Tierarzt und Dokumentation - ein manchmal schwieriges Kapitel

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Die tierärztliche Behandlungsdokumentation

Der praktische Fall: 

Eine Tierärztin wird von einer Tierhalterin verklagt. Die Tierhalterin macht Schadensersatzansprüche geltend und behauptet, dass von der Tierärztin begangene (grobe) Behandlungsfehler kausal zum Tode ihrer Katze geführt haben. Die Tierärztin verteidigt sich im Rahmen der Klageerwiderung gegen die erhobenen Vorwürfe. Da das erkennende Gericht nicht aus eigener veterinärmedizinscher Sachkunde den Sachverhalt beurteilen kann, beschließt es, einen veterinärmedizinischen Sachverständigen mit einer Begutachtung zu beauftragen. Der beauftragte Sachverständige fordert für die Durchführung der Begutachtung von der Tierärztin die vollständige Behandlungsdokumentation an. Die Tierärztin überreicht ein mit wenigen Daten handschriftlich  beschriftetes Blatt Papier und versichert, dass das ihre vollständige Dokumentation sei.

Das beschriebene – reale – Beispiel zeigt, dass nach wie vor in vielen Tierarztpraxen die Dokumentationen in erheblichem Maße vernachlässigt wird. Man hört häufig Äußerungen wie: „Eine Dokumentation ist nicht erforderlich!“, „Die Dokumentation ist viel zu aufwändig!“, „Ich habe im Praxisalltag keine Zeit, alle Behandlungsschritte zu dokumentieren!“ u. ä.

Dabei wird verkannt, dass sich eine unvollständige oder gar fehlende Dokumentation in einem Haftungsprozess erheblich negativ auswirken kann.


Die Rechtslage:

Auch im tierärztlichen Bereich ergibt sich aus dem Behandlungsvertrag grundsätzlich die vertragliche Nebenpflicht, eine Dokumentation über die wesentlichen medizinischen Aspekte bezüglich der Behandlung des Tieres zu führen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 10.05.2016, AZ: VI ZR 247/15) sind im Bereich der tierärztlichen Haftung die Regeln des Haftungsrechts der Humanmedizin entsprechend anzuwenden.

Die Haftungsregeln in der Humanmedizin finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Dort heißt es in der maßgeblichen Vorschrift des § 630 f. (Dokumentation der Behandlung):

„Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentliche Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Arztbriefe sind in die Patientenakte aufzunehmen.“ 

Es besteht somit die Verpflichtung, die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen und Verlaufsdaten festzuhalten (OLG Hamm, Urteil vom 22.04.2002, AZ: 3 U 1/01). Ausreichend ist dabei eine stichwortartige Aufzeichnung, die einen anderen Tierarzt in die Lage versetzt, die Behandlung weiterzuführen, ohne Irrtümern zu unterliegen.

Im humanmedizinischen Bereich dient die Dokumentationspflicht ausweislich der Gesetzesbegründung insbesondere der faktischen Beweissicherung zugunsten des Patienten. Im veterinärmedizinischen Bereich dient die Dokumentation demgegenüber allein medizinischen Zwecken (so: OLG Oldenburg, Urteil vom 11.09.2015, AZ 11 U 5/15).

Generell werden an die Art und an den Umfang der Dokumentation insgesamt nicht ebenso hohe Anforderungen gestellt, wie in der Humanmedizin. Die Dokumentation soll nur die „wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse“ aufzeichnen. Selbstverständlichkeiten in der Behandlung können außer Acht gelassen werden.

In prozessualer Hinsicht besteht die Besonderheit, dass eine Verletzung der Dokumentationspflicht zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Tierhalters führen kann. Dies hat zur Folge, dass zu Lasten des Tierarztes unterstellt wird, dass eine dokumentationspflichtige, aber nicht dokumentierte Maßnahme tatsächlich nicht erfolgt ist. Diese negativen Folgen eines Dokumentationsmangels muss der Tierarzt jedoch keineswegs tatenlos hinnehmen. Er ist lediglich in der prozessual unangenehmen Situation, dass er nun den Beweis erbringen muss, dass ein bestimmter Befund vorgelegen hat oder eine bestimmte Maßnahme tatsächlich ausgeführt wurde. Er muss deshalb versuchen, seine zwar durchgeführte, aber nicht dokumentierte Maßnahme auf anderem Wege zu beweisen, etwa durch die Benennung einer assistierenden Helferin als Zeugin.


Die wünschenswerte Dokumentation: 

Aus anwaltlicher Sicht ist es in einem Haftungsprozess gegen einen Tierarzt überaus wünschenswert, wenn er zugunsten des Tierarztes bei seinem Sachvortrag auf eine möglichst umfassende und detaillierte Dokumentation zurückgreifen kann. Eine detaillierte Dokumentation bietet die Möglichkeit, den Behauptungen der Klägerseite fachlich substantiiert entgegenzutreten und klägerische Behauptungen zu relativieren.

