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Unfall mit Kreuzungsräumer – wer haftet?

  • 4 Minuten Lesezeit
Sandra Voigt anwalt.de-Redaktion

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Jeder Autofahrer hat diese Situation schon einmal erlebt: Man fährt bei Grün auf eine Kreuzung und muss – z. B. aufgrund eines Rückstaus – mitten auf der Straße stehen bleiben. Da die Grünphase stets nur einige Sekunden anhält, will man natürlich die Kreuzung so schnell wie möglich wieder räumen. Hier ist es jedoch wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wer nämlich blindlings die Kreuzung verlässt, ohne auf den Quer- oder Gegenverkehr zu achten, und dabei einen Unfall verursacht, könnte für den entstandenen Schaden allein haften.

Kollision auf der Kreuzung

Endlich! Als die Ampel auf Grün schaltete, wollte eine Autofahrerin geradeaus eine Kreuzung überqueren. Sie kam allerdings nicht weit: Bereits kurz hinter der Ampel musste sie im Kreuzungsbereich verkehrsbedingt erneut anhalten. Wenige Sekunden später wurde die Lichtzeichenanlage hinter ihr wieder rot, stattdessen bekam nun der Querverkehr grün. Als bereits einige Autos an ihr vorbeigefahren waren, bemerkte sie im Querverkehr eine Lücke und gab Gas. Hierbei hatte sie allerdings einen Autofahrer übersehen, der sich von links näherte. Dieser hatte das Auto im Kreuzungsbereich zwar wahrgenommen, war aber davon ausgegangen, dass dessen Fahrer stehen bleibt. Prompt kam es zur Kollision.

Als der Autofahrer Schadenersatz verlangte, erstattete die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung lediglich 2/3 des Schadens. Schließlich habe der Autofahrer den Unfall mitverursacht, als er einfach bei Grün – also mit „fliegendem Start“ – losgefahren sei, ohne der Autofahrerin die Möglichkeit zu geben, die Kreuzung zu räumen. Der Streit der beiden endete vor Gericht.

Alleinige Haftung der Kreuzungsräumerin

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm kam zu dem Ergebnis, dass die Kreuzungsräumerin den Unfall allein verursacht hat und daher auch für den entstandenen Schaden geradestehen muss.

Vorfahrt für Kreuzungsräumer?

So hatte sie gegen § 1 II Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen. Danach muss man sich im Straßenverkehr so verhalten, dass niemand gefährdet, belästigt oder geschädigt wird.

Kreuzungsräumer müssen dabei Folgendes beachten: Wenn sie bei Grün auf eine Kreuzung fahren und dort – z. B. wegen Rückstaus – stecken bleiben, sind sie gegenüber dem Querverkehr bevorrechtigt und dürfen die Kreuzung zügig räumen, selbst wenn die Ampel für sie mittlerweile rot anzeigt.

Allerdings dürfen sie ihre Weiterfahrt nicht erzwingen oder sich blindlings darauf verlassen, dass der Querverkehr sie auch vorbeilässt. Vielmehr sind sowohl der Quer- als auch der Gegenverkehr besonders vorsichtig zu beobachten. Dies gilt umso mehr, je länger sie im Kreuzungsbereich stehen und warten, denn dann müssen sie stärker mit einer erneuten Ampelschaltung sowie sich näherndem Quer- oder Gegenverkehr rechnen. Der wiederum darf davon ausgehen, dass der Nachzügler, der bereits eine Weile im Kreuzungsbereich wartet, dort stehen bleibt, bis die Ampel in seiner Fahrtrichtung wieder grün anzeigt.

Freie Einfahrt in den Kreuzungsbereich?

Vorliegend hatte die Autofahrerin bereits eine Weile im Kreuzungsbereich gestanden. Sie hätte also nicht einfach blindlings und zügig mitten auf die Kreuzung fahren dürfen. Stattdessen hätte sie sich vergewissern müssen, dass die Kreuzung frei ist und sie bei ihrer Weiterfahrt keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet. Demgegenüber hatte der von links herannahende Fahrer die Nachzüglerin zwar entdeckt – weil sie dort aber schon eine Zeitlang stand und einige Fahrzeuge hatte passieren lassen, durfte er auch davon ausgehen, dass sie nicht plötzlich Gas gibt, um vor ihm über die Kreuzung zu kommen.

Kein „fliegender Start“

Übrigens: Ein von der Unfallverursacherin vermuteter „fliegender Start“ lag nicht vor. Dazu hätte der Unfallgegner beim Umschalten der Ampel von Rot auf Grün bzw. kurz danach stark beschleunigen und in den Kreuzungsbereich fahren müssen. Vorliegend war aber bereits einige Zeit vergangen, bis der Unfallgegner über die grüne Ampel fahren konnte – er musste schließlich warten, bis die Fahrzeuge vor ihm Gas gegeben hatten und in die Kreuzung eingefahren waren.

Anrechnung der Betriebsgefahr?

Das Gericht erkannte dagegen kein Fehlverhalten beim Autofahrer. Weil jedoch auch er bei Betrieb seines Fahrzeugs in den Unfall verwickelt worden war, müsste eigentlich die Betriebsgefahr des Kfz angerechnet werden. Vorliegend war jedoch das verkehrswidrige Verhalten der Kreuzungsräumerin so schwer, dass die Betriebsgefahr ihres Unfallgegners dahinter zurücktrat. Die Frau war daher zu 100 Prozent schadenersatzpflichtig.

Fazit: Gerade an Kreuzungen kommt es immer wieder zu Unfällen – mehrspurige Fahrbahnen, viele Ampeln und Abzweigungen können so manchen Autofahrer leicht überfordern. Auch hektische Spurwechsler, die zu spät merken, dass sie eigentlich abbiegen müssen, gefährden die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer. Ist die Verkehrslage unübersichtlich, sollte man daher besonders vorsichtig fahren und nicht immer auf sein Recht bestehen. Dann lassen sich viele Unfälle vermeiden.

(OLG Hamm, Urteil v. 26.08.2016, Az.: 7 U 22/16)

(VOI)

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