ARBEITS- ODER BERUFSUNFÄHIG?

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Bei der Abgrenzung von Arbeits- und Berufsunfähigkeit gibt es einige Feinheiten zu beachten. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat sich in dem Urteil vom 20.03.2023 (Az: 16 U 112/22) mit einigen dieser Besonderheiten auseinandergesetzt.

Worum geht es?

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung, verbunden mit einer Krankentagegeldversicherung mit einem versicherten Krankentagegeld von 165,00 €.

In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) ist unter anderem geregelt, dass der Versicherer leistungspflichtig ist, wenn der Versicherungsnehmer infolge von Krankheiten oder Unfällen arbeitsunfähig ist. Die Arbeitsunfähigkeit muss dabei im Rahmen einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung festgestellt werden. Arbeitsunfähigkeit liege dann vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit vorübergehend in keiner Weise ausüben kann. Die Tätigkeit dürfe auch nicht ausgeübt und der Versicherungsnehmer keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgehen. Zudem ist dort geregelt, dass das Versicherungsverhältnis mit dem Eintritt der Berufsunfähigkeit endet. Diese liege vor, wenn der Versicherungsnehmer im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 % erwerbsunfähig ist.

Der Kläger ist seit Langem als Verwaltungsangestellter tätig und war seit 2009 Leiter einer Finanzabteilung. Nach einer Überlastungssituation des Klägers infolge personeller Erweiterungen kam es zu Konflikten am Arbeitsplatz. Zum 01.07.2017 wurde er als Leiter der strategischen Finanzplanung seiner Nachfolgerin unterstellt, obwohl er darum gebeten hatte, dies zu verhindern. Infolge der vom Kläger als Mobbing erfahrenen und anhaltenden Arbeitsplatzkonflikte war er ab dem 27.05.2019 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Beklagte nahm zum vereinbarten Zeitpunkt die Zahlung von Krankentagegeld auf. Bei einem Rehabilitationsaufenthalt wurde bei dem Kläger unter anderem eine rezidivierende depressive Störung diagnostiziert. Er wurde am 20.04.2020 aus der Rehabilitation entlassen. Im Entlassungsbericht wurde zum Leistungsvermögen des Klägers angegeben, dass dieser leistungsunfähig für den letzten Arbeitsplatz sei. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit könne er nur noch in einem Umfang von weniger als drei Stunden ausüben. Ausschlaggebend hierfür seien unlösbare Vorgesetztenkonflikte. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie für die letzte Arbeitstätigkeit bestehe volle Leistungsfähigkeit.

Diese Ausführungen im Entlassungsbericht wertete die Beklagte als Feststellung der Berufsunfähigkeit. Sie teilte dem Kläger mit, dass die Krankentagegeldversicherung daher am 28.08.2020 ende. Dem widersprach der Kläger, die Beklagte hielt jedoch an ihrer Rechtsauffassung fest. Sie stellte ab dem 29.08.2020 die Zahlung von Krankentagegeld ein. Versicherungsprämien wurden von ihr bis zum 28.08.2020 berechnet und vom Konto des Klägers eingezogen.

Der Kläger war noch bis einschließlich 30.09.2020 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Seit dem 01.10.2020 ist er bei seinem Arbeitgeber in einer neuen Aufgabe als Regionalmanager tätig.

Bisheriger Prozessverlauf

Der Kläger verlangte nun von der Beklagten die Zahlung von Krankentagegeld bis zum 30.09.2020 in Höhe von insgesamt 5.445,00 €.  Auch verlangte er die Feststellung, dass das Versicherungsverhältnis zu unveränderten Konditionen fortbestehe. Das erstinstanzlich zuständige Landgericht wies die Klage jedoch ab. Bei dem Kläger sei hinsichtlich der zuletzt konkret ausgeübten Tätigkeit Berufsunfähigkeit festgestellt worden. Maßstab für die Erwerbsunfähigkeit sei der konkrete Arbeitsplatz. Ohne eine Umsetzung und Veränderung der Mitarbeiter habe der Kläger seine Tätigkeit aber nicht mehr aufnehmen können.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit der Berufung. Hinsichtlich der Berufsunfähigkeit sei nicht auf den Arbeitsplatz, sondern auf die Tätigkeit abzustellen. Das Landgericht habe in seinem Urteil Arbeitsunfähigkeit mit Berufsunfähigkeit gleichgesetzt.

Entscheidung des OLG

Das OLG gab nun dem Kläger recht. Bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit sei die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit der versicherten Person in ihrer konkreten Ausprägung maßgeblich. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer verstehe unter dem „bisher ausgeübten Beruf“ – wie in den AVB im Zusammenhang mit der Berufsunfähigkeit formuliert – dasselbe, wie unter der „beruflichen Tätigkeit“, die der Versicherte vorübergehend nicht ausüben kann und damit arbeitsunfähig ist.

Maßstab sei der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung. Bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit bestimme sich die berufliche Tätigkeit nicht nach dem allgemeinen Berufsbild. Vielmehr gehörten nur Tätigkeiten zur Berufsausübung, die dem Berufsbild entsprechen, das sich aus der konkret ausgeübten Tätigkeit des Versicherten bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ergebe.

Keine Gleichsetzung von Berufs- und Arbeitsunfähigkeit

Die Unfähigkeit, der konkreten Tätigkeit am Arbeitsplatz nachzugehen, bedeute aber nicht zwangsläufig, dass auch Berufsunfähigkeit vorliegt. Vielmehr seien bei der Arbeitsunfähigkeit auch besondere Umstände am Arbeitsplatz zu berücksichtigen, die nichts mit der beruflichen Tätigkeit an sich zu tun haben. Darunter würden auch als Mobbing wahrgenommene Konflikte am Arbeitsplatz fallen.   Diese Arbeitsplatzkonflikte hinderten den Kläger – wie auch gutachterlich bestätigt – nicht generell am Nachgehen seiner beruflichen Tätigkeit. Aus medizinischer Sicht habe er seine berufliche Tätigkeit in vollem Umfang ausüben können. Die Konflikte hätten ihn lediglich daran gehindert, an diesen konkreten Arbeitsplatz zurückzukehren.

Das OLG hielt fest, dass die „atmosphärischen Störungen“ in seinem Arbeitsumfeld die Arbeitsunfähigkeit des Klägers begründeten. Zu einem Abklingen seiner Erkrankung sei es erst durch seine vollständige Herausnahme aus der Tätigkeit und die innerbetriebliche Umsetzung gekommen. An jedem anderen Arbeitsplatz in einem anderen Umfeld wäre ihm das Ausüben seiner beruflichen Tätigkeit jedoch stets uneingeschränkt möglich gewesen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt habe volle Leistungsfähigkeit bestanden. Aus diesem Grund sei er nicht berufsunfähig im Sinne der AVB gewesen.

Das OLG verurteilte die Beklagte daher zur Zahlung von Krankentagegeld in Höhe von rund 4.600,00 €. Der Kläger musste sich lediglich die Versicherungsprämien anrechnen lassen, die er aufgrund des Fortbestands des Versicherungsvertrages nachzuzahlen hatte.

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