Anwalt bei polizeilicher Vorladung, Anklage, Hausdurchsuchung wegen Entziehung Minderjähriger, „Kindesentführung“

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Minderjährige Personen bedürfen einer gewissen Obhut. Sie sind schutzbedürftig. Sie benötigen eine Person, die auf sie Acht gibt. Eine solche Verbindung kann insbesondere auch aus familiären Banden erwachsen. So haben zunächst regelmäßig die Eltern das gemeinsame Sorgerecht für einen Minderjährigen. Auch Umgangsrechte mit Minderjährigen gilt es zu schützen. Diese Rechte gilt es zu schützen. Der Schutz zum Beispiels des Sorgerechts oder des Umgangsrechts ist sogar strafrechtlich im Hinblick auf die Strafbarkeit der Entziehung Minderjähriger abgesichert.


Zum von § 235 StGB geschützten Sorgerecht gehört auch das Obhutsrecht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht (vgl. BGH, Beschluss v. 17.09.2014 – 1 StR 387/14 m.w.N.).

Wie hoch ist die Strafe für die Entziehung Minderjähriger?

Für die Entziehung Minderjähriger droht grundsätzlich eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe (§ 235 Abs.1, Abs.2 StGB).

In bestimmten Fällen droht eine höhere Strafe (dazu gleich mehr).

In bestimmten Konstellationen ist es möglich, dass das Gericht im Einzelfall das Vorliegen eines sog. minder schweren Falles bejaht. Wann ein solcher minder schwerer Fall vorliegt, hängt von den genauen Umständen des Einzelfalles ab. Bindende Kriterien gibt es hier nicht, sodass keine pauschale Antwort auf diese Frage gegeben werden kann.

Wann macht man sich wegen Entziehung Minderjähriger strafbar?

Strafbar macht man sich wegen Entziehung Minderjähriger durch das Entziehen oder Vorenthaltens eines Minderjährigen oder eines Kindes gegenüber …

  • den Eltern,
  • einem Elternteil,
  • dem Vormund oder
  • dem Pfleger

(§ 235 Abs.1,Abs.2 StGB)


Dabei muss im Falle des Entziehens gegenüber einem Elternteil, dieses nicht zwingend das Sorgerecht haben. Auch das Entziehen der Ausübung des Umgangsrechts beispielsweise kann gegebenenfalls eine Strafbarkeit nach § 235 StGB begründen. Auch das Umgangsrecht steht insofern unter strafrechtlichem Schutz. Es beinhaltet gerade, sich fortlaufend beispielsweise über das Befinden des Minderjährigen informieren bzw. Sich selbst hiervon überzeugen zu können. Vgl. AG Hamburg-Mitte, Urteil v. 21.12.2005 – 843 – 159/05 in openJur 2011, 14655.


Ein Kind im strafrechtlichen Sinne ist eine Person unter 14 Jahren.


Genauer gesagt, ist gem. § 235 Abs.1 und Abs.2 StGB strafbar:

  • Das Vorenthalten
    • eines Minderjährigen durch Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder List,
    • eines Kindes (unter 14 Jahre!), wenn man nicht dessen Angehöriger ist,
    • eines Kindes im Ausland, „nachdem es dorthin verbracht worden ist oder es sich dorthin begeben hat“
  • Das Entziehen
    • eines Minderjährigen durch Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder List,
    • eines Kindes (unter 14 Jahre!), wenn man nicht dessen Angehöriger ist,
    • eines Kindes, „um es ins Ausland zu verbringen“

(§ 235 Abs.1, Abs.2 StGB)

Was meint das Vorenthalten oder Entziehen eines Kindes?

Gerade im Hinblick auf das Schutzgut (Ausübung der Sorge und des Umgangsrechts für den Minderjährigen) bezeichnet das Vorenthalten und Entziehen des Kindes bzw. des Minderjährigen in diesem Zusammenhang die nicht nur unwesentliche Beeinträchtigung und damit Aufhebung der Ausübung der Personensorge durch räumliche Trennung des Berechtigten und des Minderjährigen, wobei Teil der Personensorge „ die Pflicht und das Recht der Eltern oder des sorgeberechtigten Elternteils zur Pflege, Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung“ darstellt (BGH, Urteil v. 22.01.2015 – 3 StR 410/14 in openJur 2015, 7936 m.w.N.).


Das Entziehen setzt auch nicht voraus, dass der Betroffene (der Inhaber des Sorgerechts bzw. Umgangsrechts) dieses Recht im Moment der Tatbegehung gerade ausübt. Demnach kann ein Entziehen Minderjähriger beispielsweise auch dann begangen werden, wenn ein Kind an der Straße spielt und dabei nicht beaufsichtigt wird. BGH, Beschluss v. 23.02.2017 – 1 StR 362/16 m.w.N.

