Rürup-Rente: Schadenersatzanspruch gegen Versicherer, faktische Kapitalisierung trotz gesetzlicher Sperrwirkung

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Nach einer neuen Entscheidung des OLG Karlsruhe (Urteil vom 07.12.2021 – 9 U 97/19) können Rürup-Renten kapitalisiert werden. Eigentlich ist eine Kapitalisierung gesetzlich ausgeschlossen. Über den Weg eines Schadenersatzanspruches gegen den Versicherer läßt sich aber wirtschaftlich das gleiche Ergebnis wie bei einer Kapitalisierung erreichen.

Das OLG hat einen Schadenersatzanspruch wegen Beratungspflichtverletzung in einer Fallkonstellation bejaht, die nicht die Ausnahme, sondern die Regel abbilden dürfte.

Der Versicherungsvermittler – und mit ihm gesamtschuldnerisch der Versicherer – haftet, wenn er den Versicherungsnehmer bei Abschluss des Vertrages nicht über die Unterschiede der Rürup-Rente zu einem „normalen“ privaten Rentenversicherungsvertrag aufklärt  (§§ 6 I, V, 61 I, 62 I, 63 VVG). Eine solche Aufklärung erfolgt nach meiner Erfahrung in der Regel nicht.

Verfügung über Lebens- und Rentenversicherung

Über eine „normale“ Lebens- oder Rentenversicherungsvertrag darf man im rechtlichen Rahmen frei verfügen: Kündigung und Kapitalisierung sind genauso möglich wie Beleihung, Übertrag und Auszahlung (vgl. §§ 168 ff. VVG)

Sperrwirkung der Rürup-Rente 

Die Rürup-Rente unterliegt einer gesetzlichen Sperre.

Diese auch „Basisrente“ genannte Spezialform der Rentenversicherung wurde 2005 eingeführt und bietet eine steuerlich geförderte Altersvorsorge. Beiträge können im gesetzlichen Rahmen in Höhe von maximal 20.000 EUR p. a. (Verheiratete 40.000 EUR p. a.) gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 lit. b, Abs. 3 EStG als Sonderausgaben steuerlich geltend gemacht werden.

Was viele Verbraucher nicht wissen: Als geförderte Altersversorgung ist die Rürup-Rente bis zum Versicherungsfall – also etwa Erreichen der Altersgrenze für den Rentenbezug - gesperrt. Die Ansprüche aus dem Vertrag sind nach den gesetzlichen Vorgaben

  • nicht kapitalisierbar,
  • nicht beleihbar,
  • nicht übertragbar,
  • nicht vererblich,
  • nicht veräußerbar und
  • es darf darüber hinaus kein Anspruch auf Auszahlungen bestehen.

Das heißt: Bis zum Renteneintritt kommt man an das Geld nicht mehr heran.

Beratungspflicht des Versicherers

Auf diese Besonderheiten hätte der Versicherer (bzw. der Versicherungsvermittler) ausdrücklich bei einer Beratung vor Abgabe der Vertragserklärung durch den Versicherungsnehmer hinweisen müssen. 

Für den  41-Jährigen Kläger, so das OLG, sei eine Rürup-Rente wegen der fehlenden Flexibilität kein geeignetes Produkt. Liege keine ordnungsgemäße Beratungsdokumentation im Sinne von § 61 I 2 VVG vor, müsse der  Versicherer bzw. dessen Versicherungsvertreter bei einer Schadensersatzklage des Versicherungsnehmers den Inhalt der von ihm behaupteten Beratung beweisen.

Legt der Versicherungsvertreter im Rechtsstreit eine schriftliche Beratungsdokumentation vor, muss er im Streitfall nachweisen, dass der Versicherungsnehmer diese Dokumentation vor Abschluss des Vertrags erhalten hat (§ 62 I VVG).

Schließlich hat das OLG entschieden, dass der Versicherer im Rahmen von § 6 I,  V VVG für Beratungsfehler des Versicherungsvermittlers gemeinsam mit diesem als Gesamtschuldner haftet.

Bei der Vermittlung einer Rürup-Rente, so das OLG, muss der Versicherer selbst oder über einen Vermittler den Versicherungsnehmer darüber aufklären, dass bei einem solchen Vertrag – anders als bei den meisten anderen privaten Rentenversicherungsverträgen – eine vorzeitige Auszahlung aus dem angesammelten Kapital nicht möglich ist.

Unterbleibt die Aufklärung, schuldet der Versicherer Schadenersatz. Er muss den Versicherungsnehmer so stellen, als hätte er diesen richtig beraten. Der Vertrag wäre dann nicht abgeschlossen, die Prämien nicht in den Vertrag eingezahlt und bis zum Rentenbeginn eingefroren worden.

Das OLG begründet die gesamtschuldnerische Haftung des Versicherers und des Versicherungsvermittlers wie folgt(OLG Karlsruhe (Urteil vom 07.12.2021 – 9 U 97/19):

„Der Bekl. Nr. 2 hat in zweifacher Hinsicht seine Beratungspflicht gegenüber dem Kl. verletzt.

