Aktuelles vom EuGH zu Abschalteinrichtungen, C-100/21 v. 21.3.2023 (Daimler-Diesel)

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Vorbemerkung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich erneut zur Problematik von Abschalteinrichtungen in Fahrzeugen deutscher Hersteller (hier: Daimler AG, jetzt Mercedes Benz Group AG) geäußert. In der Rs. C-100/21 hatte das national zu entscheidende Gericht dem EuGH erneut Fragen vorgelegt, die dieser nun in seiner sehr eigenen Art und Weise "beantwortet" hat. Das Urteil wird in der Presse und im Web als "Sensation" u. ä. bezeichnet. Zutreffend ist das so nicht. Im Einzelnen Konkreteres dazu:

Sachverhalt

Es geht um den Kauf eines C 220 CDI, Euro 5. Der Käufer ist der Ansicht, das Kfz sei mit einer Abschalteinrichtung versehen; diese sei unzulässig. Er verlangt Schadensersatz. Das LG Ravensburg sah sich ohne die folgenden 

Fragen

zu klären nicht in der Lage, zu entscheiden:

1. Regelt Art. 18 Abs. 1 (Übereinstimmungsbescheinigung), Art. 26 Abs. 1 (nur dann gültige Zulassung) und Art. 46 (Sanktionen bei Verstoß) der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 (Abschalteinrichtungen sind grundsätzlich unzulässig) der Verordnung Nr. 715/2007 außer den Schutz allgemeiner Interessen auch den Schutz der Interessen eines einzelnen Erwerbers? Hintergrund der Frage ist, das im Falle eines "Ja" diese Gesetze zu sog. Schutzgesetzen im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB werden. Es "entsteht" dann also entgegen der Auffassung des BGH eine neue Aspruchsgrundlage für die Käufer. Weitere Folge: Für den Verstoß des Verkäufers dagegen bedarf es nur leichter Fahrlässigkeit. Der Nachweis des Verschuldens des Verkäufers richtet sich dann nach den allgemeinen Regel und nicht nach denen der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (wie aktuell). 

2. Ist es für die praktische Wirksamkeit der im vorliegenden Fall anwendbaren Bestimmungen des Unionsrechts erforderlich, dass eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen auf diesen Schadensersatzanspruch unterbleibe oder nur in eingeschränktem Umfang erfolge? Hintergrund ist hier, dass die Gerichte in der Regel den Wert der Fahrzeugnutzung (gefahrene Kilometer) vom Schadensersatz in Abzug bringen (sog. Vorteilsanrechnung, hier: Nutzungsentschädigung). Diese Frage ist deshalb nachvollziehbar, weil die Hersteller die Verfahren mit sämtlichen Mitteln des Prozessrechts in die Länge ziehen. Entsprechend hoch wird die anzurechnende Nutzungsentschädigung. Hier erhält der Käufer folglich den vollen Schadensersatz, wenn keine Anrechnung erfolgt.

Urteil

Der EuGH entschied folgendermaßen:

Zu Frage 1 wird ausgeführt, dass die Gesetze einem hohen Umweltschutzniveau dienen. Die Normen verpflichten zudem, dass der Hersteller dem Käufer eine Übereinstimmungsbescheinigung erteilt. Diese Bescheinigung ist Voraussetzung für die Zulassung des Fahrzeugs. Bei Mängeln daran hat der Käufer eingeschränkte Rechte bzgl. Anmeldung, Inbetriebnahme, Verkauf usw. Das ist ein Schaden. Ergebnis: Die o. g. Vorschriften dienen (auch) dem Schutz des Käufers. 

Zu Frage 2 wird zunächst an die gerade gefundene Antwort auf Frage 1 angeknüpft und erklärt, dass der Käufer Ansprüche gegen den Hersteller hat, wenn das Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung versehen ist. Schäden dadurch sind zu erstatten. Die Schadenshöhe zu bestimmen, ist Sache des deutschen Gesetzgebers. Allerdings hat das Grenzen: Eine Auslegung der Gesetze (hier: Treu und Glauben, § 242 BGB), die dazu führen, dass sich der Schaden erledigt oder auch nur überwiegend erschwert wird, ist unzulässig. Auf der anderen Seite darf der Käufer nicht ungerechtfertigt bereichert werden. Die Entschädigung muss folglich angemessen sein. 

Ergebnis

1. In der Tat haben Käufer danach eine weitere (§ 823 Abs. 2 BGB) Anspruchsgrundlage (neben § 826 BGB), auf die sie ihre Klage stützen können. 

2. Die Nutzungsentschädigung darf angerechnet werden, aber den Anspruch nicht etwa auf Null bringen.

Fazit

Das Urteil ist durchaus zu begrüßen. Es wird spannend zu sehen, wie der BGH damit umgehen wird. Rein theoretisch erscheint die Durchsetzung der Käuferrechte einfacher. Die Aussagen zu Frage 1 sind ausreichend deutlich, die zu Frage 2 leider nicht. Im Übrigen ist den Gerichten noch immer ein Weg eingefallen, wie man eine Klage scheitern lassen kann. Ein Trauerspiel jüngster deutscher Rechtsgeschichte ...


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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