Virtuell im Gerichtssaal?

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Rechtsberatung per Telefon oder E-Mail ist seit vielen Jahren gängig und gelebte Praxis. Erreichbarkeit und schnelle, pragmatische Antworten sind der Schlüssel für eine gute, vertrauensvolle und erfolgreiche Mandatsbeziehung. Spätestens seit der Corona-Pandemie gehören auch Videokonferenzen zum Tagesgeschäft. Das persönliche Mandantengespräch in der Kanzlei ist selten geworden.

Eine relativ neue Entwicklung sind die sogenannten Online-Verhandlungen. § 128a ZPO, der dies bereits seit 2002 (theoretisch) ermöglichte, fristete jedoch ein Schattendasein. Zumeist fehlte es den Gerichten ohnehin an der notwendigen technischen Ausstattung zur Durchführung einer Online-Verhandlung. Erst während der Corona-Pandemie begannen die Gerichte technisch aufzurüsten und die Online-Verhandlung begann an Bedeutung.

Was verbirgt sich hinter einer Online-Verhandlung?

Nach § 128a ZPO in seiner aktuellen Fassung kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen den Prozessbevollmächtigten und Parteien (das sind: Sie) gestatten, sich während der Verhandlung an einem anderen Ort (gemeint ist: ein anderer Ort als der Gerichtssaal) aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen (gemeint sind: Erklärungen abzugeben und insbesondere Anträge zu stellen) vorzunehmen. 

Ob das Gericht einem solchen Antrag stattgibt oder nicht, liegt im Ermessen des Gerichts. Hier kommt es zu starken regionalen Unterschieden. Manche Gerichte gestatten die Online-Verhandlung generell, soweit die technische Ausstattung vorhanden ist, manche Gerichte verfügen allerdings bis heute nicht über die notwendige Ausstattung oder über zu wenig hiervon - die Auskunft der Geschäftsstelle lautet dann in der Regel: Der Saal mit der Videokonferenztechnik steht nicht zur Verfügung. Meint, der Saal ist tatsächlich belegt oder die Technik defekt).  Manch Vorsitzender verweigert sich offenbar gänzlich modernen Entwicklungen und gibt entsprechenden Anträgen aus Prinzip nicht statt. Kanzleien führen ganze Listen von Erfahrungswerten, welche Gerichte / Spruchkörper für eine Online-Verhandlung zu haben sind und welche nicht.

Wie läuft eine Online-Verhandlung ab?

Wird die Online-Verhandlung gestattet, gleicht der Ablauf prinzipiell jeder anderen Videokonferenz. Mit einer Ausnahme: Das Gericht muss nach der derzeitigen Rechtslage zwingend im Verhandlungssaal anwesend sein und nimmt nicht selbst aus einem Büro teil. Dies deshalb, da auch während einer Online-Verhandlung die Öffentlichkeit sichergestellt sein soll, d.h. jeder interessierte Bürger soll die Möglichkeit haben, der Verhandlung im Sitzungssaal zu folgen. Aus diesem Grund befinden sich im Sitzungssaal große Bildschirme, auf denen die Verfahrensbeteiligten für das Gericht und die im Saal anwesende Öffentlichkeit übertragen werden. Übrigens kann auch hybrid verhandelt werden: Nicht unüblich ist, dass nur eine Seite per Video teilnimmt und die andere Seite im Saal anwesend ist.


Der Verfahrensablauf unterscheidet sich ab diesem Zeitpunkt kaum von einer „normalen“ Verhandlung in Präsenz. Abgesehen davon, dass die per Video zugeschalteten Teilnehmer anfänglich meist mit technischen Schwierigkeiten kämpfen, wie diese auch sonst aus Videokonferenzen bekannt sind. Geschuldet ist dies zum einen der unterschiedlichen Software, die von den einzelnen Bundesländern den Gerichten zur Verfügung gestellt wird. Zum anderen meist auf mangelnde Übung. „Sie sind noch auf ‚mute’.“ fällt so gut wie in jeder Online-Verhandlung.

Taktik: Zeitersparnis vs. Verhandlungsatmosphäre

Gut abzuwägen ist, ob eine Online-Verhandlung sinnvoll ist oder nicht.


Im Arbeitsrecht steht insbesondere in Kündigungsschutzprozessen der sogenannte Gütetermin im Fokus. Hier sollen die Parteien nach der Vorstellung des Gesetzgebers eine schnelle Einigung finden und der Rechtsstreit soll möglichst mit einem Vergleich erledigt werden. Erst wenn dies nicht gelingt, sind zwingend Schriftsätze zu fertigen um den sogenannten Kammertermin (die mündliche Verhandlung, in der der Rechtsstreit durch das Gericht mit einem Urteil entschieden werden soll) vorzubereiten. Gütetermine sind Massengeschäft. An einem üblichen Sitzungstag werden von den Arbeitsgerichten Güteverhandlungen in der Regel im 15-Minuten-Takt terminiert. Diese Termine wollen daher gut vorbereitet werden, da in dem kurzen Zeitfenster jedes Argument sitzen muss.

Pro Online-Verhandlung

Oftmals zeichnet sich jedoch bereits vor dem Termin ab, dass eine Einigung zwischen den Parteien praktisch ausgeschlossen ist, eine Partei möglicherweise ohnehin nicht erscheinen wird oder der wirtschaftliche Wert des Rechtsstreits für eine Partei so gering ist, dass sich die Anreise zum Termin kaum lohnt. In diesen Fällen überwiegt die Zeitersparnis den Aufwand für einen Termin in Präsenz, sodass eine Online-Verhandlung  stets in Betracht zu ziehen.

Contra Online-Verhandlung

Ist der Sachverhalt komplex und / oder erscheinen Verhandlungen mit der Gegenseite vor dem Gericht aussichtsreich, ist die persönliche Verhandlungsatmosphäre in einem Präsenztermin nicht zu unterschätzen. Dies beginnt schon damit, dass sich alle Beteiligten noch vor Aufruf der Sache kurz begrüßen können und freundliche Worte mit dem Gericht gewechselt werden können (in einem Maß, dass dies natürlich nicht zu einer Besorgnis der Befangenheit bei einer der Parteien führt) und eine positive Atmosphäre herbeigeführt werden kann. Dies fehlt bei einer Online-Verhandlung, bei der die Beteiligten zunächst vor einem schwarzen Bildschirm sitzen, bis die Sache aufgerufen wird und die Verhandlung unmittelbar beginnt.


Die Erfahrung zeigt zudem, dass es sich im Präsenztermin schlicht besser verhandelt. Nur hier kann der Anwalt sämtliche kleinen Regungen und die Körpersprache der Gegenseite oder des Gerichts wahrnehmen und für die eigene Partei nutzbar machen. Zudem fällt es in Präsenz deutlich leichter, die Verhandlung - was üblich ist - kurz zu unterbrechen und sich mit seinem Mandanten im Anwaltszimmer zu beraten und die nächsten Verhandlungsschritte zu besprechen. Online fehlen hierfür geeignete Möglichkeiten. Virtuelle „Breakout-Räume“ sind in der Regel nicht verfügbar.

Fazit

Online-Verhandlungen sind ein sinnvolles und zeitgemäßes Instrument. Es ist zu begrüßen, wenn mehr und mehr Gerichte über die notwendige technische Ausstattung verfügen und Anträgen auf Online-Verhandlung stattgegeben wird.


Die Online-Verhandlung sollte daher auch zum Rüstzeug des Anwalts gehören. Sie ist aber wohldosiert und gut überlegt einzusetzen.  

Foto(s): https://guidorottmann.de

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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