Anklage des Journalisten Arne Semsrott – der entscheidende Schritt für mehr Pressefreiheit?

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„Dokumente aus laufenden Strafverfahren darf man in Deutschland eigentlich nicht veröffentlichen. Doch es gibt Dokumente, die gehören an die Öffentlichkeit“ lautete die Unterüberschrift des Artikels, der für Arne Semsrott zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft Berlin führte.  

Arne Semsrott ist ein deutscher Journalist und der Projektleiter von „FragDenStaat“, einem Portal, welches sich die Förderung der Informationsfreiheit zur Aufgabe gemacht hat. 

Die Mitarbeitenden veröffentlichen Informationen, um für mehr Transparenz zu sorgen und unterstützen Bürgerinnen und Bürger bei der Wahrnehmung ihres Anspruches aus dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG), Zugang zu behördlichen Dokumenten zu erlangen.  


Hintergrund der Anklage von Arne Semsrott

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vor dem Landgericht ist wegen des Tatvorwurfes der verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen nach § 353d Nr. 3 StGB erfolgt. 

Konkret soll Semsrott im August 2023 drei anonymisierte Dokumente aus einem laufenden Ermittlungsverfahren auf der Website „FragDenStaat“ veröffentlicht haben. Dabei handele es sich jeweils um Gerichtsbeschlüsse des Amtsgerichts München, welche sich mit Durchsuchungen bei der Aktivistengruppe „Letzte Generation“, der Telekommunikationsüberwachung eines ihrer Pressetelefone und der Beschlagnahme der Domain „letztegeneration.de“ befasste. 

Gegen einige Mitglieder der Gruppe, die allgemein als sogenannte „Klimakleber“ bekannt sind, führte die Generalstaatsanwaltschaft München Ermittlungen, wegen des Verdachtes der Bildung einer kriminellen Organisation (§ 129 StGB).  


Wann ist eine Veröffentlichung im Zusammenhang mit Gerichtsverhandlungen verboten und strafbar? 

Die Strafnorm § 353d StGB ist angesiedelt bei den Straftaten im Amt, kann aber durch Jedermann begangen werden. Sie enthält drei verschiedene Begehungsvarianten, welche jeweils mit einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden können. 

Mitteilungen über nichtöffentliche Gerichtsverhandlungen (Nr. 1) stellen eine strafbare Handlung dar, wenn der Täter Inhalte aus einer Gerichtsverhandlung öffentlich mitteilt, von welcher die Öffentlichkeit wegen der Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen war. Das gilt auch für amtliche Dokumente wie Vernehmungsprotokolle oder Anklageschriften, welche das Verfahren betreffen.  

Als Täter kommen in diesem Fall nur Mitarbeitende der Presse, des Rundfunks und Fernsehens in Betracht, da nur diese Gruppe Adressat des speziellen Öffentlichkeitsausschlusses ist. 

Öffentliches Mitteilen bedeutet, dass ein Bericht als Druckwerk oder innerhalb einer Sendung (Radio oder Fernsehen) veröffentlicht und dadurch der Allgemeinheit zugänglich gemacht wird. 

Mitteilungen entgegen gesetzlicher Schweigepflichten (Nr. 2) sind strafbar, wenn der Täter Tatsachen offenbart, obwohl das Gericht ihm eine Schweigepflicht darüber auferlegt hat.  

Der Täter muss von diesen veröffentlichten Tatsachen im Rahmen einer nichtöffentlichen Gerichtsverhandlung oder durch ein amtliches Dokument, welches im Zusammenhang mit dem Verfahren steht, Kenntnis erlangt haben. Dafür muss er in der Verhandlung anwesend gewesen sein, beispielsweise als Zuhörer oder Zeuge. 

Veröffentlichungen von Dokumenten aus Strafverfahren (Nr. 3) werden geahndet, wenn die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Straf-, Bußgeld-, oder Disziplinarverfahrens vollständig oder wesentliche Teile daraus wortlautgetreu veröffentlicht werden. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dürfen diese Dokumente in der öffentlichen Verhandlung noch nicht erörtert worden, beziehungsweise das Verfahren noch nicht abgeschlossen sein.

Wird die Mitteilung einem größeren, individuell nicht feststehenden Personenkreis zur Verfügung gestellt, so ist sie öffentlich. 

Wird lediglich der Inhalt mit anderen Worten wiedergegeben, so ist der Straftatbestand nicht erfüllt. 


Tatvorwurf gegen Arne Semsrott 

Arne Semsrott wird ein Verstoß gegen § 353d Nr. 3 vorgeworfen, indem er die Beschlüsse zu den Ermittlungsmaßnahmen veröffentlichte, bevor diese in einer öffentlichen Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen wurde. Die Beschlüsse wurden zwar durch Schwärzen anonymisiert, ansonsten jedoch vollständig im Wortlaut auf der Internetseite öffentlich gemacht. 

Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht dadurch die Unvoreingenommenheit von Laienrichtern und Zeugen für einen bevorstehenden Gerichtsprozess gegen die Mitglieder der Letzten Generation gefährdet. 


Der Konflikt zwischen Strafbarkeit der verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen und Pressefreiheit

Das „Verbot ist verfassungswidrig“ schreibt Semsrott in dem Artikel von August 2023 und führt näher aus, dass im Hinblick auf die freie Berichterstattung der Presse und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ein striktes Veröffentlichungsverbot solcher Dokumente unzulässig sein dürfte. 

Er hat explizit ein Strafverfahren gegen sich riskiert und es auf eine Anklage ankommen lassen, damit die Vereinbarkeit der Strafnorm mit der Pressefreiheit geklärt wird. 

Er hält die Strafnorm für unvereinbar mit der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG). Daneben wird darin auch eine Einschränkung der im Grundgesetz verankerten Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S.1 GG) gesehen.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthalten, wogegen die deutsche Strafnorm auch nicht verstoßen darf. 

Der Angeklagte ist der Auffassung, dass die Presse durch das Veröffentlichungsverbot eingeschüchtert wird. Der Straftatbestand lässt keine Ausnahmen zu und bietet keinen Raum für Abwägungen verschiedener Interessen, wie unter anderem der Privatsphäre des Betroffenen und dem Recht auf Information.

Dies führt dazu, dass eine inhaltlich korrekte Berichterstattung kriminalisiert und ein informierter gesellschaftlicher Diskurs erschwert wird. 

Kritisiert wird zudem, dass die Strafnorm ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Presse zum Ausdruck bringen würde, obwohl sie auf Grund ihrer journalistischen Sorgfaltspflichten vor der Veröffentlichung zu einer inhaltlichen Prüfung und Interessenabwägung angehalten sind. 

Das Veröffentlichungsverbot von Dokumenten aus Strafverfahren dient dagegen dem Schutz der Unbefangenheit von Laienrichtern und Zeugen sowie dem Persönlichkeitsschutz der Verfahrensbeteiligten. Besonders Laienrichter und Zeugen können durch vorherige Berichterstattung beeinflusst werden, sodass sie nicht mehr unvoreingenommen sind.  

Zudem kann die betroffene Person zum Opfer von Vorverurteilungen oder Diffamierungen werden.  


Bisherige Urteile zu dem Spannungsverhältnis zwischen Strafbarkeit und Pressefreiheit

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen bisherigen Entscheidungen, insbesondere der Jahre 1985 und 2014 keine Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz festgestellt.

Es hat dabei geprüft, ob die Strafnorm gegen bestimmte Grundrechte verstößt. Ein Verstoß gegen die Pressefreiheit wurde verneint, sofern die Veröffentlichung erfolgt, ohne dass die von der Berichterstattung betroffene Person dies möchte. Auch ein Verstoß die Meinungsfreiheit und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wurden abgelehnt, sodass ein Angeklagter sich strafbar macht, wenn er Schriftstücke seines eigenen Strafverfahrens veröffentlicht. 

Jüngst hat sich auch der Bundesgerichtshof (BGH) mit dem fraglichen Paragrafen befasst. Im Zusammenhang mit den sogenannten Olearius-Tagebüchern im Cum-Ex-Verfahren kam der BGH zu dem Ergebnis, dass rechtmäßig aus diesen zitiert werden durfte. Es fand eine Abwägung statt, bei welchem die Pressefreiheit und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwogen. 

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fordert eine Abwägung mit der Pressefreiheit. Ein grundsätzliches Verbot zu veröffentlichen, ohne eine Abwägung vorzunehmen, ist nicht ausreichend. 


Was sind die Aussichten für Arne Semsrott und die Strafnorm? 

Bereits seit über 15 Jahren tritt die Problematik um die Strafnorm immer wieder ans Tageslicht. Im Bundestag sind bei verschiedenen Fraktionen Forderungen laut geworden, die Streichung oder Änderung des Paragrafen vorzunehmen – bisher erfolglos. 

Doch auch die Staatsanwaltschaft Berlin hat die besondere Klärungsbedürftigkeit der Thematik erkannt. Wegen der besonderen Bedeutung des Falles wurde die Anklage daher am Landgericht erhoben, obwohl die Zuständigkeit wegen der Straferwartung eigentlich beim Amtsgericht liegen würde. 

Einer Unterbrechung des Verfahrens, um zunächst die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz durch das Bundesverfassungsgericht klären zu lassen, hat die Staatsanwaltschaft dagegen nicht zugestimmt. 

Es besteht aber grundsätzlich die Möglichkeit, dass das Landgericht eine Prüfung der Norm durch das Bundesverfassungsgericht vornehmen lässt. 

Vielleicht fällt sie aber auch der Ausmistung des Strafrechts zum Opfer, welche Bundesjustizminister Marco Buschmann angekündigt hatte. 

Kommt es jedoch zu einer Verurteilung, droht dem Journalisten eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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