Russland hat Haager Übereinkommen zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile unterzeichnet

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Am 17. November 2021 unterzeichnete der russische Justizminister das Haager Übereinkommen zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile in Zivil- und Handelssachen vom 2. Juli 2019 [the Hague Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters] für Russland. Anschließend sollte das Übereinkommen mit einem föderalen Gesetz ratifiziert werden.

Die Europäische Kommission hat mit den Vorbereitungen für den EU-Beitritt bereits früher begonnen (s. Pressemitteilung vom 3. Juli 2019,

ec.europa.eu/germany/news/20190703-anerkennung-zivil-handelsurteilen_de).

Mit Stand zum 16.11.2021 haben bereits 4 Staaten - Uruguay, Ukraine, Israel und Costa Rica - das Übereinkommen unterzeichnet.

Das Übereinkommen ist noch nicht verbindlich geworden. Für das Inkrafttreten bedarf es der Ratifikation durch mindestens 2 Unterzeichnerstaaten, vorausgesetzt, dass kein Staat einen Vorbehalt erklärt hat, Urteile aus dem zweiten Staat anzuerkennen.

Das Inkrafttreten des Übereinkommens braucht Zeit. So etwa ist das andere - verbundene - Haager Übereinkommen über Gerichtsvereinbarungen vom 30. Juni 2005 erst 10 Jahre später - am 1. Oktober 2015 mit der Ratifikation durch die EU-Länder und Mexiko - in Kraft getreten.

Wie Deutschland beteiligt sich Russland an der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht. Die beiden Staaten sind am Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15.11.1965 und dem Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 18.3.1970 beteiligt.

Zweck 

Es wird betont, dass das Haager Überkommen vom 2. Juli 2019 Handel und Investitionen erleichtern soll, indem es die Rechtssicherheit verbessert und die Kosten im internationalen Handel und bei der Beilegung internationaler Streitigkeiten senkt. Die beteiligten Staaten verpflichten sich, Urteile aus anderen Mitgliedsstaaten ohne neue Überprüfung anzuerkennen. Ein Richter des Zweitstaates darf die Richtigkeit der ausländischen Entscheidung nicht nachprüfen (Verbot der revision au fond).

Ein ähnliches erfolgreiches Modell liegt dem New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.06.1958 zugrunde, an dem bereits 168 Staaten beteiligt sind (vgl. unseren Rechtstipp Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in Russland; https://www.anwalt.de/rechtstipps/anerkennung-und-vollstreckung-auslaendischer-schiedssprueche-in-russland_159024.html).

Anwendungsbereich

Gemäß dem Haager Überkommen vom 2. Juli 2019 sind Urteile in Zivil- und Handelssachen anerkennungsfähig. Ausgeschlossen ist seine Anwendbarkeit u.a. in insolvenz-, kartell-, familien- und erbrechtlichen Streitigkeiten. Geistiges Eigentum, Personen- und Frachtbeförderung sowie gesellschaftsrechtliche Beschlüsse sind ihm ebenso entnommen.   

Verfahren und Voraussetzungen für Vollstreckbarerklärung

Zu zwingenden Anlagen eines Antrags auf Vollstreckbarerklärung eines Urteils aus einem ausländischen Ursprungsstaat gehören regelmäßig nur ein ausländisches Gerichtsurteil und eine Bestätigung seiner Inkraftsetzung.

Einem Versäumnisurteil ist ein Nachweis über Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks der säumigen Beklagten beizulegen. Für einen Vergleich ist eine gerichtliche Bescheinigung, dass er wie eine Entscheidung vollstreckbar ist, zusätzlich einzureichen.     

Nach dem Haager Überkommen vom 2. Juli 2019 ist ein ausländisches Urteil vollstreckbar, wenn eine der folgenden Voraussetzungen vorliegt:

1. der Vollstreckungsschuldner hat seinen ständigen Wohnsitz oder seinen Sitz oder seine Niederlassung im Ursprungsstaat;

2. eine natürliche Person (der Vollstreckungsschuldner) hat ihre gewerblichen Tätigkeiten schwerpunktmäßig im Ursprungsstaat ausgeübt und das Urteil ergibt sich aus diesen Tätigkeiten;

3. die Parteien haben eine Gerichtsstandsvereinbarung des ausländischen Gerichts vereinbart;

4. das Urteil bezieht sich auf eine vertragliche Schuldverbindlichkeit, die ihren Erfüllungsort im Ursprungsstaat hat;      

5. das Urteil bezieht sich auf eine Miete einer Immobiliensache, die im Ursprungsstaat belegen ist; usw.

