Behinderte Menschen in der Familienversicherung

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„Kinder sind versichert ... ohne Altersgrenze, wenn sie als behinderte Menschen (§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX) außerstande sind, sich selbst zu unterhalten; Voraussetzung ist, dass die Behinderung zu einem Zeitpunkt vorlag, in dem das Kind [familien]versichert war“, § 10 II Nr. 4 SGB V. Der weitaus überwiegende Teil von Behinderten – in erster Linie geistig behinderte Menschen – ist abhängig von Grundsicherungsleistungen. Leistungen nach SGB II oder XII sind aber nachrangig. D.h., dass die Leistungsträger dann meist auf die Möglichkeit der Familienversicherung hinweisen und mit diesem Argument die eigenständige Krankenversicherung des Leistungsbeziehers ablehnen. Die Krankenversicherungen ihrerseits lehnen die (kostenlose) Familienversicherung im Bereich des SGB II immer mit dem Argument ab, der Antragsteller beziehe Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, dieses setze eine Mindestleistungsfähigkeit voraus. Er/Sie sei also in der Lage, erwerbstätig zu sein und damit für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Das Jobcenter argumentiert dagegen, er/sie sei ja gar nicht erwerbsfähig und reicht den behinderten Menschen an den örtlichen Sozialhilfeträger weiter. Der verweist auf die Nachrangigkeit der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei voller Erwerbsminderung und auf die Möglichkeit zur Familienversicherung und lehnt die eigenständige KV ab. Der behinderte Mensch, der auf medizinische Versorgung angewiesen ist, sieht sich drei Behörden gegenüber, die ihn zwischen sich hin-und herschieben.

Was also tun? Viele Anwälte, Berater und wohlmeinende Familienangehörige legen dann den Schwerpunkt auf die bestehende Behinderung: Der Antragsteller sei doch schon seit Jahren als Schwerbehinderter anerkannt, die geistige Behinderung sei bereits im Kindergarten erkannt worden ... Das ist aber nur ein Aspekt von zweien. Zunächst einmal muss die Unmöglichkeit, sich selbst wirtschaftlich zu unterhalten, geklärt werden.

Verdeutlichen lässt sich das auch am Bespiel der Familienversicherung von Ehepartnern: Es kommt überhaupt nicht darauf an, ob der Partner schwerbehindert ist oder nicht, sondern auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit: Sofern er/sie hauptberuflich selbständig ist (§ 10 I Nr. 4 SGB V) oder ein Gesamteinkommen hat, das regelmäßig eine Mindestgrenze (geregelt in § 18 SGB IV) überschreitet (§ 10 Abs. I Nr. 5 SGB V), scheidet die Familienversicherung aus.

Damit ist das Jobcenter hier als erste Behörde „aus dem Spiel“. Es liefert indirekt sogar ein Argument für eine Familienversicherung: In den meisten Fällen beziehen behinderte Menschen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Form des Sozialgeldes, § 19 I S. 2 SGB II. Dort ist ausdrücklich die Rede von „Nichterwerbsfähigen Leistungsberechtigten, (die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben) ...“.

Soweit ersichtlich, gibt es nur ein einziges Urteil zu dem Themenkreis „behinderte volljährige Kinder in der Familienversicherung“, vom SG Dortmund (Az.: S 39 KR 490/10 vom 27.06.2013). Es wurde auch nie in höherer Instanz entschieden. Das SG verwies in seinem Urteil auf die bestehende Entlohnungspraxis in der BRD: Im November 2012 hätten 1,2 Millionen Menschen sich nicht selbst erhalten können, sondern seien ergänzend zu ihrem Entgelt auf Transferleistungen aus dem SGB II angewiesen gewesen. Etwa 330.000 Menschen hätten sogar ein Einkommen von mehr als € 800,- erzielt.

Das Sozialgericht beschränkt sich aber in seinem Urteil nicht auf das Wiedergeben von statistischen Werten, es geht sogar noch weiter: Behinderte Menschen werden nicht per se als erwerbsunfähig abqualifiziert, sondern das Gericht kommt zu dem Schluss, dass die Unmöglichkeit, sich selbst zu erhalten, durchaus im Bereich des SGB II gegeben sein kann. Ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Tätigkeit könne dieser Personengruppe abverlangt werden. Auf einem Arbeitsmarkt, der zunehmend von geistigen Fähigkeiten geprägt sei, sei es dieser Personengruppe aber nicht einmal möglich, ein Einkommen im Bereich der Mindestlöhne zu erzielen.

Krankenversicherung ist gerade für behinderte Menschen von besonderer Bedeutung, gerade im Hinblick auf die enormen Kosten für medizinische Versorgung. Doch trotz gestärkter Rechte behinderter Menschen durch das Bundesteilhabegesetz gibt es auf diesem Gebiet keine Verbesserungen. Ein Grund mehr für mich, für Sie am Ball zu bleiben!


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