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Suchpflicht des Dienstherren bei Dienstunfähigkeit

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Eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit soll nicht erfolgen, wenn dem Beamten noch ein anderes Amt derselben, einer gleichwertigen oder einer anderen Laufbahn übertragen werden kann. Der Dienstherr muss nach einer solchen anderweitigen Verwendungsmöglichkeit aktiv suchen und seine Bemühungen auch nachweisen.

Zum Inhalt und Umfang der Suchpflicht hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht am 09.03.2021 eine interessante und wichtige Entscheidung getroffen. Das Gericht betont den Grundsatz „Weiterverwendung vor Versorgung.“ In den Entscheidungsgründen wird u.a. ausgeführt:

  • Eine Suchpflicht entfällt, wenn der Beamte aus gesundheitlichen Gründen ersichtlich überhaupt keinen Dienstposten mehr wahrnehmen kann, d.h. wenn seine Leistungsfähigkeit vollständig aufgehoben ist,
  • sie kann aber auch dann entfallen, wenn das ärztliche Gutachten zwar noch keine endgültige Aufhebung des gesundheitlichen Leistungsvermögens feststellt, der Betreffende in der Vergangenheit aber bereits in einer Vielzahl von Bereichen seiner Beschäftigungsbehörde eingesetzt gewesen ist und sich dort immer wieder erhebliche Schwierigkeiten, etwa im sozialen Bereich, gezeigt haben; in solchen Fällen kann insbesondere die Auswertung der Personalakten in Bezug auf den bisherigen dienstlichen Werdegang des Betreffenden dazu führen, ihm jegliches Restleistungsvermögen abzusprechen.

Der zweite Punkt stellt eine Besonderheit dar, denn das OVG lässt unter bestimmten Voraussetzungen eine Zurruhesetzung auch dann zu, wenn unter medizinischem Blickwinkel ein Restleistungsvermögen zwar noch vorhanden ist, der Beamte aber aus sozialen Gründen nicht mehr eingesetzt werden kann. Hier dürfte es sich um Fälle handeln, in denen der Umgang mit dem Betreffenden so schwierig ist, dass eine ordnungsgemäße Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen nicht mehr möglich ist oder Konflikte absehbar sind und der Einsatz des Betreffenden auch anderen Behörden von vornherein nicht mehr zugemutet werden kann. Streng genommen verlässt das OVG nach meiner Einschätzung hier den gesetzlichen Rahmen, denn Beamtinnen auf Lebenszeit und Beamte auf Lebenszeit sind in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Ob sich auch soziale Schwierigkeiten (sofern sie nicht auf einer Erkrankung insbesondere psychischer Art beruhen und eine gesundheitliche Einschränkung darstellen) darunter subsumieren lassen, könnte fraglich sein.

Wenn die Suchpflicht eröffnet ist, hat der Dienstherr sehr strenge Anforderungen zu erfüllen:

  • die Suche nach einer anderweitigen Verwendung muss sich regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn – im entschiedenen Fall: das Land Niedersachsen – erstrecken. Nur aus Fürsorgegesichtspunkten kann die Suche ggf. räumlich begrenzt werden. 

Hier könnte man z.B. an eine aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkte Umzugsfähigkeit denken. In einem solchen Fall dürfte dann wohl der Suchbereich beschränkt werden. Ansonsten muss der gesamte Bereich des Dienstherrn in den Blick genommen werden, bei Bundesbeamten daher wohl das gesamte Bundesgebiet.

