Entschädigung bei Pflicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zum Vorstellungsgespräch im öffentlichen Dienst?

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Ist die Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers zu einem (ersten) Vorstellungsgespräch i. R. eines Vorauswahlverfahrens in einem Bewerbungsverfahren um eine Stelle im öffentlichen Dienst i. S. d. § 165 S. 3 SGB IX ausreichend? Folgt aus der Durchführung weiterer Auswahlgespräche unter Ausschluss des schwerbehinderten Bewerbers gem. §§ 1, 3, 7 AGG u.U. eine Diskriminierung/Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung mit etwaigen Regressansprüchen i. S. v. § 15 Abs. 2 AGG?

Mit der Beantwortung u.a. dieser Fragen befasst sich das Verwaltungsgericht Sigmaringen in dem hier besprochenen Urteil vom 10.2.2023 (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 10. Februar 2023 – 7 K 4878/20 –, juris).


Sachverhalt und Urteil des Verwaltungsgerichts

Der (mit GdB 60 v.H.) schwerbehinderte Kläger verfügte seit 2008 über den erfolgreichen Abschluss der Staatsprüfung für den gehobenen Verwaltungsdient (a.a.O.). Er machte eine Benachteiligung in einem Bewerbungsverfahren auf die von der Beklagten im Jahre 2019 im öffentlichen Dienst ausgeschriebene und sodann anderweitig besetzte Stelle als stellvertretender Hauptamtsleiter geltend und forderte dafür eine angemessene Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG; a.a.O.)

Die beklagte Gemeinde schrieb im Ende 2019 die Stelle des stellvertretenden Hauptamtsleiters im Staatsanzeiger und im gemeindlichen Internetauftritt mit Bewerbungsschluss am 13.01.2020 aus (a.a.O.). Der Kläger bewarb sich fristwahrend unter Hinweis auf seine Schwerbehinderteneigenschaft und Beifügung von Unterlagen zu seinem bisherigen Werdegang (a.a.O.). Er und sechs weitere von insgesamt 11 Bewerbern wurden zu einem Vorstellungsgespräch ins Rathaus der Beklagten eingeladen (a.a.O.). Seitens der Beklagten wurde das Gespräch vom Bürgermeister sowie der Hauptamtsleiterin geführt (a.a.O.). Im weiteren Verlauf des Auswahlverfahrens wurde der Kläger nach diesem ersten Vorstellungsgespräch nicht mehr berücksichtigt (a.a.O.).

Mit vier der verbliebenen Bewerber wurde nachfolgend ein weiteres Vorstellungsgespräch im Beisein der Amtsleiter geführt, während von diesen daraufhin wiederum zwei Bewerber eingeladen wurden, sich i. d. F. dem Gemeinderat vorzustellen (a.a.O.). Einer dieser Bewerber erhielt i. Erg. die ausgeschriebene Stelle (a.a.O.). Dem Kläger wurde mit Schreiben vom 21.01.2020 lediglich mitgeteilt, dass die Stelle an einen seiner Mitbewerber vergeben worden sei (a.a.O.).

Der Kläger mahnte mit E-Mail vom 15.02.2020 gegenüber der Beklagten sodann eine Begründung der Ablehnung seiner Bewerbung sowie Einsicht in die Bewerbungsverfahrensakten an (a.a.O.) Gleichzeitig erhob er Widerspruch gegen die Ablehnung seiner Bewerbung und machte Ansprüche auf Entschädigung und Schadensersatz nach dem AGG wegen Verletzung seines Bewerberverfahrensanspruchs geltend (a.a.O.). Im Nachgang forderte der Kläger schriftlich am 20.03.2020 unter Verweis auf § 15 AGG i. V. m.it § 164 Abs. 1 SGB IX, § 165 S. 1 u. 3 u. 4 SGB IX, §§ 1, 3, und 7 AGG einen Entschädigungsanspruch i.H.v. drei Bruttomonatsgehältern nach BesGr. A9 LBesG B-W und begründete dies mit einer bereits fehlenden Meldung der Stellenausschreibung an die Agenturen für Arbeit, dem verfrühten Ausschluss aus dem eigentlichen Auswahlverfahren und damit unzureichender Einladung zum Vorstellungsgespräch sowie mangelhafter Begründung/Dokumentation (a.a.O.).