Eine Strafbarkeit wegen Entziehens Minderjähriger kann sogar dann drohen, wenn die Sorgeberechtigten nicht einmal genau wissen, wo sich der Minderjährige gerade befindet (vgl. BGH, Beschluss v. 23.02.2017 – 1 StR 362/16 m.w.N.).


Das Entziehen Minderjähriger erfasst übrigens auch nicht nur den Fall, dass der / die Minderjährige von dem Elternteil (z.B.) entfernt wird, sondern auch den umgekehrten Fall, dass ein Elternteil (z.B.) von dem Minderjährigen abgesondert wird (vgl. BGH, Beschluss v. 17.09.2014 – 1 StR 387/14 m.w.N.).


Ein Vorenthalten eines Minderjährigen kann zum Beispiel darin liegen, dass dessen Herausgabe verweigert wird oder durch das Verschweigen des Aufenthaltsortes des Kindes.

Ab welchem Zeitraum ist ein Minderjähriger entzogen?

Wie bereits dargelegt, kann von einem Entziehen erst ab einer gewissen Zeitspanne (einer nicht ganz unerheblichen Zeitspanne) gesprochen werden.

Damit stellt sich natürlich die Frage, wie lange diese Zeitspanne sein soll. Tage? Wochen? Reichen Minuten?

Die – möglicherweise nicht zufriedenstellende – Antwort ist, dass es auf den jeweiligen Einzelfall, auf die konkreten Umstände ankommt (vgl. BGH, Beschluss v. 23.02.2017 – 1 StR 362/16 m.w.N.). Zu berücksichtigen ist hier beispielsweise das Alter des Kindes (bei sehr jungen Kindern kann ein Entziehen wohl bereits bei kürzeren Zeiträumen vorliegen), ob der Minderjährige eine Beeinträchtigung (z.B. körperlicher oder psychischer Art) durch die Tat erleiden musste oder dahingehend gefährdet war (BGH, Beschluss v. 23.02.2017 – 1 StR 362/16 m.w.N.).

Es können demnach auch schon wenige Minuten genügen, bis ein Kind in diesem Sinne entzogen ist.

Kann sich auch ein Elternteil gegenüber dem anderen Elternteil wegen Entziehung Minderjähriger strafbar machen?

Das ist möglich. Sofern beide Elternteile das Personensorgerecht innehaben und ausüben, kann auch ein Elternteil gegenüber dem anderen Elternteil durch Entziehen oder Vorenthalten des Minderjährigen bzw. Kindes strafbar machen (vgl. BGH, Beschluss v. 17.09.2014 – 1 StR 387/14 m.w.N.).

Wann droht eine höhere Strafe wegen Entziehung Minderjähriger?

Wie bereits angedeutet, gibt es bestimmte Situationen, in denen die Strafe für die Entziehung Minderjähriger höher bestraft wird.

Dies ist der Fall, wenn der Täter

  • durch die Tat das Opfer in Todesgefahr bringt
  • durch die Tat das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt,
  • durch die Tat das Opfer in die Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt,
  • die Tat gegen die Erbringung eines Entgelts begeht,
  • die Tat in der Absicht begeht, sich selbst oder eine andere Person hierdurch zu bereichern oder
  • den Tod des Opfers durch die Tat verursacht

(§§ 235 Abs.4, Abs.5 StGB).

Wird jede Entziehung Minderjähriger strafrechtlich verfolgt?

Grundsätzlich werden Straftaten bei bestehen eines Anfangsverdachts von Amts wegen verfolgt. In der Regel bedarf es keines besonderen Antrags des Bürgers, beispielsweise des Opfers, damit die Strafverfolgungsbehörden tätig werden. Die Ermittlungsbeamten sind hierzu gesetzlich von sich aus verpflichtet (sobald sie Kenntnis von einer Straftat erlangen).

Es gibt aber bestimmte Delikte, bei denen der Gesetzgeber doch vorschreibt, dass es eines Strafantrags (in der Regel des Opfers) bedarf, damit eine Straftat strafrechtlich verfolgt, ein Strafverfahren eingeleitet, wird. In bestimmten Konstellationen ist die Straftat der Entziehung Minderjähriger ein solches Delikt. In den Fällen der Absätze eins bis drei (das sind diejenigen Konstellationen, in denen keine erhöhte Strafandrohung besteht) bedarf es grundsätzlich eines Strafantrages, damit die Strafverfolgungsbehörden tätig werden. Ausnahmsweise werden hier die Beamten von sich aus (von Amts wegen) tätig, wenn ein sog. besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht.




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