Befangenheit eines Richters durch Vorbefassung im Parallelvefahren?

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Immer wieder kommt es vor, dass aus prozessökonomischen Gründen Mittäter oder Bandenmitglieder nicht in einem Verfahren, sondern in mehreren Parallelverfahren verurteilt werden. Diese Verfahren können selbstverständlich auch nacheinander ablaufen. Aber ist ein Richter, der in Parallelverfahren tätig war, nicht im Folgeverfahren befangen?

Einen solchen Fall (aus Deutschland) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 16.2.2021 entschieden.

Was war passiert?

Ein Paar wurde beschuldigt, den Ehemann der Frau ermordet zu haben. Ihr Freund ist im ersten Verfahren wegen Mordes verurteilt worden. Die Frau ist nachfolgend in einem zweiten Verfahren ebenfalls wegen Mordes verurteilt worden.

Der Berichterstatter im ersten Verfahren (gegen den Freund) war im zweiten Verfahren gegen die Frau der Vorsitzende Richter.

Das Problem war, dass das Landgericht in dem ersten Verfahren nicht nur die notwendigen Tatsachen auch für die Tatbeteiligung der Frau gesammelt hat, sondern diese Tatsachen auch bezüglich der dort gar nicht angeklagten Frau rechtlich würdigte.

Die Revision der Frau beim Bundesgerichtshof blieb ebenso erfolglos wie ihre Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht.

Daraufhin wandte sich die Frau an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

Dieser stellte fest, dass die Frau (Beschwerdeführerin) berechtigterweise Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters haben durfte.

Der EGMR brachte dabei zunächst dieselben Kriterien wie der BGH zur Anwendung und stellte fest, dass ein Berufsrichter sich von Erkenntnissen von Vorverfahren freimachen könne. 

Auch die Erhebung einer Vielzahl von belastenden Tatsachen auch gegen die Frau hätte der EGMR wohl nicht beanstandet.

Die in dem Verfahren gegen den Freund gar nicht notwendige ausführliche rechtliche Würdigung der Tatsachen bzgl der Frau als Mord erfolgte in einer Wortwahl, die keinen Zweifel daran ließ, dass sich das Gericht des ersten Verfahrens bereits über die Art des Tatbeitrages der Frau festgelegt hatte.

Das Urteil des ersten Gerichtes wurde vom Berichterstatter verfasst, der den Vorsitz im zweiten Verfahren gegen die Frau führte.

Hier sah der EGMR dann, dass zu der Vorbefassung des Vorsitzenden schriftliche Äußerungen von ihm (sein Urteil gegen den Freund) kamen, die berechtigterweise erhebliche Zweifel an der Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters aufkommen ließen.

Konsequenzen für die Praxis:

Nach dieser Rechtsprechung des EGMR sind bei Urteilen von aus Vorverfahren vorbefassten Richtern frühzeitig die Urteile der Vorverfahren danach abzusuchen, ob sie die Angeklagten der Folgeverfahren "vorverurteilen". Dies kann und muss dann rechtzeitig mit einem Befangenheitsantrag gerügt werden.





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