Wie aus „echten Fällen“ „Scripted Realitiy“ wurde - Vor 15 Jahren startete „Richterin Barbara Salesch"

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Im Herbst 1999 startete auf Sat.1 ein neuartiges Format mit einer damals völlig unbekannten rothaarigen, etwas rundlichen Richterin. Niemand konnte sich seinerzeit ernsthaft vorstellen, dass heute, genau 15 Jahre später, dieses Format noch immer fast täglich, wenn auch als Wiederholung in der Dauerschleife, über den Äther geht und Frau Salesch einen höheren Bekanntheitsgrad entwickelt hat als manch hochrangiger Bundespolitiker.

Zunächst versuchten die Kölner Firma filmpool Film- und Fernsehproduktion GmbH und Sat.1 mit echten Zivilrechtsfällen das Publikum zu überzeugen. Frau Salesch kam damals als Vorsitzende Richterin vom Landgericht Hamburg nach Köln, nachdem sie aus einer Unzahl von gecasteten Juristen als perfekte Protagonistin herausgefiltert worden war. Als privates, unabhängiges Schiedsgericht sollte sie nun den Streit realer Personen durch ein rechtskräftiges Schiedsurteil vor laufenden Kameras entscheiden. Durch den Umweg über das private Schiedsverfahren war es möglich, das im Gerichtsverfassungsgesetz (§ 169 GVG) verankerte Filmverbot in deutschen Gerichtssälen zu umgehen.

In Erinnerung geblieben ist das Schiedsgericht vor allem wohl durch den im sächsischen Auerbach beheimateten Streit zwischen Frau Z. und Herrn T., die sich wegen eines Knallerbsenstrauchs und eines Maschendrahtzauns in die Haare bekommen hatten. Dass dieser Fall vielen Menschen bis heute noch präsent ist, liegt nicht zuletzt an dem dadurch inspirierten Countrysong „Maschen-Draht-Zaun“ von Stefan Raab, der 1 x Gold und 2 x Platin einheimste.

Der große Erfolg beim Publikum blieb dem Schiedsgericht von Frau Salesch dennoch verwehrt. Das führte dazu, dass sich die Verantwortlichen von Sender und Produktionsfirma nach einem Jahr dazu entschlossen, von Zivilrecht auf Strafrecht umzuschwenken. Da hier kein Schiedsverfahren mehr möglich war, wurden die realen Personen einfach durch Komparsen ersetzt und statt eines völlig offenen Verhandlungsverlaufes gab es nun ein von einer Redaktion erstelltes Drehbuch.
Mit dieser Veränderung stellte sich bei „Richterin Barbara Salesch“ endlich der Erfolg ein. Die Quote ging steil nach oben und durchschlug mehrfach die magische 30 %-Grenze. Im Jahr 2002 erhielt Frau Salesch den Deutschen Fernsehpreis für die “beste tägliche Sendung”.

Als Folge dieses überwältigenden Erfolgs wurde das Format gleich mehrfach kopiert („Richter Alexander Hold“ (Sat.1), „Das Jugendgericht“ (RTL), „Das Familiengericht“ (RTL), „Das Strafgericht“ (RTL)), so dass der Fernsehnachmittag bald von Robenträgern dominiert wurde. In einer späteren Phase verließ man den Gerichtssaal wieder, der juristische bzw. kriminalistische Grundinhalt blieb aber bestehen. Formate wie „Niedrig und Kuhnt – Kommissare ermitteln“ (Sat.1), „Verklag mich doch!“ (Vox), „Betrugsfälle“ und „Verdachtsfälle“ (beide RTL) seien an dieser Stelle erwähnt.

Als Frau Salesch Anfang 2012 auf eigenen Wunsch hin das Handtuch warf, die Richterrobe mit dem Malerkittel eintauschte und keine neuen Folgen von „Richterin Barbara Salesch“ mehr produziert wurden, ging auch der „Court-Show“ – Boom langsam zu Ende. Die Formatform „Scripted Reality“ aber beherrscht noch bis heute mit überdurchschnittlichen Quoten den deutschen Fernsehnachmittag.

Dabei ist diese Art von Unterhaltungsfernsehen gesellschaftlich durchaus nicht unumstritten. So wird den Machern dieser Formate immer wieder vorgehalten, dass viele Zuschauer nicht mehr zwischen Realität und „Scripted Reality“ unterscheiden könnten und mit voller Absicht darüber getäuscht werden, dass die Handlungen frei erfunden sind.

Ob der Prozentsatz der „Ahnungslosen“ tatsächlich so hoch ist oder der überwiegende Teil der Zuschauer nicht fremdbestimmt diese Form der Unterhaltung auswählt, sei dahingestellt. Jedenfalls stand dieses Thema kürzlich sogar auf der Agenda der Landesmedienanstalten. In gemeinsamen Gesprächen haben die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) der Landesmedienanstalten und private Fernsehveranstalter im September 2014 deshalb Leitlinien für die Kennzeichnung und deren Wahrnehmbarkeit bei eigenproduzierten Scripted-Reality-Formaten entwickelt. Ziel soll dabei sein, den Zuschauern sender- und formatübergreifend eine einheitliche Transparenz und Orientierung zu ermöglichen. Die Sender sollen freiwillig und verantwortungsbewusst für das betreffende Format die passende Formulierung und Platzierung auswählen. – Ob die Zuschauer diese Neuerung am Ende überhaupt wahrnehmen bzw. ihr Programmwahlverhalten deshalb ändern, darf wohl bezweifelt werden.

Auch wenn das Genre „Scripted Reality“ nicht unumstritten ist, schon mehrfach totgesagt wurde und die Quoten über die Jahre nach und nach sanken, ist es den Privatsendern und Produktionsfirmen jedenfalls bis heute nicht gelungen, eine ähnlich erfolgreiche Alternative für den Fernsehnachmittag an den Start zu bringen.

Stefan Morbach
(Rechtsanwalt)

Rechtsanwalt Stefan Morbach von RENNER MORBACH Rechtsanwälte begann mit dem Start des Schiedsgerichts im Jahre 1999 seine Tätigkeit für die Firma filmpool Film- und Fernsehproduktions GmbH und Frau Salesch und begleitete das Format „Richterin Barbara Salesch“ von der ersten bis zur letzten der insgesamt knapp 2.500 Sendungen (2012). Bis heute berät und betreut er zahlreiche weitere Fernsehproduktionen juristisch-redaktionell.


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