogar häufig, wird man auf bewährte bestehende Regelungen zurückgreifen können. Manchmal aber wird man auch neue Wege gehen und bestehende Regelungen anpassen müssen.

Und mehr als einmal, denke ich, werden wir Neuland betreten, für das wir erst noch die passenden Regeln schaffen müssen.

Dr. Wolfgang Gottwald

Rechtsanwalt



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