Solo - Selbstständige - Rentenversicherung - § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI

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Es ist immer ärgerlich, wenn im Rahmen einer Betriebsprüfung nachträglich eine Sozialversicherungspflicht festgestellt wird und man nun die entsprechenden Beiträge für meist 4 Jahre auf einen Schlag nachzahlen soll zuzüglich erheblicher Säumniszuschläge.

Regelmäßig „erwischt“ es hier Selbstständige, die glaubten, alle selbstständig Tätigen seien automatisch von der Sozialversicherungspflicht befreit. Das trifft eben leider nicht für alle Selbstständigen und nicht für alle Zweige der Sozialversicherung zu, hier insbesondere für die Rentenversicherung. So kann man hauptberuflich selbstständig und damit von der Krankenversicherungspflicht befreit sein, aber dennoch in die Rentenversicherung einzahlen müssen.

Am häufigsten passiert es sog. Solo-Selbstständigen, also Selbstständigen, die keine Mitarbeiter beschäftigen und die zudem überwiegend nur für einen Auftraggeber tätig sind, dass sie nachzahlen müssen. Leider passt oft auch der Steuerberater hier nicht immer auf, so dass zT. über Jahre hinweg die Rentenversicherungspflicht unbemerkt bleibt.

Beispiel

Ein Mandant von uns betrieb eine Spedition. Er war Eigentümer eines 40 t-Lkw, den er alleine fuhr. Er war immer mehr als 30 Stunden in der Woche unterwegs. Aufträge erhielt er über Jahre hinweg überwiegend von einem Kunden. Aus dieser Geschäftsbeziehung resultierten ca. 90% seines Umsatzes. Er stand wenige Jahre vor seinem Renteneintritt. Sein Steuerberater gab ihm den Tipp, er solle noch schnell freiwillig in die Rentenversicherung eintreten und so seine Rente aufbessern. Es entspann sich Schriftverkehr mit der DRV, in dessen Zuge die Rentenversicherung feststellte, der Mandant sei bereits seit Beginn seiner Tätigkeit rentenversicherungspflichtig und erließ einen Beitragsbescheid: Nachzahlung von ca. 36.000 EUR Beiträge zuzüglich. ca. 11.000 EUR Säumniszuschläge.

Rentenversicherungspflicht? Und kann man helfen?

Bestimmte selbstständige Personen sollen in die Rentenversicherung einzahlen, weil sie ähnlich wie Arbeitnehmer schutzbedürftig sind und vermutet wird, dass sie nicht angemessen für ihr Alter vorsorgen können.

§ 2 Satz 1 SGB VI enthält einen Katalog von Selbstständigen, die trotz ihrer Selbstständigkeit rentenversicherungspflichtig sind. Unser Mandant fiel unter Nr. 9.

Diese Auffangziffer hat in der Praxis erhebliche Bedeutung, weil sie Solo-Selbstständige aus nahezu allen Branchen erfassen kann (Freiberufler scheiden aus).

Selbstständig oder schein-selbstständig?

Ein erster Ansatz, um zu helfen wäre: Man schaut, ob der Mandant vielleicht nur schein-selbstständig, also in Wirklichkeit Arbeitnehmer seines Auftraggebers ist. Das hätte für den Mandanten den großen Vorteil, dass nicht er die Beiträge nachzahlen muss, sondern der Auftraggeber, der ja in Wirklichkeit sein Arbeitgeber ist. Gleichzeitig profitiert er von den Rentenanwartschaften. Erstattungsansprüche durch den Auftraggeber sind kaum zu fürchten. Meist ist allerdings dann auch die Rechtsbeziehung zum Auftraggeber beendet.

Hier ist die Rechtsbeziehung zu dem (einen) Auftraggeber zu überprüfen und zu fragen, ob der Mandant eventuell in die betrieblichen Abläufe des Auftraggebers eingegliedert und ob er weisungsabhängig ist, vor allem was Beginn und Ende der Arbeitszeit, Ort der Tätigkeit angeht usw. Hier gibt es Überprüfungskataloge, die jetzt abzuarbeiten sind.

Dies fällt uns als Spezialisten an der Schnittstelle von Arbeits- und Sozialrecht leicht.

