Zugewinnausgleich nach Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung

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Nach dem aktuellen Schuldneratlas der Creditreform Wirtschaftsforschung sind aktuell 5,65 Millionen Verbraucher in Deutschland überschuldet. Dies entspricht einer Überschuldungsquote von über 8,15 %. In der Altersgruppe von 30 bis 39 Jahren beträgt diese sogar fast 14 %. Dementsprechend häufig suchen überschuldete Verbraucher nach einem Weg für einen wirtschaftlichen Neuanfang, wofür das Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung das Mittel der Wahl ist. Wie sich die Restschuldbefreiung auf die Scheidung und ein mögliches Zugewinnausgleichsverfahren auswirkt, erfahren Sie in diesem Artikel.

I. Zugewinnausgleich allgemein


Um dies zu verstehen muss man sich zunächst das Prinzip des Zugewinnes anschauen. Grob vereinfacht gesagt, erhält bei der Scheidung der Ehegatte, der während der Ehe weniger Vermögen erworben hat, von dem anderen Ehegatten einen Teil von dessen Vermögen:


  • § 1378 I BGB: Übersteigt der Zugewinn des einen Ehegatten den Zugewinn des anderen, so steht die Hälfte des Überschusses dem anderen Ehegatten als Ausgleichsforderung zu.


Unter Zugewinn versteht man dabei die Differenz des Vermögens zum Zeitpunkt der Eheschließung und zum Zeitpunkt der Scheidung.


An einem Beispiel lässt sich dies am besten veranschaulichen:


Ehegatte A hat zum Zeitpunkt der Heirat ein Vermögen in Höhe von 50.000,- € und zum Zeitpunkt der Scheidung in Höhe von 100.000,- €. Ehegatte B startet ohne Vermögen - aber auch ohne Schulden - in die Ehe und hat zur Scheidung ein Vermögen von 75.000,- € angespart.


Der Zugewinn des Ehepartners A beträgt in diesem Beispiel 50.000,- € (100.000,- € Endvermögen - 50.000,- € Anfangsvermögen). Der Zugewinn des Ehepartners B beträgt 75.000,- €. Damit übersteigt der Zugewinn von Ehepartner B den Zugewinn von Ehepartner A um 25.000,- €. Die Hälfte davon (12.500,- €) hat Ehepartner B als Zugewinnausgleich an Ehepartner A zu zahlen.


II. Hintergrund des Zugewinnausgleichs


Hintergrund dieser Regelung ist der Umstand, dass die Ehe nicht dazu führt, dass das Vermögen beider Ehegatten als Einheit zu betrachten ist. Vielmehr haben beide weiterhin ihr eigenes Vermögen. Trotzdem geht der Gesetzgeber davon aus, das beide Ehegatten während der intakten Ehe gemeinsam wirtschaften und der Frage, wem ein bestimmter Vermögensgegenstand formal zugeordnet wird, keine besondere Bedeutung beimessen. Ohne den Zugewinnausgleich würde dies bei einer Scheidung dazu führen, dass es vom Zufall abhängt, welcher Ehegatte vom gemeinsamen Wirtschaften während der Ehe mehr profitiert. Mit dem Zugewinnausgleich soll dagegen ein gerechter finanzieller Ausgleich geschaffen werden.


Auch hierzu wieder ein Beispiel:


Beide Ehegatten hatten zum Zeitpunkt der Heirat keinerlei Vermögen. Während der Ehe erzielten beide über ein gleich hohes Einkommen und kamen überein, dass die Lebenshaltungskosten vom Einkommen von Ehegatte A getragen werden und das Einkommen von Ehegatte B zum Vermögensaufbau genutzt wird. Da dessen Lebenshaltungskosten durch das Einkommen des Ehegatten A abgedeckt sind, kann er sein gesamtes Einkommen zum Erwerb von Wertpapieren verwenden. Zum Zeitpunkt der Scheidung verfügt er über Wertpapiere in Höhe von 200.000,- €. Dagegen beträgt das Vermögen von Ehegatte A weiterhin 0,- €.


Ohne den Zugewinnausgleichsanspruch würde Ehegatte A leer ausgehen, obwohl Ehegatte B nur deshalb so viel Vermögen aufbauen konnte, weil er nichts für seine Lebenshaltungskosten zahlen musste. Der Zugewinnausgleichsanspruch führt dazu, dass Ehegatte A von Ehegatte B 100.000,- € erhält und damit beide in gleicher Weise von dem Vermögenserwerb während der Ehezeit profitieren.


III. Berücksichtigung von Schulden


Dieses Grundprinzip gilt grundsätzlich auch dann, wenn einer der Ehegatten mit Schulden in die Ehe gestartet ist:


  • § 1374 BGB: 1) Anfangsvermögen ist das Vermögen, das einem Ehegatten nach Abzug der Verbindlichkeiten beim Eintritt des Güterstands gehört.
    ..
    (3) Verbindlichkeiten sind über die Höhe des Vermögens hinaus abzuziehen.


