Völkerrechtswidrige Entführung bei geheimdienstlicher Agententätigkeit (Berliner Vietnamesenfall 17)

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§ 99 StGB bestraft die „einfache“ nachrichtendienstliche Tätigkeit ohne Beschränkung auf Staatsgeheimnisse im Inland.

Aber auch im Ausland begangene Taten werden wegen ihres besonderen Inlandsbezug bestraft. Dies sind die klassischen Staatsschutzdelikte (§§ 94–100 a StGB) und unterfallen § 5 StGB, wonach die Auslandstaten gegen inländische Rechtsgüter verfolgt und bestraft werden:

Landesverrat, Offenbarung von Staatsgeheimnissen, landesverräterisches Ausspähen, Auskundschaften von Staatsgeheimnissen, Preisgabe von Staatsgeheimnissen, Verrats illegaler Geheimnisse, landesverräterische Agententätigkeit, geheimdienstliche Agententätigkeit, Unterhaltung von friedensgefährdenden Beziehungen und die landesverräterische Fälschung.

Der BGH (Beschluss vom 07.08.2019, Aktenzeichen 3 StR 562/18) hat neulich erst wieder die Voraussetzungen einer geheimdienstlichen Agententätigkeit und die Folgen einer völkerrechtswidrigen Entführung anhand des Berliner Vietnamesen-Agentenfalls skizziert:

Fall – Historie

Der vietnamesische Geheimdienst hat 2017 einen früheren Geschäftsführer eines staatlichen vietnamesischen Unternehmens aus Deutschland nach Vietnam entführt, dessen Auslieferung war vorher gescheitert. Der Entführte war 2016 nach Deutschland gekommen und hatte politisches Asyl beantragt. In der Zwischenzeit wurde er in Vietnam in 2 Verfahren unter anderem wegen Untreue jeweils zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der aus Vietnam stammende Angeklagte, der selbst kein Mitglied des vietnamesischen Geheimdienstes ist, war in der Operation eingebunden, beschaffte mehrere im Rahmen der geheimdienstlichen Operation verwendete Fahrzeuge und half bei Beseitigung von Spuren (so die im Urteil die Feststellungen des Kammergerichts Berlin).

Das KG/der BGH in seinen Entscheidungen:

Der BGH bestätigte die Verurteilung des Kammergerichts nach § 99 StGB:

Danach wird, wer für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, oder gegenüber dem Geheimdienst einer fremden Macht oder einem seiner Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt, mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheim gehalten werden, mitteilt oder liefert und wenn er eine verantwortliche Stellung missbraucht, die ihn zur Wahrung solcher Geheimnisse besonders verpflichtet, oder durch die Tat die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.

Der BGH bestätigt, dass eine geheimdienstliche Tätigkeit ausübt, wer eine aktive Mitarbeit für einen fremden Nachrichtendienst entfaltet und dadurch seine Bereitschaft verwirklicht, sich funktionell in dessen Ausforschungsbestrebungen einzugliedern, ohne dass damit eine Eingliederung in den organisatorischen Apparat des Geheimdienstes verbunden sein muss .

Die geheimdienstliche Tätigkeit muss zudem auf die Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet sein, davon werden alle Vorbereitungshandlungen und Hilfedienste erfasst. Das Merkmal „gegen die Bundesrepublik Deutschland“ ist nicht im Sinne eines unmittelbaren gegen den Bestand der Bundesrepublik oder gegen ihre staatlichen Institutionen gerichteten Handelns zu verstehen, sondern es genügt die Tätigkeit gegen die Interessen der BRD. Es reicht aus, wenn staatliche Belange zumindest mittelbar berührt sind und die BRD in ihrer funktionalen Stellung als politische Macht betroffen ist.

Der BGH bestätigt auch die Verurteilung wegen Freiheitsberaubung gem. § 239 StGB und führt aus, dass eine solche zwar gerechtfertigt sein kann, wenn sie sich als Freiheitsentziehung auf tragfähiger gesetzlicher Grundlage darstellt. Dies setzt allerdings voraus, dass die rechtlichen Grenzen der Eingriffsgrundlage nicht überschritten werden. Wird aber das vorgeschriebene Verfahren zum Zweck der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme wie hier – gar nicht erst betrieben – sondern umgangen, kann sogar in denjenigen Fällen eine rechtswidrige Freiheitsberaubung vorliegen, in denen die sachlichen Grenzen der Eingriffsgrundlage nicht überschritten werden. 

Wird aber das vorgeschriebene zum Zweck der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme – wie hier – gar nicht erst betrieben, sondern umgangen, kann sogar in denjenigen Fällen eine rechtswidrige Freiheitsberaubung vorliegen, in denen die sachlichen Voraussetzungen gegeben waren. Rechtsfolge einer solchen Verletzung des Völkerrechts ist grundsätzlich, dass der daraus resultierende Schaden gegenüber dem verletzten Staat im Ganzen wiedergutzumachen ist. 

Bei einer völkerrechtswidrigen Entführung bedeutet dies, dass der Entführte an den Aufenthaltsstaat zumindest dann zurückzugeben ist, wenn dieser – wie geschehen – die Rückgabeverpflichtung ausdrücklich gegenüber dem Entführerstaat geltend macht.

Diese Vorgaben zu berücksichtigen und vor Gericht auf ihren Bestand hin in einer Beweisaufnahme kritisch zu überprüfen ist Aufgabe eines visierten Strafverteidigers in Agentenfällen.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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