Anwalt bei Vorladung, Anklage, Strafbefehl mit dem Vorwurf unterlassene Hilfeleistung – Wie hoch ist die Strafe?

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Wenn etwas Schlimmes passiert, soll niemand allein gelassen werden. Dieser Einsicht wird nicht nur durch öffentliche Daseinsfürsorge, Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr Rechnung getragen, sondern auch durch eine allgemeine Solidaritätspflicht, die sich an jedermann richtet: Stark vereinfacht gesagt (genaueres folgt sogleich), lautet der Appell, der von § 323c StGB ausgeht: „Wenn du in einer Notlage nicht Hilfe leistest, obwohl du es kannst, machst du dich strafbar.“

Wie hoch ist die Strafe für unterlassene Hilfeleistung? – Anwalt für Strafrecht informiert

Den Täter einer unterlassenen Hilfeleistung trifft eine Strafandrohung einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe.

Wann mache ich mich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar?

Strafbar macht sich, wer in einem Unglücksfall, einer gemeinen Gefahr oder gemeiner Not (1.) nicht die Hilfe leistet, die erforderlich und ihm auch zumutbar ist (2.). Auch strafbar macht sich, wer andere Helfer behindert (3.).


In welchen Situationen bin ich verpflichtet, zu helfen?

Damit eine Pflicht zur Hilfeleistung entsteht, muss eine der folgenden Situationen vorliegen:


Unter den Unglücksfall fällt der typische Unfall – beispielsweise im Verkehr, Betrieb oder Haushalt.

Er ist ein plötzlich eintretendes Ereignis, das die unmittelbare Gefahr eines erheblichen Schadens für andere Menschen (zB Leben, Gesundheit, Fortbewegungsfreiheit) oder hohe Sachwerte bewirkt.

Wer dabei annimmt, ein „Unglücksfall“ bedeute, dass bereits ein Schaden eingetreten sein müsse, irrt sich – soll doch gerade der Eintritt des (ersten oder eines weiteren) Schadens verhindert werden. Entscheidend ist, dass die Situation zur Gefahrabwendung ein sofortiges Eingreifen erfordert.

Kein Unglücksfall liegt grundsätzlich vor, wenn der Gefährdete sich eigenverantwortlich selbst gefährdet, zB durch Hungerstreik oder das Betreiben eines gefährlichen Sports.


Eine gemeine Gefahr liegt vor, wenn eine konkrete Gefährdung einer größeren Anzahl von Menschen, bedeutender Sachwerte oder öffentlicher Güter vorliegt.

Beispiele für eine solche Situation sind Brände, Überschwemmungen und Fabrikunfälle.


Eine gemeine Not beschreibt eine die Allgemeinheit betreffende allgemeine Notlage. Beispiele dafür ist der Ausfall der Trinkwasserversorgung.


In einer konkreten Situation können dabei auch mehrere der drei genannten Kriterien vorliegen: Man stelle sich etwa vor, ein akut lebensgefährdeter Mann liegt nach einem Verkehrsunfall in seinem Auto mitten auf der Autobahn. Es liegt ein Unglücksfall (Verkehrsunfall, unmittelbare Gefahr für Leben des Mannes) und zugleich eine gemeine Gefahr (Gefahr des Auffahrens) für die anderen (Mit-)Fahrer auf der Autobahn aus. Diese drohen, auf ihn aufzufahren.


Es genügt jedoch, wenn eines der drei Kriterien vorliegt. Im Zweifel gilt: Grundsätzlich lieber einmal zu oft Helfen als einmal zu wenig. Man entgeht dadurch in aller Regel nicht nur einer Strafbarkeit, sondern rettet mitunter vielleicht sogar ein Menschenleben.


Wie muss ich in der Situation helfen?

Klar ist, dass die Rechtspflicht, anderen zu helfen, nicht uferlos sein kann. Gefordert wird von § 323c deshalb nur Hilfe, die erforderlich, möglich und zumutbar ist.


So entschied beispielsweise der BGH (Urt v. 22.03.1966, Az: 1 StR 567/65), dass ein Chefarzt, der eine Patientin nach Einlieferung in das Krankenhaus nicht sofort untersuchte, sondern – ohne gewichtige Gründe – nur telefonisch Behandlungsanweisungen an die Krankenschwestern erteilte und dem Krankenhaus fernblieb, sich einer unterlassenen Hilfeleistung strafbar gemacht hat.

Verweigert der Gefährdete die Annahme der Hilfe oder verzichtet darauf, muss grundsätzlich nicht geholfen werden. Ausnahmen sind zB bei einem Suizid denkbar.

Was ist, wenn ich zur Hilfeleistung nicht in der Lage bin?

Das Gesetz fordert nur die Hilfe, die dem individuellen Helfer auch möglich ist. Fehlen Fähigkeiten oder Sachkenntnis, läuft dies in der Regel darauf hinaus, dass die beste noch mögliche Hilfe geleistet wird – sei es „nur“ das Herbeirufen von Polizei oder Rettungsdienst.


Zum Beispiel wäre es unsinnig, einen Nichtschwimmer zu verpflichten, einem ertrinkenden Kind hinterherzuspringen; er sollte lieber einen Rettungsring zuwerfen, schwimmerfahrene Passanten herbeirufen und den Rettungsdienst alarmieren. Ebenso wenig kann einen verunglückten Menschen erblickend von einem medizinischen Laien eine Behandlung erwartet werden, die nur Rettungssanitäter oder Ärzte durchzuführen vermögen; er muss jedoch sehr wohl Erste Hilfe nach seinen Kenntnissen leisten und fachkundige Hilfe (hier den Rettungsdienst/Notarzt) alarmieren.