Des Weiteren ermöglicht es eine detaillierte Dokumentation dem gerichtlich beauftragten Sachverständigen, den Ablauf der Behandlung nachzuvollziehen, und so kann er insbesondere aus veterinärmedizinscher Sicht beurteilen, aus welchem Grund möglicherweise von der Klägerseite geforderte Behandlungsmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden, oder aber mangels Indikation nicht durchgeführt werden mussten.

Nachfolgend sollen einmal die Aspekte einer ordnungsgemäßen und detaillierten Dokumentation aufgezeigt werden. Bei der Auflistung handelt es sich keineswegs nur um eine „Wunschliste“ aus anwaltlicher Sicht. Die Dokumentation der nachfolgenden Aspekte verschafft Vorteile in einem Haftungsprozess, wenngleich nicht sämtliche Aspekte von der Rechtsprechung gefordert werden.

Es empfiehlt sich daher folgende Aspekte zu dokumentieren:

  • Datum und Uhrzeit des Praxisbesuchs
  • Eventuelle Inanspruchnahme im Rahmen des Notdienstes
  • Bericht des Tierhalters über Beschwerden
  • Anamnesedaten
  • Allgemeinuntersuchung: erhobene Befunde
  • Besprechung der Befunde mit dem Tierhalter
  • Klinische Untersuchung: Untersuchungsmaßnahmen
  • Besprechung der Befunde mit dem Tierhalter
  • Labordiagnostik
  • Bildgebende Diagnostik: Auffälligkeiten, erhobene Befunde
  • Diagnosen
  • Besprechung der erhobenen Befunde und Diagnosen mit dem Tierhalter
  • Aufklärung des Tierhalters über einzuleitende Therapiemaßnahmen inklusive Risiken und Behandlungsalternativen
  • Ggfs. Narkosemedikation (Arzneimittel und Dosierung)
  • Evtl. operative Maßnahmen
  • Narkoseprotokoll
  • Post-operative Überwachung
  • Post-operative Maßnahmen und Verlaufsdaten
  • Maßnahmen und Befunde im Rahmen der stationären Nachsorge
  • Ggfs. Aufklärung des Tierhalters über weitergehende erforderliche Maßnahmen; Einwilligung des Tierhalters
  • Ggfs. Aufklärung des Tierhalters über die Notwendigkeit einer Euthanasie; Einwilligung des Tierhalters
  • Ggfs. Empfehlung an den Tierhalter, eine spezialisierte Klinik aufzusuchen; Reaktion des Tierhalters
  • Inhalt geführter Telefongespräche
  • Jeweils Namen des tierärztlichen Behandlers und ggfs. der assistierenden Helferin.


Hinweis:

Es ist auffällig, dass in der vorstehenden Auflistung an mehreren Stellen der Inhalt und das Ergebnis einer Aufklärung des Tierhalters aufgeführt wird. Der Hintergrund besteht darin, dass in nahezu jedem Haftungsprozess gegen einen Tierarzt/eine Tierärztin von der Klägerseite behauptet wird, sie sei von dem Tierarzt/der Tierärztin nicht über Befunde, Diagnosen, Behandlungsmaßnahmen, Alternativ-Therapien und Risiken aufgeklärt worden.

Hier muss zwingend beachtet werden, dass ein Tierarzt/eine Tierärztin nach den rechtlichen Vorgaben (Rechtsprechung des BGH, § 630 e BGB) verpflichtet ist, den Tierhalter über sämtliche für die von ihm zu erteilende Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören: Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken, Notwendigkeit, Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie.

Sofern der Tierarzt/die Tierärztin diese Aufklärungspflicht verletzen sollte, steht eine Schadensersatzpflicht im Raum, und zwar auch dann, wenn die Behandlung als solche den Regeln des veterinärmedizinischen Standards entsprochen hat, also lege artis war. Es ist also in prozessualer Sicht denkbar, dass ein Tierarzt/eine Tierärztin in einem Haftungsprozess alleine deshalb verurteilt wird, weil eine Aufklärung des Tierhalters nicht erfolgt ist oder aber – siehe oben – eine Aufklärung des Tierhalters nicht dokumentiert wurde und somit nicht bewiesen werden kann.

Aus anwaltlicher Sicht kann nur empfohlen werden, die relevanten Maßnahmen, Untersuchungsschritte, erhobenen Befunde, Diagnosen, Art und Dosierung der angewendeten Arzneimittel, Vitalparameter u. ä. genau zu dokumentieren. Das erleichtert eine Verteidigung und erhöht die Erfolgsaussichten in einem Haftungsprozess enorm.


Foto(s): privat

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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