Hier war der Mandant Eigentümer eines wesentlichen Betriebsmittels, nämlich des Lkw, den er auf eigene Kosten unterhielt und versicherte und trug ein erhebliches eigenes unternehmerisches Risiko. Selbst ohne alle Einzelheiten zu kennen, ist ziemlich klar, dass der Mandant nicht in die betriebliche Organisation seines Auftraggebers eingegliedert war. Er war selbstständig tätig mit der Folge, dass er die vollen 18,6% an RV-Beiträgen selbst zahlen musste.

Da er mehr als 30 Wochenstunden selbstständig arbeitete, war er hauptberuflich selbstständig und immerhin von der Krankenversicherungspflicht befreit, ebenso von der Pflegeversicherung und der Arbeitslosenversicherung, so dass hier nicht noch weitere Nachzahlungen drohten.

Beschäftigung von Arbeitnehmern

Leider betreffen Bescheide im Sozialversicherungsrecht vergangene Zeiten, die nicht mehr geändert werden können, so dass allenfalls für die Zukunft Heilungsmöglichkeiten bestehen. Dies betrifft auch die Frage nach der Beschäftigung von Arbeitnehmern.

Nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI ist nur derjenige Selbstständige rv-pflichtig, der keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt, also der Solo-Selbstständige.

Es gelten dieselben Kriterien wie bei der Krankenversicherungspflicht: wer hauptberuflich selbstständig ist, ist nicht kv-pflichtig. Hauptberuflich selbstständig ist danach auch, wer entweder einen pflichtversicherten Mitarbeiter oder einen Auszubildenden beschäftigt oder wer wenigstens zwei geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer eingestellt hat, deren Arbeitsentgelte in der Summe die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten. Die Anzahl Wochenstunden, die man tätig ist, spielt dann keine Rolle.

Der Mandant hatte keinen Mitarbeiter. Hier könnte man entsprechende Empfehlungen für die Zukunft aussprechen.

Tätigkeit für einen Auftraggeber – auf Dauer – im Wesentlichen 

Um die Einbeziehung in der RV-Pflicht zu rechtfertigen, muss der Selbstständige ähnlich wie ein Arbeitnehmer wirtschaftlich von einem Auftraggeber abhängig und deshalb schutzbedürftig sein.

Von einem Auftraggeber abhängig ist, wer auf Dauer und im Wesentlichen die Aufträge lediglich einer Person erledigt.

So sind vor allem Franchise-Nehmer in vertikalen Vertriebsketten (Bezugspflicht von Waren, keine freie Preisgestaltung usw.) nur für einen Auftraggeber tätig, nämlich für ihren Franchise-Geber (vgl. BSG, B 12 R 3/08 R zum Betrieb eines Backshops). Beschäftigt der Franchise-Nehmer keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, besteht Rentenversicherungspflicht gemäß § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI.

Auf Dauer

Problematisch ist auf das Merkmal „auf Dauer“; denn gerade Existenzgründer verfügen nicht sofort über einen größeren Kreis an Auftraggebern.

Es kommt hier darauf an, ob der Selbstständige nach seinem längerfristigen Unternehmenskonzept die Tätigkeit für verschiedene Auftraggeber anstrebt und die Realisierung dieses Konzepts innerhalb von 3 Jahren erwartet werden kann.

Es kann nur dann davon ausgegangen werden, dass die Tätigkeit für einen Auftraggeber dauerhaft ist, wenn mit ihm ein Dauerauftragsverhältnis besteht oder aber regelmäßig wiederkehrende Aufträge geschlossen werden.

Ist die Tätigkeit im Voraus begrenzt, so vor allem bei Projektarbeit, und besteht keine begründete Aussicht auf eine Verlängerung, liegt keine Bindung an nur einen Auftraggeber vor. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn die (Projekt-)Tätigkeit voraussichtlich nicht länger als ein Jahr andauern wird.

Im Wesentlichen

Ob der Selbstständige im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig ist, richtet sich nach den erzielten Bruttoeinkünften. Gemeint sind die Betriebseinnahmen; verteilen sie sich so auf verschiedene Auftraggeber, dass nicht mehr als fünf Sechstel von einem Auftraggeber kommen, fällt man aus der Versicherungspflicht nach Nr. 9 heraus.

