Trotz Mordverdacht! Eduardo „Lalo“ Salamanca auf freiem Fuß. Untersuchungshaft in Deutschland.

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Weshalb ist es in Deutschland so schwer, gegen Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden?

Hier und in meinen Videos erkläre ich dies.


In der Netflix Serie Better Call Saul wird Eduardo Lalo Salamanca wegen Mordverdachts von der Polizei verhaftet. Bei der Eröffnung des Haftbefehls kommt er dennoch gegen eine Kautionszahlung frei.  

Das ist weder eine verrückte Idee des Drehbuchautors, noch liegt es an den Fähigkeiten seines Verteidigers Saul Goodmans.

In den USA ist dies der Normalfall, dass Beschuldigte einer Straftat bis zur Verhandlung auf freiem Fuß sind. Die Unschuldsvermutung ist in den USA nicht nur eine leere Worthülse. 

Wie sieht es aber hier bei uns in Deutschland aus?  Wie schnell kommt man in Untersuchungshaft? Für welche Straftaten kann man in Untersuchungshaft kommen? Was kann man dagegen tun, wenn man in Untersuchungshaft kommt.


30.000 Menschen in Untersuchungshaft

In Deutschland waren im Jahr 2021 rund 30.000 Menschen in Untersuchungshaft. 

Untersuchungshaft ist immer Freiheitsberaubung von Unschuldigen durch einen Staat. Ob jemand tatsächlich eine Straftat begangen hat und schuldig oder auch nicht, ist, entscheidet erst und immer ein Strafgericht mit seinem Strafurteil. Solange dieses nicht gefallen und rechtskräftig ist, gilt man als unschuldig.

Seit 30 Jahren nehmen in Deutschland die Straftaten  jedes Jahr kontinuierlich ab. Obwohl der Gesetzgeber jedes Jahr neue Strafvorschriften erlässt und zusätzliche, bisher straffreie, Verhaltensweisen unter Strafe stellt.  

Besonders gravierend war hier im Jahr 2016 die Strafverschärfung und die neuen Strafvorschriften im Bereich Sexualstrafrecht, Mit der zahllose Handlungen zusätzlich unter Strafe gestellt wurden, die bis dahin straffrei waren. Alleine dadurch wurden hunderttausende zusätzliche Strafverfahren eingeleitet. 

Im gleichen Zeitraum hat die Anzahl der Menschen die in Untersuchungshaft genommen wurden, aber immer mehr zugenommen.

Alleine im Jahr 2021 waren rund 30.000 Menschen in Deutschland in Untersuchungshaft. 


Wie kann das sein?

Immer weniger Straftaten und gleichzeitig immer mehr Menschen in Untersuchungshaft? 

Erstmal ein Blick über unsere Landesgrenzen hinaus. 

In den USA muss nahezu niemand, der einer Straftat verdächtigt wird, in Untersuchungshaft.  Grund ist das sogenannte „Bail“-System, welches im Grundsatz für jeden Tatverdächtigen einen Anspruch beinhaltet, unter gewissen Bedingungen bis zum Prozess freizukommen.

Die Unschuldsvermutung wird dort also sehr stark bewertet.  

Prominente Beispiele sind: 

So wurde der Popstar Michael Jackson des Kindesmissbrauchs verdächtigt und kam gegen Kaution frei. Bernhard Madoff wurde verdächtigt den größten Anlagebetrug aller Zeiten mit 65 Milliarden Dollar Schaden begangen zu haben. Auch er kam gegen Kaution frei. Gleiches galt für den Sänger R Kelly. Er wurde zahlloser Sexualstraftaten verdächtigt und kam auch bis zur Verhandlung auf freien Fuß. 

Meist erfolgt in den USA die Freilassung mit Auflagen. Auflagen können sein, Kautionszahlung, Tragen einer elektronischen Fußfessel, Abgabe der Ausweise bzw. Pässe oder Hausarrest.

In Deutschland wären diese Fälle nahezu unmöglich. Auch bei kleinsten Delikten wie zum Beispiel Ladendiebstahl, besteht die Gefahr in Untersuchungshaft mit faktisch zeitlich unbegrenzter Dauer genommen zu werden. 

Der Altkommunarde Fritz Teufel saß zum Beispiel über 5 Jahre in Untersuchungshaft. Auch der NPD-Politiker Ralf Wohlleben befand sich bis Juli 2018 insgesamt sechs Jahre und acht Monate in Untersuchungshaft. Spitzenreiter war aber ein der Brandstiftung Beschuldigter in Düsseldorf, der über 8 Jahre in Untersuchungshaft saß.

Ganz schön lange Zeit.

Läuft da etwa in Deutschlands Strafjustiz etwas schief? Kommt man zu schnell in den Knast?


Um ein Untersuchungshaft zu kommen, muss ein Grund, der sogenannte Haftgrund vorliegen.

Haftgründe sind:

  • Flucht oder Fluchtgefahr
  • Verdunkelungsgefahr
  • Wiederholungsgefahr
  • absoluter Haftgrund
  • apokryphe Haftgründe

Fluchtgefahr ist mit 94 % der absolut häufigste Haftgrund.