Da die Beklagte seiner Forderung nicht nachkam, erhob er am 28.12.2020 Klage beim VG Sigmaringen und forderte eine angemessene Entschädigung ausgehend von der Besoldung nach BesGr. A9 LBesG B-W zzgl. Prozesszinsen ab Klageerhebung (a.a.O.).

Die Beklagte wendete ein, dass die Schwerbehinderung im Rahmen des Vorstellungsgesprächs keine Rolle gespielt habe und die Ablehnung der Bewerbung des Klägers gem. von Art. 33 Abs. 2 GG (nach Leistung., Eignung und Befähigung) auf den gewonnenen Eindrücken in dem (ersten) Vorstellungsgespräch beruht habe, was (mit 45-minütiger Dauer) zudem sehr bzw. ausreichend umfangreich gewesen sei (a.a.O.). Eine Protokollierung dieses Vorstellungsgesprächs war nicht erfolgt (a.a.O.).

Das VG hat der Klage stattgegeben und hat die Beklagte gem. § 15 Abs. 2 AGG zur Zahlung immateriellen Schadensersatzes i. H. v. drei Monatsgehältern (im Zeitpunkt der Erhebung der Klage) nach der BesGr. A 9 (Eingangsstufe), d.h. i. H. v. 8.449,05 EUR verurteilt (a.a.O.).

Zur Begründung seines Urteils führte das Gericht aus, dass aus § 165 S. 3 SGB IX folge, dass schwerbehinderte Bewerber auf eine von einem öffentlichen Dienstherrn ausgeschriebene Stelle bei einem mehraktigen Auswahlverfahren Anspruch darauf haben, dass sie so lange im Auswahlverfahren verbleiben, bis die letztverbindlich behördenintern über die Auswahl entscheidende Stelle einen eigenen Eindruck von der Eignung des schwerbehinderten Bewerbers gewinnen kann (a.a.O.). Diese Anforderung sei vorliegend durch die Beklagten nicht erfüllt, wenn der schwerbehinderte Bewerber schon in einem Vorauswahlverfahren, welches das Ziel hat, der zur Letztentscheidung berufenen Stelle (hier: Gemeinderat) die geeignetsten Bewerber vorzuschlagen, aus dem weiteren Auswahlverfahren ausgeschlossen werde (vgl. VG Sigmaringen, a.a.O.). Etwas anderes gelte nur dann, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehle (vgl. § 165 S. 4 SGB IX) und dies hinreichend dokumentiert sei (a.a.O. im Anschluss an BAG, Urteil vom 27.08.2020 - 8 AZR 45/19 - NZA 2021, 200 Ls. 1), was hier auch nicht der Fall war (a.a.O.).


Rechtliche Bewertung

Die Entscheidung verdient Zustimmung. Das Urteil belegt u.a., wie wichtig es für den öffentlichen Arbeitgeber/Dienstherrn ist, sich auch der Pflichten i. S. v. § 165 S. 1 u. S. 3 SGB IX bewusst zu sein und diese auch ernst zu nehmen, um Entschädigungsansprüche vermeiden zu können (vgl. von Roetteken, jurisPR-ArbR 45/2023 Anm. 4). Wie bei jedem Auswahlverfahren um Stellen im öffentlichen Dienst verdeutlicht der vorliegende Fall im besonderen Kontext der Entschädigungsansprüche nach AGG auch, wie bedeutsam insbesondere die Einhaltung der Dokumentationspflichten i. S. v. Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG (also letztlich die möglichst lückenlose Dokumentation des gesamten Auswahlverfahrens und der Auswahlentscheidung) ist (s. a. von Roetteken, a.a.O.).


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