10 fundamentale IP-Empfehlungen: 7. Verstehen Sie die vielfältigen Varianten des Schutzes von technischen Erfindungen!

  • 9 Minuten Lesezeit

Meine bisherigen IP-Empfehlungen in dieser Serie: 


1. Vermeiden Sie diesen existentiellen Fehler!

2. Kennen Sie Ihre Schutzmöglichkeiten!

3. Priorisieren Sie die frühe IP-Generierung!

4. Folgen Sie einer IP-Strategie!

5. Vergessen Sie den Designschutz nicht!

6. Vergessen Sie das Gebrauchsmuster nicht!



Doch nun zum Schutz von technischen Erfindungen:


Eine technische Erfindung kann durch ein Patent oder Gebrauchsmuster geschützt werden, wenn sie neu ist, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und gewerblich anwendbar ist. Mit einem erteilten Patent oder einem eingetragenen Gebrauchsmuster können Sie jedem anderen verbieten, die geschützte Erfindung gewerblich zu benutzen. Gemäß § 9 PatG bedeutet das, Sie können Ihren Konkurrenten verbieten,    


  • Ihr geschütztes Erzeugnis herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu diesen Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
  • Ihr geschütztes Verfahren anzuwenden oder zur Anwendung anzubieten;
  • ein Erzeugnis, das durch Ihr geschütztes Verfahren hergestellt wurde, anzubieten, in Verkehr zu bringen zu gebrauchen oder zu diesen Zwecken einzuführen oder zu besitzen.

Die jeweils geschützte Erfindung, ob nun ein Erzeugnis oder Verfahren, wird durch die unabhängigen Patentansprüche definiert. 


Soweit so gut.


In Europa gibt es jedoch mit der Einführung des Einheitspatents („Unitary Patent“) ab dem 1. Juni 2023 insgesamt nicht weniger als vier Varianten von technischen Schutzrechten, die alle spezifische Vor- und Nachteile haben, nämlich folgende:


A.  nationale Patente;


B.  nationale Gebrauchsmuster (zum Beispiel in Deutschland und Frankreich sowie einigen weiteren Europäischen Ländern);


C.  klassische Europäische Patente, auch Bündelpatente oder EP-Patente genannt, die nach Erteilung durch das EPA in selbständige nationale Schutzrechte zerfallen; und


D.  Einheitspatente, auch EU-Patente genannte, also die neuen Europäischen Patente mit einheitlicher Wirkung. 



Was sind das alles für Schutzrechte? 


A.  Deutsches Patent 

Ein deutsches Patent beantragen Sie beim Deutschen Patent und Markenamt (DMPA) in München. Es hat eine Laufzeit von 20 Jahren ab dem Anmeldetag.  


B.  Deutsches Gebrauchsmuster 

Ein Gebrauchsmuster beantragen Sie ebenfalls beim DPMA. Es kann keine Verfahren schützen und hat eine Laufzeit von 10 Jahren. Die wesentlichen Unterschiede zwischen Patent und Gebrauchsmuster sowie die taktischen Möglichkeiten bei deren Kombination sind in diesem Artikel beschrieben.

C.  Europäisches Patent (EP)

Das klassische Europäische Bündelpatent (nachfolgend EP-Patent genannt) wird beim Europäischen Patentamt in München beantragt und hat eine Laufzeit von 20 Jahren ab dem Anmeldetag. Das EPA ist eine von der Europäischen Union (EU) unabhängige transeuropäische Patenterteilungsbehörde auf der Grundlage des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ), dem 39 Europäischen Staaten beigetreten sind, nämlich alle 29 EU-Mitgliedsstaaten sowie weitere Staaten, wie etwa Großbritannien, Schweiz, Norwegen, Island, Türkei und andere.


Wenn ein Europäisches Patent erteilt wurde und ggf. ein Einspruchsverfahren überstanden hat, zerfällt es in nationale Schutzrechte in denjenigen EPÜ-Mitgliedstaaten, für die der Inhaber Schutz beantragt. Dieser Prozess nennt sich Validierung. Ein EP-Patent kann auf diese Weise in einer beliebigen Untermenge der 39 EPÜ-Mitgliedsstaaten wirksam werden. Allerdings wird die überwiegende Zahl der EP-Patente vor allen bei nicht-europäischen Inhabern lediglich in den drei wirtschaftsstärksten EPÜ-Mitgliedsstaaten validiert, nämlich in Deutschland (DE), Frankreich (FR) und Großbritannien (GB).