Nur diesen Haftgrund schauen wir uns hier genauer an.
 Zuerst fällt auf, dass statistische Daten für diese Frage in Deutschland kaum zu ermitteln sind. Das gilt übrigens für den ganzen Bereich Strafverfolgung und Strafrecht. Statistische Daten sind kaum vorhanden.


Warum wohl gibt es keine statistische Daten?

In nahezu jedem Unternehmen, gesellschaftlichen oder auch politischen Lebensbereich werden statische Daten erhoben. Nur mit solchen Daten kann man feststellen, welche Entscheidungen in der Vergangenheit falsch oder fehlerhaft waren und für die Zukunft versuchen diese Fehler nicht wieder zu machen.

Das Fehlen statischer Daten in der Strafjustiz kann deshalb 3 Gründe haben:

  1. Strafrichter und Staatsanwälte arbeiten immer und ausnahmslos fehlerfrei. Sie sind perfekt und arbeiten perfekt. Deshalb braucht man keine Daten. Diese Eigenwahrnehmung haben nicht wenige  Strafrichter und Staatsanwälte von sich selbst.
  2. Strafrichter und Staatsanwälte wissen, dass auch sie falsche und fehlerhafte Entscheidungen treffen. Ohne eine Evaluierung durch statische Daten, können diese Fehler aber nicht aufgedeckt werden.
  3. Strafrichter und Staatsanwälte sind auch nur Menschen und machen wie jeder andere auch bei ihrer Arbeit Fehler. Naturgemäß ist dies die Sichtweise vieler Strafverteidiger.

Dank der Arbeit unserer Kollegin, Strafverteidigern Dr. Lara Wolf und dem Richter am Kammergericht Berlin, Detlef Lind, lassen sich die Fehler bei Haftbefehlen wegen angeblicher Fluchtgefahr jetzt deutlicher erkennen.

Frau Dr. Wolf hatte alle 169 Beschuldigtenakten ausgewertet, in denen es vor den Oberlandesgerichten um den Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz durch Staatsanwaltschaft/die Gerichte für Beschuldigte in Untersuchungshaft geht.

Diese Oberlandesgerichte bejahten zwar auch weiterhin die Fluchtgefahr so wie auch der ursprüngliche Haftrichter, aber wegen mangelnder
 Beschleunigung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft/die Gerichte wurden die Beschuldigten auf freien Fuß gesetzt.

155 dieser Beschuldigten (= 91,7 %)  haben sich dann der Strafverhandlung gestellt, nur 14 (= 8,3 %) haben sich der Strafverhandlung entzogen.


91,7 % der Entscheidungen des Haftrichters und des angerufenen Beschwerdegerichts bezüglich einer Fluchtgefahr waren falsch


 Im Ergebnis waren daher 91,7 % der Entscheidungen des Haftrichters und des angerufenen Beschwerdegerichts bezüglich einer Fluchtgefahr falsch.

 Jedes privatwirtschaftliche Unternehmen, dass so fehlerhaft arbeitet, würde innerhalb kürzester Zeit, pleitegehen. Jede Regierung, die so viele Fehler macht, würde blitzschnell abgewählt werden.

In der Strafjustiz ändert sich aber nichts.

Weiter stellte sich bei der Auswertung von Frau Dr. Wolff heraus, dass in 42 % der Verfahren am Ende lediglich eine Bewährungsstrafe, Geldstrafen, Verfahrenseinstellungen oder Freisprüche standen.

Hier war bei ex post Betrachtung, die Untersuchungshaft unverhältnismäßig.


27.500 Inhaftierte fälschlicherweise in Untersuchungshaft

Insofern waren in Deutschland im Jahr 2021 rund 27.500 Inhaftierte fälschlicherweise in Untersuchungshaft.

Der Richter am Kammergericht Berlin, Detlef Lind, hat für diesen Problembereich alle in seinem Senat (der 4. Senat) getroffenen Entscheidungen der Jahre 2009 bis 2016 ausgewertet, in denen der Senat zugunsten von Beschuldigten entschieden hat (also Haftbefehl außer Vollzug gesetzt oder aufgehoben hat).

Er wertete nur die Entscheidungen aus, die auch mit Fluchtgefahr zu tun hatten (sei es durch den Senat, die Generalstaatsanwaltschaft oder die unteren Gerichte), auch wenn der Senat sich dazu nicht tragend äußerte.

In den 64 Fällen (mit 65 Beschuldigten) floh nur einer, der Rest nicht.

Nur in 1,54 % der Fälle bestätigte sich also die Fluchtprognose. In 98,46 % der Fälle waren die Entscheidungen bzw. Einschätzungen des Haftrichter oder der Staatsanwaltschaft zur Fluchtgefahr und Verhängung von Untersuchungshaft aber schlicht und ergreifend falsch.

Angesichts dieser hohen Fehlerquote empfehlen wir als Strafverteidiger, wenn euch Untersuchungshaft droht, sucht euch einen erfahrenen Strafverteidiger und geht mit allen Rechtsmitteln dagegen vor.


Weitere Infos finden Sie unter:

GLÜCK - Kanzlei für Strafrecht

Foto(s): GLÜCK - Kanzlei für Strafrecht

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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