Wenn zwar 80% und mehr der Einnahmen von einem Auftraggeber stammen, die selbstständige Tätigkeit jedoch nebenberuflich ausgeübt wird, sind die aus der selbstständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte zu den gesamten Einkünften, also auch zu denen aus dem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, ins Verhältnis zu setzen (LSG BW L 11 KR 519/04; im anschließenden Revisionsverfahren B 12 KR 18/04 R ließ das BSG diese Frage jedoch ausdrücklich offen). Wer nämlich aus einem versicherungspflichtigen Hauptjob seine wesentlichen Einkünfte erzielt, ist bereits ausreichend abgesichert.

In unserem Fall erzielte der Mandant 90% der Einkünfte aus einem Dauerauftragsverhältnis mit nur einem Auftraggeber.

GmbH gründen?

Wäre der Mandant der Rentenversicherungspflicht entkommen, wenn er eine GmbH gegründet hätte, deren einziger Gesellschafter und deren Geschäftsführer er gewesen wäre?

Nein. In Nr. 9 heißt es weiter, dass bei Gesellschaftern die Auftraggeber der Gesellschaft als Auftraggeber gelten.

Dieser Satz musste ins Gesetz aufgenommen werden, um zu vermeiden, dass ausnahmslos alle GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer versicherungspflichtig werden, weil nämlich als ihr einziger Auftraggeber immer die eigene Gesellschaft gilt. Unserem Mandanten hätte hier jedenfalls die Gründung der GmbH nichts genutzt, da auch seine GmbH nur einen einzigen Auftraggeber gehabt hätte.

Befreiungsmöglichkeiten

Ab einem bestimmten Alter besteht für Solo-Selbstständige unter engen Voraussetzungen die Möglichkeit, sich von der RV-Pflicht befreien zu lassen: Wenn man nach Vollendung des 58. Lebensjahres nach einer zuvor ausgeübten selbstständigen Tätigkeit erstmals aufgrund § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig würde (beispielsweise nach Vollendung des 58. Lebensjahres die bisherige selbstständige Tätigkeit in Zukunft ohne Arbeitnehmer ausüben will), kann man einen entsprechenden Befreiungsantrag stellen.

Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. Sie ist auf die jeweilige selbstständige Tätigkeit beschränkt.

Rechtzeitig kommen – immer um die Säumniszuschläge kämpfen

Es ist im Sozialversicherungsrecht leider so, dass man sich vorab über Gestaltungsmöglichkeiten informieren muss. Nachträglich ist meist nichts zu retten. Und leider haben sich hier zu viele auf ihren Steuerberater verlassen.

Große Chancen bestehen immerhin, dass man die Säumniszuschläge nicht zahlen muss, und oft ist allein damit schon eine erhebliche Ersparnis verbunden. Denn Säumniszuschläge sind nur zu zahlen, wenn man mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; der lässt sich meist „wegargumentieren“.

Um vorab Sicherheit zu bekommen, kann man auch das sog. Antrags- oder Clearingverfahren nach § 7a SGB IV durchführen. Dies ist ein standardisiertes Überprüfungsverfahren bei der Rentenversicherung. Man stellt auf einem vorgegebenen Fragebogen seine Tätigkeit dar. Die DRV prüft dann, ob Beitragspflicht besteht oder nicht. Ebenso gut könnte man auch den Teufel fragen, ob man sich taufen lassen sollte. Immerhin schiebt das Verfahren die Zahlungspflicht bis zu seinem bestandskräftigen Ende hinaus, wenn der Antrag innerhalb eines Monats ab Aufnahme der Tätigkeit gestellt wird, § 7a Abs. 6 SGB IV.

Eine weitere – nur sehr selten erwähnte – Möglichkeit besteht darin, nach § 28h Abs. 2 SGB IV die Einzugsstelle um eine Einschätzung zu bitten. Hier kann man immerhin freien Text produzieren.

Aber auch in diesen Vorab-Anfrage-Situationen nützt am Ende (wenn der Bescheid vorliegt) nachträgliches Handeln gar nichts. Die Vergangenheit kann auch in diesen Fällen nicht revidiert werden.

Man muss sich bereits bei Antragstellung nach § 7a oder § 28h SGB IV auf der sicheren Seite befinden, die Gestaltung muss hier bereits abgeschlossen sein.



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