D.  Einheitspatent (EU)

Das Einheitspatent (gelegentlich auch EU-Patent genannt) setzt bei dem Validierungsprozess des EP-Patents an. Es bildet kein konkurrierendes Europäisches Patentsystem oder Erteilungsverfahren, sondern ergänzt lediglich das klassische EP-Patentsystem um eine weitere Validierungsmöglichkeit, mit der die sogenannte einheitliche Wirkung („unitary effect“) beantragt wird.


Es ist wichtig zu verstehen, dass auch das Einheitspatent vom EPA auf der Grundlage des EPÜ erteilt wird. An dem bewährten Erteilungsprozess und der bekannten Erteilungspraxis des EPA ändert sich also nichts. 


Das Einheitspatent entsteht erst nach der Erteilung eines EP-Patents aus diesem. Insofern ist das Einheitspatent lediglich ein EP-Patent das in denjenigen EU-Staaten einheitlich "validiert" wird, die die EU-Verordnung 1257/12 unterzeichnet haben. Dies sind derzeit 17 EU-Mitgliedsstaaten, nämlich



AT, Österreich

BE, Belgien


BG, Bulgarien


DE, Deutschland


DK, Dänemark


EE, Estland


FI, Finnland


FR, Frankreich

IT, Italien


LV, Lettland   


LT, Litauen


LU, Luxemburg


MT, Malta


NL, Niederlande


PT, Portugal


SL, Slowenien


SW, Schweden





Mit anderen Worten, der Antrag auf einheitliche Wirkung ersetzt in einem Schritt die einzelnen Validierungen eines EP-Patents in diese 17 Staaten.


Die einheitliche Wirkung besteht dann insbesondere darin, dass aus dem Einheitspatent einheitlich geklagt werden kann und es auch einheitlich angegriffen wird bzw. untergeht, wenn es nichtig sein sollte. 


Das deutet schon an, dass der wesentliche Zweck des Einheitspatents nicht die Straffung der Validierung ist, sondern vielmehr in der Phase nach der Erteilung liegt ("post-grant"), wenn es um Klagen aus einem oder gegen ein Einheitspatent vor dem neu geschaffenen Einheitlichen Patentgericht (EPG) bzw. Unified Patent Court (UPC) geht.


 Die Europäische Patentlandkarte

Dunkelrot: Alle EU-Staaten, die dem Einheitspatentsystem angehören (insg. 17).

Hellrot: Alle EU-Staaten, die die Abkommen bereits unterzeichnet haben und dem Einheitspatentsystem ggf. bald beitreten werden (insg. 6).

Dunkelgrau: Alle weiteren EU-Staaten (insg. 27).

Hellgrau: Alle weiteren EPÜ-Mitgleidsstaaten (insg. 39).


Wie geht man aus all diesen Schutzrechten vor? 


A.  Deutsches Patent

Aus einem deutschen Patent kann man vor bestimmten deutschen Zivilgerichten gegen Patentverletzungen vorgehen, zum Beispiel vor den Patentstreitkammern der Landgerichte München, Mannheim oder Düsseldorf. Der Verletzungsbeklagte kann als Verteidungsmaßnahme die Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht erheben.


B.  Deutsches Gebrauchsmuster

Aus einem deutschen Gebrauchsmuster kann man vor denselben Zivilgerichten gegen Verletzer vorgehen, wie aus einem Patent. Der Verletzungsbeklagte kann die Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters mittels eines Löschungsantrags vor dem DPMA prüfen lassen.


C.  Europäisches Patent (EP)

Bei einem in nationale Patentrechte zerfallenem EP-Patent kann aus jedem einzelnen dieser nationalen Patentrechte separat vorgegangen werden. Die Verletzungsklage unterliegt also ebenso wie etwaige Verteidigungsmaßnahmen des vermeintlichen Verletzers dem jeweiligen nationalen Recht. Die diversen, durch Validierung entstandenen nationalen Patentrechte sind unabhängig voneinander und in ihrem Schicksal nicht verknüpft. 


Es kann also beispielsweise vorkommen, dass etwa eine Verletzungsklage in Deutschland erfolgreich ist und das DE-Patent die Nichtigkeitsklage unbeschadet übersteht, während das (identische) FR-Patent im Rahmen einer Nichtigkeitsklage in Frankreich derart beschränkt wird, dass keine Verletzung mehr vorliegt.


D.  Einheitspatent

Aus einem Einheits- bzw. EU-Patent kann aufgrund der „einheitlichen Wirkung“ in den genannten 17 Staaten nur einheitlich vorgegangen werden. Die Verletzungsklage ist insofern beim Einheitlichen Patentgericht einzureichen und der Verletzungsbeklagte kann die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents mittels der Widerklage („revocation counter claim“) innerhalb des Verletzungsverfahrens prüfen lassen (Art. 33(3) EPGÜ).


