Sozialrecht: Balkonsprung als Arbeitsunfall im Rotlichtmilieu

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Der Fall

Eine junge Ingenieurin aus Osteuropa bewirbt sich auf eine Anzeige im Internet als legale Prostituierte in Hamburg. Der Arbeitgeber verspricht ihr die Hälfte der Einnahmen, eine Wohnung sowie Kost und Logis. Die junge Frau ist 24 Stunden am Tag über ihr Diensthandy verfügbar. Das Arbeitsverhältnis entwickelt sich jedoch anders als geplant. Der Arbeitgeber verprügelt sie, vergewaltigt sie mehrfach und schließt sie ein. Bei dem Versuch, aus der Wohnung im zweiten Stock zu fliehen, stürzt die junge Frau ab und bricht sich mehrere Knochen. Sie verlangt Ersatz der Behandlungskosten von der Berufsgenossenschaft. Diese weigert sich zu zahlen.

Die Rechtslage

Ansprüche gegenüber der Berufsgenossenschaft bestehen, wenn ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt und das Unfallereignis in einem engen Zusammenhang zu der geschuldeten Tätigkeit steht. Hier steht den Ansprüchen entgegen, dass kein schriftlicher Arbeitsvertrag bestand und dass der Zuhälter keine Beiträge zahlte. Zudem könnte der Sturz auch selbst verschuldet sein. Damit ist die Ausgangslage deutlich schlechter als im Durchschnittsfall.

Die Entscheidung

Das Sozialgericht (SG) entschied zugunsten der jungen Frau. Der Versicherungsschutz erfordere nicht zwingend einen schriftlichen Arbeitsvertrag. Entscheidend sei vielmehr, in welchem Maße der Arbeitgeber über die Arbeitskraft des Beschäftigten verfüge. Hier verfügte der Zuhälter über die gesamte Arbeitskraft der jungen Frau. Eine selbstständige Tätigkeit sei daher auszuschließen. Zudem liege ein Wegeunfall vor, denn die junge Frau wollte zurück in ihr Heimatland fliehen, was sie auch tat (SG Hamburg S 36 U 118/14).

Fazit

Ob ein Arbeitsverhältnis besteht, hängt nicht nur von der Papierlage ab. Entscheidend sind die konkreten Umstände des Sachverhaltes. Abgesehen davon ist die Entscheidung in erster Linie politisch korrekt. Schließlich wurden viele Tausende in die Sozialversicherung gezwungen, die daraus nie irgendeine Zahlung erhalten werden. Nun aber verfügt das System über eine Vorzeigeprostituierte, die tatsächlich Leistungen der Berufsgenossenschaft erhielt.

Tipp

Gerade im Sozialrecht sollte man seine Ansprüche konsequent verfolgen. Der Ablehnungsbescheid ist inzwischen die Regel, obwohl zumeist nicht berechtigt. Die Chancen vor Gericht sind daher gut und Bedürftige erhalten fast immer Prozesskostenhilfe. Wenden Sie sich daher in sozialrechtlichen Fragen frühzeitig an den Rechtsanwalt Ihres Vertrauens.

Dr. Christian Sieg’l

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht


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