BAG: Annahmeverzug - Leistungswillen - unterlassener Zwischenverdienst - Böswilligkeit

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Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich zuletzt wiederholt mit Fragen des Annahmeverzugslohns nach erfolgreichem Kündigungsschutzprozess und Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers beschäftigen müssen.

Mit seinem Urteil vom 19.1.2021 (BAG, Urteil vom 19. Januar 2022 – 5 AZR 346/21 –, juris; s. a. FD-ArbR 2022, 449728, beck-online) hat es folgende Rechtssätze aufgestellt:

1. Der Annahmeverzug des Arbeitgebers ist ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer nicht leistungsfähig oder nicht leistungswillig ist.

2. Wird die Arbeitsleistung unter Berufung auf ein nicht wirksam geltend gemachtes Zurückbehaltungsrecht vom Arbeitnehmer nicht erbracht, ist dies i. d. R. als Indiz für den fehlenden Leistungswillen anzusehen (vgl. § 297 BGB).

3. Die Sozialwidrigkeit einer Kündigung hat nicht zwingend die Unzumutbarkeit der Weiterarbeit zu geänderten Bedingungen zur Folge (vgl. § 11 Nr. 2 KSchG).

4. Wenn sich ein Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess auf die Möglichkeit der Zuweisung einer aus seiner subjektiven Sicht zumutbaren Tätigkeit als ein die Kündigung ausschließendes milderes Mittel beruft, ist es ihm im Annahmeverzugsprozess i. R. v. § 11 Nr. 2 KSchG gem. § 242 BGB regelmäßig verwehrt, die objektive Unzumutbarkeit einer entsprechenden Tätigkeit geltend zu machen.

Sachverhalt zum Urteil des BAG

In dem vom BAG entschiedenen Rechtsstreit stritten die Beteiligten um Vergütung wegen Annahmeverzugs (BAG, a. a. O.).

Die Klägerin war bei der Beklagten als Marketing- und Projektmanagerin beschäftigt, bevor die Beklagte zwei nach entspr. arbeitsgerichtlichen Urteilen unwirksame Kündigungen aussprach und seit September 2017 keine Vergütung mehr zahlte (a. a. O.).

Im Gütetermin des ursprünglichen Kündigungsschutzverfahrens berief sich die Klägerin auf den Vorrang einer Änderungskündigung bzgl. einer inserierten Stelle als Servicekraft, woraufhin die Beklagte ihr eine Prozessbeschäftigung als Servicekraft anbot, welche die Klägerin jedoch ablehnte (a. a. O.).

Nach Verkündung der zweitinstanzlichen Entscheidung, die auch dem Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin stattgab, bot die Beklagte eine Prozessbeschäftigung als Frühstückskraft/Zimmermädchen an, was die Klägerin ebenso ablehnte (a. a. O.).

Auch das zur Abwendung der Zwangsvollstreckung unterbreitete Angebot einer Beschäftigung zu unveränderten Bedingungen lehnte die Klägerin sodann unter Berufung auf ein Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitsleistung aufgrund ausstehender Vergütung wegen Annahmeverzugs seit September 2017 ab (a. a. O.). Die Klägerin bezog während des Rechtsstreits zeitweise (allerdings auch im Verfahren nicht näher beziffertes) Arbeitslosengeld (a. a. O).

Das LAG bejahte die Annahmeverzugslohnansprüche (a. a. O.).

Entscheidung des BAG

Das BAG bestätigte nun zwar, dass der Annahmeverzug der Beklagten durch die angebotenen Beschäftigungen nicht beendet wurde (a. a. O.). Der Annahmeverzug der Beklagten habe aber mit dem Wegfall des Leistungswillens der Klägerin geendet (a. a. O.). Dies sei mit der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts geschehen, weil die Klägerin dieses Recht nicht wirksam ausgeübt habe (a. a. O.). Dies sei wiederum gem. § 297 BGB ein Indiz für fehlenden Leistungswillen der Klägerin. Für eine wirksame Ausübung hätte die Klägerin den geltend gemachten Anspruch genau beziffern müssen, was auch die konkrete Angabe der auf die Agentur für Arbeit gem. § 115 Abs. 1 SGB X übergegangenen Ansprüche voraussetze (a. a. O.). Die Beklagte sei so nicht in die Lage versetzt worden, den geforderten Betrag genau zu bestimmen und die Forderung zu erfüllen (a. a. O.).

Des Weiteren sei auch in dem widersprüchlichen Verhalten der Klägerin, welche zunächst ihre Arbeitskraft unter Bezugnahme auf den „notfalls vollstreckbaren“ Weiterbeschäftigungsanspruch anbot, um sodann unmittelbar dem Angebot dieser Beschäftigung ein Zurückbehaltungsrecht entgegenzuhalten, ein hinreichendes Indiz für deren fehlenden Leistungswillen zu sehen (a. a. O.).

Überdies müsse sich die Klägerin gem. § 11 Nr. 2 KSchG den anderweitigen Verdienst als Servicekraft aufgrund widersprüchlichen Verhaltens anrechnen lassen (a. a. O.). Sie habe es böswillig unterlassen, eine nach ihrem eigenen (ursprünglichen) Vortrag zumutbare Arbeit anzunehmen (a. a .O.). Noch im Gütetermin habe sie sich auf den Vorrang einer Änderungskündigung in Bezug auf eben diese Stelle berufen, welche sie als zumutbar bezeichnete (a. a. O.). In der späteren Zurückweisung dieser somit subjektiv zumutbaren Tätigkeit habe sich die Klägerin widersprüchlich verhalten (a. a. O.). Die Sichtweise im vorausgehenden Urteil des LAG verkenne insoweit, dass nichtvertragsgemäße Arbeit nicht ohne Weiteres mit unzumutbarer Arbeit gleichzusetzen sei (a. a. O.).

Rechtliche Bewertung

Der vorliegende Sachverhalt und das Urteil des BAG belegen die durchaus vielfältigen „Fallstricke“ für Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Lohnzahlungsanspruch nach erfolgreichem Kündigungsschutzverfahren und entsprechend ausgeurteiltem prozessualen Weiterbeschäftigungsanspruch.

Zwar kann der Arbeitnehmer sich in vielen Fällen durchaus auf den Anspruch auf Vergütung bei Annahmeverzug im Sinne von § 615 BGB stützen. Insbesondere bleibt es auch nach der hier besprochenen Entscheidung des BAG dabei, dass unzumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten/-angebote den Vergütungsanspruch grds. nicht hindern.

Klargestellt wurde nun jedoch, dass der subjektive Horizont des Arbeitnehmers bzgl. der Zumutbarkeit der prozessualen Weiterbeschäftigung im Zusammenhang mit eventuell widersprüchlichem Verhalten des Arbeitnehmers auch dazu führen kann, dass eigentlich nicht den vertraglichen Gegebenheiten entsprechende Arbeit als „zumutbar“ im Sinne der Vorschrift angesehen werden kann.

Dementsprechend ist betroffenen Arbeitnehmern zu raten, i. R. d. Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts bei vom Arbeitgeber im laufenden Kündigungsschutzverfahren angebotener prozessualer Weiterbeschäftigung unbedingt Vorsicht walten zu lassen. Schließlich gebietet § 615 BGB, dass böswillig unterlassener (zumutbarer) anderweitiger Erwerb generell auf betr. Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers anzurechnen ist.

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