Sollte dieser Nichtigkeitsantrag erfolgreich sein, fällt das Einheitspatent in allen 17 Staaten einheitlich und vollständig. Der wesentlich größeren territorialen Schutzwirkung des Einheitspatents steht insofern also auch ein größeres Verlustrisiko gegenüber.



Was ist das Einheitliche Patentgericht (EPG)?


Das Einheitliche Patentgericht (EPG), der sogenannte Unified Patent Court (UPC), nimmt am 1. Juni 2023 seine Arbeit auf. Es ist ein neues EU-Patentgericht, das durch ein internationales Abkommen begründet wurde, nämlich durch das Übereinkommen über das Einheitliche Patentgericht (EPGÜ) vom 19. Februar 2013.

Das EPG besteht aus einem Gericht erster Instanz und einer Berufungsinstanz, verteilt auf mehrere Standorte in Europa. Es ist unter anderem zuständig für Verletzungsklagen aus und Nichtigkeitsklagen gegen Einheitspatente sowie für negative Feststellungsklagen. Es wird das gemeinsame EU-Patentgericht der 17 EU-Mitgliedstaaten sein, die dem EPGÜ beigetreten sind. Alle weitere EU-Mitgliedstaaten können dem Übereinkommen jederzeit beitreten.

Opt-Out.  Eine Besonderheit ist, dass das EPG nicht nur zuständig sein wird für Einheitspatente, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch für die aus einem EP-Patent durch Validierung entstandenen nationalen Patentrechte. Um die Zuständigkeit des EPG für EP-Patente zu vermeiden und stattdessen die bisherige Zuständigkeit der nationalen Gerichte beizubehalten, müssen die betreffenden Patentanmeldungen bzw. EP-Patente durch einen Antrag beim EPG ausoptiert werden („opt-out“). 

Die Möglichkeit des Ausoptierens wird zunächst für 7 Jahre bestehen, was eventuell auf 14 Jahre verlängert wird. Danach wird das Einheitliche Patentgericht ausnahmslos für alle EP-Patente bzw, deren nationalen Patentrechte zuständig sein.     

Ihre strategischen Überlegungen hinsichtlich des Ausoptierens von EP-Patenten sollten sich an der konkreten Wettbewerbssituation orientieren, pauschale Empfehlungen sind hier kaum möglich.

Für das Ausoptieren spricht, dass dann nicht alle aus dem EP-Patent hervorgegangenen nationalen Patentrechte aufgrund einer Nichtigkeitsklage untergehen können. Gegen das Ausoptieren spricht, dass die Möglichkeit verloren geht, auf Europa-weite Verletzungshandlungen situationsgerecht zu reagieren. Unsere Empfehlung bei KLUNKER IP ist, dass Sie EP-Patente, die Sie für besonders stabil halten, die also zum Beispiel bereit ein Einspruchsverfahren überlebt haben, jedenfalls nicht ausoptieren sollten.

Sunrise Period.  Innerhalb der sogenannten Sunrise Periode (1. Juni bis 31. Mai 2023) können EP-Anmeldungen und EP-Patente bereits ausoptiert werden, bevor das Einheitliche Patentgericht am 1. Juni 2023 seine Arbeit aufnimmt.



Was sind die Vorteile des Einheitspatents und des Einheitlichen Patentgerichts vor allem für SMEs? 


Einheitspatente

  • gewähren einen einheitlichen Schutz in den Mitgliedsstaaten;
  • vermeiden das komplexe und kostspielige Validierungsverfahren;
  • werden beim EPA registriert;
  • haben vergleichsweise preiswerte Aufrechterhaltungsgebühren, die einheitlich und in einer Währung gezahlt werden können.

Das Einheitliche Patentgericht 

  • schafft ein europäischen Rahmen für die Durchsetzung und Anfechtung von EU-Patenten;
  • macht Rechtsstreitigkeiten in verschiedenen Ländern überflüssig;
  • erhöht die Rechtssicherheit durch eine harmonisierte Rechtsprechung;
  • sorgt für einfachere, schnellere und effizientere Gerichtsverfahren.



Wie können die vier Schutzvarianten A bis D kombiniert werden?


Die oben beschriebenen Schutzrechtsvarianten haben alle ihre individuellen Vor- und Nachteile und sollten bedarfsweise genutzt werden. Besonders individuell und strategisch klug kann man allerdings vorgehen, wenn man die Möglichkeiten der Doppelpatentierung ins Auge fasst.