Ein Hinweis in der Beratung, dass beim Vertrag über eine Rürup-Rente vor dem vereinbarten Rentenbeginn keine Möglichkeit bestand, eine vorzeitige Auszahlung des angesparten Kapitals zu erhalten, war wesentlich und erforderlich. Es handelt sich dabei um eine grundlegende Information, über welche der Versicherer bzw. der Versicherungsvertreter den Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrags aufklären muss. Es geht um eine Besonderheit der gesetzlichen Regelungen für die Rürup-Rente, die mit bestimmten Steuervorteilen zusammenhängt. Die Rürup-Rente unterscheidet sich in diesem Punkt von den meisten privaten Rentenverträgen, bei denen in der Regel vorzeitige Auszahlungen möglich sind. Wer sich für eine Rürup-Rente entschließt, hat für die Zukunft hingegen keine Flexibilität hinsichtlich des eingezahlten Kapitals, welches bis zum Rentenbeginn gebunden bleibt. (Vgl. zu Beratungsfehlern bei Vermittlung einer Rürup-Rente OLG Saarbrücken VersR 2015, 1248 = BeckRS 2015, 7787; OLG Brandenburg 18.9.2018 – 3 U 88/17, BeckRS 2018, 33158; vgl. zur Besonderheit des Ausschlusses einer vorzeitigen Vertragsbeendigung bei der Rürup-Rente auch BGH VersR 2016, 241 = BeckRS 2015, 20933.)

Der Bekl. Nr. 2 hat den Nachweis nicht geführt, dass er den Kl. auf den Ausschluss einer vorzeitigen Rückzahlung des Kapitals hingewiesen hat. Die Eintragung in der vorgelegten Beratungsdokumentation ist unbehelflich, da diese den Anforderungen gem. § 62 I VVG nicht entspricht (s. oben).

Dem Bekl. Nr. 2 fällt eine weitere Pflichtverletzung zur Last. Er hat dem Kl. den Abschluss einer Rürup-Rente empfohlen. Dies war fehlerhaft, da die Ring-Basis-Rente kein geeignetes Produkt für den Kl.war. Unter den gegebenen Umständen war die Empfehlung einer Rürup-Rente für den Kl. ungeeignet und daher für den Bekl. Nr. 2 pflichtwidrig.

Die Beratungsfehler des Bekl. Nr. 2 führen zu einer Beweislastumkehr bei der Frage der Kausalität. Es ist zu vermuten, dass sich der Kl. bei korrekter Beratung gegen eine Rürup-Rente entschieden hätte (vgl. zur Beweislastumkehr bei der Kausalität Prölss/Martin/Dörner VVG § 63 Rn. 17). Es ist plausibel, dass der Kl. in seiner damaligen wirtschaftlichen Situation sich gegen eine Rürup-Rente entschieden hätte bei einem Hinweis des Bekl. Nr. 2 auf den Ausschluss einer vorzeitigen Auszahlung. Außerdem ist anzunehmen, dass er den Vertrag ohne die fehlerhafte Empfehlung des Bekl. Nr. 2 nicht abgeschlossen hätte.

Dem Kl. ist ein Schaden in Höhe der gezahlten Beiträge entstanden. Ohne Abschluss des Vertrags hätte er diese Beiträge nicht an die Bekl. Nr. 1 gezahlt. Es wurden unstreitig Beiträge iHv insgesamt 11.600 EUR gezahlt.

Auch die Bekl. Nr. 1 haftet auf Schadensersatz iHv 11.600 EUR. Die Schadensersatzverpflichtung der Bekl. Nr. 1 ergibt sich aus § 6 I , V VVG.

Die Bekl. Nr. 1 haftet als Versicherer für Pflichtverletzungen des von ihr eingesetzten Versicherungsvertreters gem. § 278 BGB (vgl. Prölss/Martin/Rudy VVG § 6 Rn. 58). Die Beratungspflichten der Bekl. Nr. 1 gem. § 6 I VVG entsprechen den Pflichten des Versicherungsvertreters gem. § 61 I VVG. Aus den Pflichtverletzungen des Bekl. Nr. 2 ergibt sich daher unmittelbar die Haftung der Bekl. Nr. 1 gem. § 6 I, V VVG.

Die Bekl. haften hinsichtlich der Hauptforderung und hinsichtlich der Nebenforderungen, soweit sich diese bei beiden Bekl. decken, gem. § 421 BGB als Gesamtschuldner.“

Rechtsfolge: Schadenersatz

Daher erhält der Versicherungsnehmer in solchen Fällen einen Anspruch auf Schadenersatz, gerichtet auf Rückzahlung der aufgewandten Prämien, gezogener Nutzungen und Zinsen. Faktisch führt dies zu einer – sonst nicht möglichen – Kapitalisierung der Rürup-Rente. Bei vor 2008 abgeschlossenen Verträgen kommt unter Umständen auch ein Widerrufsrecht gem. § 5 a VVG a. F. in Betracht

Sie haben einen Rürup-Vertrag und wollen diesen kapitalisieren? Als Fachanwalt für Versicherungsrecht prüfe ich gerne für Sie, ob ein Schadenersatzanspruch besteht und erfolgreich durchgesetzt werden kann.

Foto(s): @canva.com

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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