Ukraine-Krieg: Rechtliche Rahmenbedingungen für Zuflucht in Deutschland

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Der aktuelle Ukraine-Krieg hat die Frage aufgeworfen, wie der - zumindest vorrübegehende - Schutz bzw. Aufenthalt von Zivilpersonen aus der Ukraine in Deutschland sichergestellt werden kann. Dies betrifft sowohl ukrainische Staatsangehörige, die sich aktuell in Deutschland für einen Kurzaufenthalt befinden als auch Zuflucht suchende Menschen aus der Ukraine.

Verlängerung des visumsfreien Kurzaufenthalts

Inhaber eines biometrischen ukrainischen Passes sind gemäß Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Anhang II EU-VO 2018/1806 von der Pflicht, beim Überschreiten der Außengrenzen der Schengen-Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums zu sein, befreit. Der Aufenthalt ist auf 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen beschränkt. Aufgrund der Visumsbefreiung  ist die Verlängerung von Schengen-Visa aus humanitären oder schwerwiegenden persönlichen Gründen nach § 6 Abs. 2 S. 2 AufenthG i. V. m. Art. 33 Visakodex mittlerweile überholt. Vielmehr kommt Art. 20 Abs. 2 des Schengener Durchführungsabkommens (SDÜ) zur Anwendung. Danach kann jede Vertragspartei, den Aufenthalt eines Drittausländers in ihrem Hoheitsgebiet in Ausnahmefällen über 90 Tage hinaus verlängern. Entsprechende Anträge sind bei der zuständigen Ausländerbehörde zu stellen.

Das Bundesinnenministerium hat mit Erlass vom 24. Februar 2022 folgende Hinweise an die Innenministerien der Bundesländer verschickt:

„BMI geht davon aus,

dass derzeit davon auszugehen ist, dass für ukrainische Staatsangehörige aufgrund der derzeitigen Lage in der Ukraine ein Ausnahmefall im Sinne des Artikels 20 Absatz 2 des Schengener Durchführungsabkommens vorliegt. Somit könnten ukrainische Staatsangehörige gem. § 40 AufenthV nach Einreise eine Aufenthaltserlaubnis für einen weiteren Aufenthalt von 90 Tagen, der sich an einen Kurzaufenthalt anschließt, einholen, soweit diese keine Erwerbstätigkeit mit Ausnahme der in § 17 Abs. 2 genannten Tätigkeiten ausüben, vgl. § 40 Nr. 2 AufenthV. Hiesigen Erachtens nach ist Rechtsgrundlage für die Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG.“

Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis

Ukrainische Staatsangehörige können nach § 39 S. 1 Nr. 3 AufenthV einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Nach § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG gilt der Aufenthalt des Ausländers bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Dass BMI geht davon aus, dass es gemäß § 5 Ab. 2 S. 2 Alt. 2 AufenthG aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ukrainischen Staatsangehörigen derzeit nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen und somit vom Vorliegen den Voraussetzungen gem. § 5 Absatz 2 Satz 1 durch die Ausländerbehörden abgesehen werden sollte.

In Betracht kommt etwa eine Familienzusammenführung nach den Vorschriften der §§ 28 – 36a AufentG. Beim Nachzug sog. sonstiger Familienangehöriger i. S. d. § 36 Abs. 2 AufenthG, z. B. den Eltern eines volljährigen Deutschen oder Ausländers, ist zu beachten, dass Umstände, die sich aus den allgemeinen Lebensverhältnissen im Herkunftsland ergeben, grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Es wird auf das familiäre Angewiesensein abgestellt, die sich nur aus individuellen Besonderheiten des Einzelfalls ergeben kann (z. B. Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, psychische Not). Ein Zusammenhang zwischen dem aktuellen Ukraine-Krieg und einer psychischen Not, was ggf. mit einem qualifizierten ärztlichen Attest nachzuweisen wäre, könnte den Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnen.

Derzeit wird darüber hinaus diskutiert, ob ukrainische Staatsangehörige sogenannten „vorübergehenden Schutz“ nach § 24 AufenthG erhalten können. Die Europäische Union prüft derzeit, für ukrainische Staatsangehörige ein erleichtertes Verfahren für den weiteren Aufenthalt einzuführen. Damit wäre ein Asylantrag nicht mehr erforderlich. Es soll von der sogenannten Massezustroms-Richtlinie der EU Gebrauch gemacht werden. Bei diesem bislang weitgehend ungenutzten Mechanismus, wird eine EU-weit koordinierte Aufnahme von Flüchtenden in Gang gesetzt, die keine individuellen und langwierigen Asylverfahren durchmachen müssen und denen ein vorübergehender Schutz mit bestimmten Mindeststandards gewährt wird. Es bedarf eines qualifizierten Mehrheitsbeschlusses über das Vorliegen eines „Massenzustroms von Vertriebenen“. Als Konsequenz würde der „vorübergehende Schutz“ für die im Ratsbeschluss entsprechend definierte Personengruppe in allen Mitgliedstaaten der EU gelten (Art. 5 Richtlinie 2001/55/EG).

Nach Ansicht des BMI kann auch nach § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG (Auffangvorschrift) eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Danach kann in begründeten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen vom Aufenthaltsgesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden.

Asylverfahren

Alternativ müsste ein Verfahren über die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG durchlaufen werden. Subsidiärer Schutz wäre im vorliegenden Fall auch grundsätzlich zu gewähren, da in der Ukraine eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit von Zivilpersonen infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vorliegt (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AsylG), wobei das Vorliegen der Rahmenbedingungen für die Gewährung internen Schutzes in der Ukraine höchst fraglich erscheint.

Foto(s): Na'amal

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