Praktisch bedeutet das für Ärzte und Rettungssanitäter, dass sie öfter in der Pflicht sind: Sie verfügen über besondere Fertigkeiten, die in Unglücksfällen (die oft einer ärztlichen Behandlung bedürfen), häufig entscheidend sind.

Mache ich mich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar, auch wenn ich nichts mehr tun kann?

Es wird auch nur die bestmögliche erforderliche Hilfe gefordert. Erforderlich ist die mögliche Hilfe, die am meisten Erfolg verspricht. Die Erforderlichkeit von Hilfeleistungen entfällt insbesondere grundsätzlich dann, wenn bereits andere Personen ausreichend Hilfe geleistet haben. Wer also an einem Unfallort vorbeifährt, an dem bereits zahlreiche Helfer die Unfallstelle abgesichert haben, Erste Hilfe leisten und dem Eintreffen des alarmierten Rettungsdienstes zuwarten, braucht regelmäßig nicht tätig zu werden; für ausreichend Hilfe ist gesorgt. Etwas anderes ergibt sich freilich, wenn man selbst bessere Hilfe leisten kann. Passiert den gerade skizzierten Unfallort ein Arzt, wird von ihm zu erwarten sein, anzuhalten, sich als Arzt erkennen zu geben und sofort eine Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beginnen.


Ist ungewiss, ob eine erfolgreiche Hilfeleistung noch möglich ist, muss diese trotzdem durchgeführt werden. So entschied der BGH, dass bei Ungewissheit über die Rettungsmöglichkeiten eines Verunglückten die mögliche Hilfe zu leisten ist, und zwar selbst dann, wenn rückblickend von Anfang an klar war, dass die Rettungsbemühungen keinen Erfolg haben würden (BGH, Beschl. v. 15.09.2015, Az: 5 StR 363/15). Mit Todeseintritt besteht allerdings keine Hilfspflicht mehr.


Ferner muss die mögliche und erforderliche Hilfe auch zumutbar sein. Die Zumutbarkeit erfährt Einschränkungen insbes. durch erforderliche erhebliche Eigengefährdungen und die Vereinbarkeit mit anderen wichtigen Pflichten. Zu beachten sind dabei unter anderem der drohende Schaden, die konkrete Rettungschancen sowie das aufzuopfernde Interesse und das Risiko, das von der Rettungshandlung ausgeht.


Eine Hilfeleistung ist deshalb zB in der Regel unzumutbar, wenn der Helfer sich durch Hilfe mit einer gefährlichen Krankheit infizieren würde (erhebliche Eigengefahr) oder zB ein guter Schwimmer durch Rettung seine in der Brandung stehenden Kinder nicht mehr beaufsichtigen könnte. Strafbar ist hingegen recht wahrscheinlich, wer an einem hilflosen Unfallopfer untätig vorbeifährt, um rechtzeitig einen Geschäftstermin wahrzunehmen. Die Angst vor eigener Strafverfolgung führt nach der Rechtsprechung BGH ebenso nicht dazu, dass eine Hilfeleistung unzumutbar ist, (BGH, Urt. v. 01.04.1958, Az: 1 StR 24/58).


 Mache ich mich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar, wenn ich von der Situation gar nichts mitbekommen habe?

Strafbar ist nur die vorsätzliche (= wissentliche und willentliche) unterlassene Hilfeleistung. Wer die Umstände, die eine Hilfspflicht begründen, gar nicht erkennt, handelt nicht wissentlich und willentlich.

Gerade in diesem Deliktsmerkmal liegt oft ein Schwerpunkt der Strafverteidigung, da es schwer nachzuweisen ist. Was jemand wusste oder nicht wusste, kann nicht genau überprüft werden. Deshalb ist eine fachkundige Einzelfallprüfung – gerade hier – unbedingt anzuraten.


Wann mache ich mich wegen der Behinderung von Helfern strafbar?

Gem. § 323c Abs.2 StGB droht eine Strafbarkeit auch dann, wenn bei einem Unglücksfall oder einer Situation gemeiner Gefahr oder gemeiner Not eine helfende Person behindert wird. Dafür ist es also zunächst erforderlich, dass eine der oben genannten Notsituationen besteht. Weiter müssen stattfindende tatsächliche Hilfsleistungen oder bloße Hilfsbemühungen behindert werden. Das bedeutet: Eine spürbare, nicht unerhebliche Störung der Hilfsleistung oder -bemühung eines anderen muss erfolgen.

Klassisches und medienpräsentes Beispiel dafür ist das Stören der Versorgung von Unfallopfern durch Fotografieren/Filmen des Unfallorts oder das Blockieren der Rettungsgasse.

Erforderlich ist auch hierfür vorsätzliches (= wissentliches und willentliches) Handeln; mithin die Möglichkeit zu erkennen, durch das eigene Handeln Rettungsmaßnahmen zu stören.

Strafverteidiger beim Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung

Sachverhalte, in denen eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung im Raum steht, sind oft undurchsichtig: Es geschehen Unfälle, Unglücksfälle, viele Beteiligte sind involviert, stehen unter Stress, geben Geschehnisse anders wieder. Daher ist eine Betrachtung des Einzelfalls durch ein geschultes Auge für eine effektive Strafverteidigung unabdingbar.

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