Für den Fall, dass die Schulden während der Ehezeit im Rahmen des gemeinsamen Wirtschaftens zurückgezahlt werden, ist dieses Ergebnis durchaus nachvollziehbar, da beide gemeinsam durch ein „Vermögensopfer“ in gleicher Höhe für einen Vermögenszuwachs gesorgt haben. Dass dieser „Vermögenszuwachs“ zu keinem sog. Aktivvermögen, sondern „lediglich“ zu einer Verringerung des Passivvermögens führt, ist letztlich unbeachtlich, wie das folgende Beispiel zeigt:


Ehepartner A startet mit 100.000,- € Schulden in die Ehe, Ehepartner B mit einem Vermögen in Höhe von 50.000,- €. Während der Ehe werden von den Schulden von Ehepartner A 50.000,- € zurückgezahlt und das Vermögen von Ehepartner B kann auf 100.000,- € erhöht werden.


Ohne Berücksichtigung der Schulden hätte Ehepartner A einen Zugewinn in Höhe von 0,- €, so dass Ehepartner B ihm 25.000,- € zahlen müsste, obwohl während der Ehe nicht nur 50.000,- € auf dessen Konto gezahlt wurden, sondern ein genauso hoher Betrag auf die Schulden von Ehepartner A. Durch die Berücksichtigung der Schulden hat auch Ehepartner A einen Zugewinn in Höhe von 50.000,- €, so dass beide einen Zugewinn in gleicher Höhe erzielt haben und keinem ein Zugewinnausgleichsanspruch zusteht.


IV. Auswirkung der Restschuldbefreiung auf den Zugewinnausgleich


Doch wie verhält es sich in dem Fall, dass der Abbau der Schulden nicht durch eine Rückzahlung aus dem gemeinsam erwirtschafteten Vermögen, sondern im Rahmen des Restschuldbefreiungsverfahrens erfolgt? In den allermeisten Fällen erfolgt dort gerade keine oder nur eine geringfügige Bezahlung der Schulden. Der größte Teil der Schulden wird vielmehr durch den Beschluss des Insolvenzgerichts über die Restschuldbefreiung schlichtweg erlassen. Der „Vermögenszuwachs“ erfolgt also nicht wie im vorangegangenen Beispiel durch ein Vermögensopfer in gleicher Höhe, sondern durch die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers, Insolvenzschuldnern unter bestimmten Voraussetzungen einen wirtschaftlichen Neuanfang durch Erlass sämtlicher Schulden zu ermöglichen.


Nichtsdestotrotz werden die im Rahmen der Restschuldbefreiung erlassenen Schulden bei der Berechnung des Zugewinns so behandelt wie tatsächlich zurückgezahlte Schulden, was im Extremfall zu äußerst ungerechten Ergebnissen führen kann, wie folgendes Beispiel zeigt:


Ehepartner A hat zum Zeitpunkt der Eheschließung Schulden in Höhe von 200.000,- € und befindet sich kurz vor Erteilung der Restschuldbefreiung. Ehepartner B hat kein Vermögen und auch keine Schulden.


Einen Monat nach der Eheschließung und ohne dass noch irgendein Betrag in die Insolvenzmasse gezahlt wurde, wird Ehepartner A Restschuldbefreiung erteilt. Während der intakten Ehe sparen dann beide Ehegatten ein Vermögen in Höhe von jeweils 100.000,- € an.


Man könnte jetzt auf die Idee kommen, dass beide gleich viel Vermögen angespart haben und deshalb keinem ein Zugewinnausgleichsanspruch gegen den anderen zusteht, da die Restschuldbefreiung ja nicht durch Zahlung aus dem gemeinsamen Vermögen, sondern allein durch die Entscheidung des Insolvenzgerichts eingetreten ist.


Tatsächlich ist es jedoch so, dass Ehepartner A während der Ehe formal einen Zugewinn von 300.000,- € erzielt hat (200.000,- € Schulden am Anfang + 100.000,- € Vermögen am Ende) und sein Zugewinn den Zugewinn des anderen Ehegatten um 200.000,- € übersteigt. Folglich muss er an den anderen Ehepartner einen Betrag in Höhe von 100.000,- € zahlen. Obwohl beide Ehegatten während der Ehe jeweils 100.000,- € angespart haben, steht Ehepartner A am Ende mit nichts, Ehepartner B dagegen mit einem Vermögen von 200.000,- € da.



V. Fazit


Wie das letzte Beispiel zeigt, kann das Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung bei einer Scheidung zu extrem ungerechten Ergebnissen bis hin zum Totalverlust des Vermögens führen. Umso wichtiger ist es daher, die Auswirkungen der Restschuldbefreiung frühzeitig auch unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen und negative Auswirkungen durch geeignete Gestaltungen und Strategien zu vermeiden. So macht es beispielsweise meistens wenig Sinn, nach der Trennung aber vor der Scheidung Restschuldbefreiung zu beantragen. Auch eine Heirat kurz vor Erteilung der Restschuldbefreiung sollte gut überlegt sein. Unter Umständen kann auch ein Ehevertrag helfen, negative Folgen zu vermeiden.


Weitere Informationen zum Zugewinnausgleich und sämtlichen anderen Fragen rund um das Thema einvernehmliche Ehescheidung finden Sie auf der Internetseite des Autors, Anwalt für Familienrecht Enrico Eichhorn.


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