Versagungsgründe

Die Anerkennung des ausländischen Urteils darf insbesondere versagt werden, wenn:

1. verfahrenseinleitende Klage dem Beklagten nicht rechtzeitig oder auf eine unzulässige Weise zugestellt wurde;

2. das Urteil durch Betrug erwirkt wurde;

3. die Anerkennung oder Vollstreckung der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staates widerspricht;

4. das Verfahren gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung verstößt;

5. das Urteil mit einer früheren Entscheidung zwischen denselben Personen (Grundsatz von res judicata) unvereinbar ist.

Derzeitige Stand der Anerkennung ausländischer Urteile in Russland

Im Zusammenhang mit Anerkennung ausländischer Urteile werden ca. 160-180 Sachen pro Jahr in Russland verhandelt. Etwa 60-65% der Urteile werden als vollstreckbar erklärt.

Eine Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckbarkeitserklärung eines ausländischen Urteils ist eine entsprechende Regelung in einem internationalen Abkommen unter Beteiligung von Russland und dem jeweiligen ausländischen Staat (Art. 241 russ. Wirtschaftsprozessordnung, Art. 409 russ. Zivilprozessordnung).

Im Rahmen der GUS-Region gelten das Übereinkommen über das Verfahren der Verhandlung über Streitigkeiten, die mit der Ausführung wirtschaftlicher Tätigkeiten verbunden sind, vom 20.03.1992 und das Übereinkommen über die Rechtshilfe und Rechtsbeziehungen in Zivil-, Familien- und Strafsachen vom 23.01.1993.

Im Übrigen sind Regelungen, in denen ausländische Urteile in Zivil- und Handelssachen anerkannt werden, in ca. 35 bilateralen Rechtshilfeabkommen - u.a. mit Zypern, China, Indien, Italien, Spanien, Griechenland, Argentinien, den ehemaligen sozialistischen Staaten und den Republiken der UdSSR - enthalten.

Mit Deutschland und den meisten anderen Ländern hat Russland keine bilateralen Abkommen über die Anerkennung zivilrechtlicher Urteile geschlossen. Russland ist am Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.09.1988 nicht beteiligt. Die Entscheidungen der deutschen Gerichte sind in Russland nicht direkt vollstreckbar.

In der Praxis treffen sich immer häufiger Fälle, wenn russische Gerichte auch mangels internationaler Abkommen - aufgrund der internationalen Höflichkeit (der Courtoisie) - ausländische Urteile anerkannt haben. Mehr noch, das russische Insolvenzgesetz vom 26.10.2002 lässt die Anerkennung ausländischer Insolvenzurteile aufgrund der Gegenseitigkeit zu. Für Anwendung der Gegenseitigkeit ist ein entsprechender Nachweis – regelmäßig in Form einer detaillierten gutachterlichen Prüfung - vorzulegen.

So etwa wurde die Vollstreckbarkeit von Gerichtsurteilen aus folgenden Ursprungsstaaten aufgrund des Gegenseitigkeitsgrundsatzes bestätigt:

- die Niederlande (Beschlüsse des Höchsten Wirtschaftsgerichts der RF vom 07.12.2009 Nr. A41-6913/09 und des Föderalen Wirtschaftsgerichts (WG) des Wolga-Gerichtsbezirks vom 23.01.2012 Nr. A55-5718/2011);

- England (Beschlüsse des Höchsten Wirtschaftsgerichts der RF vom 26.07.2012 Nr. WAS-6580/12, des Obersten Gerichts der RF vom 01.02.2016 Nr. 305-ES15-18289);

- Bundesstaat von New York, USA (Beschluss des 9. Appellations-WG vom 24.09.2020 Nr. 09AP-45250/2020); 

- Belgien (Beschluss des WG der Stadt Moskau vom 14.12.2020 Nr. A40-111764/20-68-757); und

- Korea (Beschlüsse des WG des Fernosten-Gerichtsbezirks vom 08.10.2018 Nr. F03-4115/2018 und vom 25.02.2003 Nr. F03-A73/03-1/140).

Diese Praxis ist jedoch nicht einheitlich und instabil. Es ist auch unfair, einem ausländischen Kläger die Anerkennung seines Urteils abzulehnen, weil der Urteilsstaat russische - ganz offen, nicht allerbeste - Urteile nicht anerkennt.

Insoweit würde die Ratifizierung des Haager Übereinkommens zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile in Zivil- und Handelssachen vom 2. Juli 2019 durch die EU-Staaten, Russland und andere Länder gegenseitiges Vertrauen erhöhen und das internationale System von Streitbeilegung erweitern.

Foto(s): Rustem Karimullin


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