  • Die Suche nach einer anderweitigen Verwendung muss sich auf Dienstposten erstrecken, die frei sind oder in absehbarer Zeit voraussichtlich neu zu besetzen. Eine Beschränkung auf aktuell freie Stellen ließe außer Acht, dass das Gesetz zur Vermeidung von Frühpensionierungen auch die Weiterverwendung in Ämtern einer anderen Laufbahn vorsieht. Die dafür erforderliche Laufbahnbefähigung kann der Beamte aber regelmäßig erst nach einer längeren Unterweisungszeit erwerben.
  • Die Suchpflicht darf sich nicht auf die Nachfrage beschränken, ob eine andere Behörde im Bereich des Dienstherrn bereit ist, den Beamten zu übernehmen. Vielmehr sind konkrete, ggf. auch dialogische Bemühungen erforderlich, den Beamten anderweitig zu verwenden. Zur Suchpflicht gehört auch die Nachfrage bei einer anderen Behörde, wenn diese eine Abfrage unbeantwortet lässt.
  • Ist bei einer anderen Behörde im Bereich des Dienstherrn ein amtsangemessener Dienstposten vakant, dann ist der Beamte auf diesem Dienstposten zu verwenden; der Anspruch des Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung darf nicht faktisch unter dem Vorbehalt stehen, dass die Behörde, bei der der vakante Dienstposten besteht, der Besetzung zustimmt.
  • Die Suchanfrage muss zudem eine die noch vorhandene Leistungsfähigkeit des dienstunfähigen Beamten charakterisierende und sachliche Kurzbeschreibung enthalten, die den angefragten Behörden die Einschätzung erlaubt, ob der Beamte für eine Verwendung in ihrem Verantwortungsbereich in Betracht kommt (Fallprofil). Dabei muss der Personaldatenschutz gewahrt bleiben. Die Mitteilung darf deshalb keine persönlichen Daten des Beamten enthalten, die nach dem geschilderten Zweck der Suchanfrage nicht erforderlich sind.
  • Ein Fallprofil enthält keine charakterisierende und sachliche Kurzbeschreibung, wenn es unvollständig ist (im entschiedenen Fall: kein Hinweis, dass sich die Suche nach einer anderweitigen Verwendung auf einen A 13-wertigen Dienstposten beziehe; kein Hinweis auf die grundsätzliche Möglichkeit des Laufbahnwechsels; kein Hinweis auf die grundsätzliche Möglichkeit der Übertragung einer geringerwertigen Tätigkeit). Zu einer sachlichen Kurzbeschreibung gehören auch besondere Fähigkeiten (hier: besondere technische Kenntnisse), welche die besondere Eignung des Betreffenden für den Wechsel in eine technische Laufbahn belegen können. Um entsprechende Kenntnisse abzufragen, böte sich etwa an, vor Erstellung des Fallprofils mit dem Betreffenden ein umfassendes Gespräch zu führen oder ihn zu bitten, besondere technische Kenntnisse, die ihn für einen etwaigen Wechsel in eine technische Laufbahn qualifizieren könnten, aufzulisten. Jedenfalls aber hätte die suchende Behörde dem Betreffenden das von ihr erstellte Fallprofil vorab zur Kenntnis geben müssen, damit er etwaige Einwendungen bereits zeitnah zum Start der Suche nach einer anderweitigen Verwendung hätte erheben und die Behörde diese Einwendungen hätte rechtlich prüfen und ggf. berücksichtigen können (vgl. 5 Leitsatz des Urteils). 

Dieser letztgenannte Hinweis ist besonders interessant. Das OVG räumt den Beamten im Interesse der eigenen Weiterverwendung offenbar das Recht ein, das Fallprofil mit zu gestalten und gegen negative Formulierungen Einwendungen zu erheben bzw. auf die Darstellung besonderer Kenntnisse und Fähigkeiten hinzuwirken, die eine Weiterverwendung begünstigen können.

  • In welcher Form die Verwaltung ihrer Suchpflicht nachkommt - sei es durch schriftliche Anfragen, durch E-Mail-Abfragen oder auf andere Weise - bleibt ihrer Organisationsgewalt überlassen. Dagegen begründet die Suchpflicht keine Pflicht des Dienstherrn, personelle oder organisatorische Änderungen vorzunehmen, um eine Weiterverwendung zu ermöglichen.
  • Der Dienstherr ist nicht verpflichtet, Dienstposten im Wege personeller Änderungen frei zu machen.
  • Für die Beachtung aller Vorgaben ist der Dienstherr, darlegungs- und beweispflichtig. Verwaltungsinterne Verfahrensschritte müssen so dokumentiert oder jedenfalls nachträglich so detailliert beschrieben werden, dass geprüft werden kann, ob der Suchpflicht Genüge getan wurde. Fehlt es an einer schlüssigen Darlegung des Dienstherrn, dass er bei der Suche nach einer anderweitigen Verwendung die rechtlichen Vorgaben beachtet hat, oder kann nicht aufgeklärt werden, ob die Suchpflicht diesen entsprochen hat, so geht dies zulasten des Dienstherrn.
  • Der Dienstherr muss bei seiner Suche und den Vermittlungsbemühungen aufgrund seiner Fürsorgepflicht sensibel vorgehen. Z.B. in Fällen, in denen eine psychische Erkrankung zur Annahme der Dienstunfähigkeit geführt hat, darf die suchende Behörde den Beamten nicht durch Aufnahme von Zusätzen im Fallprofil, die darauf hinweisen, dass der Betreffende möglicherweise ein im Umgang „etwas schwieriger“ Bediensteter sein könnte, dessen Weiterbeschäftigungschancen mindern. Es dürfen somit keine negativen Zuschreibungen erfolgen, die die angefragte Behörde von vornherein von einer Übernahme abhalten können

OVG Nds. – U.v. 09.03.2021 – 5 LC 174/18

Dieser Beitrag dient zur allgemeinen Information und entspricht dem Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Eine individuelle Beratung wird dadurch nicht ersetzt. Jeder einzelne Fall erfordert fachbezogenen Rat unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände. Ohne detaillierte Beratung kann keine Haftung für die Richtigkeit übernommen werden. Vervielfältigung und Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verfassers.


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