A+B. Patent und Gebrauchsmuster.  

Die taktischen Möglichkeiten von Gebrauchsmustern parallel zu deutschen oder europäischen Patentanmeldungen bzw- Patenten habe ich bereits erläutert. Im Kern macht man sich dabei zu Nutze, dass in dem jeweiligen Patentverfahren eine materielle Prüfung stattfindet und unmittelbar durchsetzbaren Ansprüche des Gebrauchsmusters in Deutschland parallel daran angepasst geändert werden können.  


Eine Doppelpatentierung ausgehend von einem in Deutschland validierten EP-Patent ist gesetzlich nicht möglich. So wird ein Patent, das einer deutschen Prioritätsanmeldung entspringt, in dem Umfang unwirksam, wie später auf die für Deutschland erteilte EP-Nachanmeldung ein EP-Patent erteilt wird.


C+D. Doppelpatentierung aufgrund EP-Stamm- und -Teilanmeldung.  

Die Doppelpatentierung ausgehend von einer EP-Stammanmeldung, für die die einheitliche Wirkung beantragt wird, und einer EP-Teilanmeldung, die ausoptiert und national validiert wird, besteht aufgrund des Doppelpatentierungsverbots gemäß Art. 125 im Zusammenhang mit der Entscheidung G 4/19 nur insoweit, dass sich die beiden EP-Patente (die aus der Stamm- und Teilanmeldung hervorgehen) hinreichend unterscheiden.


A+D. Doppelpatentierung mit dem Einheitspatent. 

Für das Einheitspatent gilt das Doppelpatentierungsverbot jedoch nicht. Es besteht also die Möglichkeit, dass ein in Deutschland automatisch wirksames Einheitspatent sowie ein identisches deutsches Patent (und/oder sogar ein daraus abgezweigtes Gebrauchsmuster) koexistieren.


Diese Möglichkeit ist dann interessant, wenn man sich alle Klageoptionen offenhalten und sich noch nicht ganz auf das noch unerprobte Einheitspatentsystem mit dem einheitlichen Vernichtungsrisiko einlassen möchte. Das parallele deutsche Patent oder Gebrauchsmuster dient dann gewissenmaßen als Backup für das Einheitspatents.


Der größte Vorteil dieser Variante des Doppelschutzes liegt im Zugang zu den etablierten deutschen Gerichten für Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen, denn besonders die deutschen Landgerichte haben einen ausgezeichneten Ruf und ziehen ca. 80% aller Verletzungsstreitigkeiten in Europa auf sich. Die Koexistenz eines deutschen Patents und eines Einheitspatents bietet Ihnen also sowohl die gewohnte Durchsetzung Ihrer Rechte an den kompetentesten Patentstreitgerichten in Europa, beispielsweise den etablierten Landgerichten in München, Düsseldorf und Mannheim, als auch die umfassende territoriale Schutzwirkung des Einheitspatents.


B+D. Einheitspatent und Gebrauchsmuster. 

Diese weitere Möglichkeit bündelt die Vorteile des Doppelschutzes mit einem oder mehren Gebrauchsmustern (A+B), also vor allem geringere Kosten und sofortige Durchsetzbarkeit, mit den Optionen der Doppelpatentierung eines Einheitspatents und eines nationalen Patentrechts (A+D).    



KLUNKER IP Patentanwälte

Der Schutz von technischen Erfindungen ist ein rechtlich komplexes Thema. Damit Sie die richtige Strategie in Ihrer individuellen Situation verfolgen und das System optimal für Ihre Zwecke nutzen, sollten Sie unbedingt die Hilfe eines erfahrenen Patentanwalts in Anspruch nehmen, der sich mit den oben erläuterten Möglichkeiten und Varianten gut auskennt. 

Insbesondere sollten Sie auf das Einheitspatentsystem vorbereitet sein und die oft vernachlässigten Möglichkeiten des Gebrauchsmusters aktiv in Ihre Überlegungen einbeziehen. Ich helfe Ihnen gerne dabei, rechtlich kompetent und strategisch klug.

Seit 1985 sind wir für unsere Mandanten weltweit in allen Bereichen des gewerblichen Rechtsschutzes tätig und bieten seitdem Einzelerfindern, Start-Ups, KMUs und Konzernen maßgeschneiderte Lösungen an.


Gerne entwickeln wir auch für Sie die richtige Strategie, um Ihre Erfindungen zu schützen und effizient durchzusetzen.


Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir stehen Ihnen als vertrauenswürdiger Partner gerne zur Seite.

Foto(s): Lexica Commercial License

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