Behinderung der Betriebsratsarbeit: Nicht jede Teilnahme an einer BR-Sitzung per se erforderlich

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„Schockstarre“ bei Betriebsräten und Gewerkschaften über das Urteil des LAG Köln vom 20.01.2023 – 9 TaBV 33/22; Quelle: Beck-online.de. Zum ersten stellt das LAG Köln in seinem Urteil vom 20.01.2023 klar, dass nicht jede Teilnahme eines Mitglieds des Betriebsrats an einer Betriebsratssitzung – per se – erforderlich im Sinne der Vorschrift des § 37 Abs. 2 BetrVG ist. Zum zweiten führt das LAG Köln aus: Betriebsrat kann Gehaltskürzungen in Zukunft nicht per Gericht per Unterlassungsantrag verhindern.

Was ist passiert?

LAG Köln (9. Kammer), Beschluss vom 20.01.2023 – 9 TaBV 33/22: „Die Beteiligten streiten über die Frage der Behinderung der Betriebsratsarbeit durch die Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Textilunternehmen. Der in ihrer „Filiale K “ (S) gebildete und aus sieben Mitgliedern bestehende Betriebsrat entschied im Zuge der Corona-Pandemie, Sitzungen auf Grundlage seiner Geschäftsordnung im Rahmen von Videokonferenzen durchzuführen und seinen Mitgliedern die Teilnahme an diesen Videokonferenzen von zu Hause aus zu ermöglichen. Die Arbeitgeberin wies zwischen August 2021 und Mai 2022 bei verschiedenen Betriebsratsmitgliedern auf deren Gehaltsabrechnungen für mehrere Tage unbezahlte Fehlzeiten für Tage aus, an denen diese – so deren Behauptung – von zu Hause aus an Betriebsratssitzungen teilgenommen oder andere Betriebsratstätigkeiten verrichtet haben. Mit seinem am 02.02.2022 bei dem Arbeitsgericht Köln eingereichten Antrag hat der Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit und Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die von der Arbeitgeberin vorgenommenen Gehaltskürzungen stellten eine Behinderung seiner Arbeit, eine Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern sowie einen Verstoß gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit dar. Die Arbeitgeberin versuche durch die Gehaltsabzüge, Betriebsratsmitglieder zu nötigen, ausschließlich im Betriebsratsbüro an Betriebsratssitzungen teilzunehmen. Dies sei jedoch wegen der zu kleinen Räumlichkeiten und dem damit verbundenen Infektionsrisiko unzumutbar.“ Quelle: Beck-online.de

Betriebsrat fordert bei Gericht: Keine Gehaltsabzüge bei Betriebsratsmitgliedern/ Ersatzmitgliedern für Zeiten, zu denen sie von zu Hause aus an erforderlichen Betriebsratssitzungen nach § 30 Abs. 2 BetrVG per Video- oder Telefonkonferenz teilgenommen haben

Die Arbeitgeberin hat laut LAG Köln im Besonderen wie folgt beantragt: „die Gehaltsabzüge seien nicht deshalb vorgenommen worden, weil die betreffenden Betriebsratsmitglieder von zu Hause aus an (angeblichen) Betriebsratssitzungen teilgenommen hätten, sondern weil für sie als Arbeitgeberin bei der Wahrnehmung (angeblicher) Betriebsratstätigkeit von zu Hause aus mangels Ab- und Anmeldung nicht erkennbar sei, ob die Betriebsrats- bzw. Ersatzmitglieder tatsächlich einer Betriebsratstätigkeit nachgegangen oder schlicht unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben seien. Darüber hinaus habe sie ein berechtigtes Interesse daran, dass die Betriebsratsmitglieder während der Sitzung in der Filiale anwesend seien, da sie ihre Arbeitsleistung in der Filiale zu erbringen hätten und ihre Arbeit nach Beendigung der Betriebsratssitzung schnell wiederaufnehmen können müssten. Schließlich stehe dem Betriebsrat der geltend gemachte Anspruch nicht zu, da er letztlich den Vergütungsanspruch der betroffenen Betriebsratsmitglieder und damit in unzulässiger Weise deren höchstpersönliche Rechte geltend mache.“ Quelle: Beck-online.de

LAG Köln stellt klar: Anträge des Betriebsrats sind zurückzuweisen

LAG Köln: „Der Betriebsrat kann nicht mit seinem Antrag zu 2. von der Arbeitgeberin die Unterlassung von Gehaltsabzügen bei Betriebsratsmitgliedern für Zeiten verlangen, zu denen sie von zu Hause aus als geladene Teilnehmer an Betriebsratssitzungen per Video- oder Telefonkonferenz teilgenommen haben. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder wegen grober Verstöße der Arbeitgeberin gegen betriebsverfassungsrechtliche Verpflichtungen aus § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG noch wegen einer Behinderung von Betriebsratstätigkeiten aus § 78 Satz 1 BetrVG. Denn der Antrag umfasst als Globalantrag auch Konstellationen, in denen er sich als unbegründet erweist. Ein Gehaltsabzug, der wegen der Teilnahme an einer Betriebsratssitzung erfolgt, ist nämlich nicht in allen Fallgestaltungen rechtswidrig. Denn nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit nur insoweit befreit, als dies zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.“ Quelle: Beck-online.de

Nicht jede Teilnahme an einer Betriebsratssitzung ist per se – erforderlich -

LAG Köln: „Gegenstand der von ihnen vorzunehmenden Erforderlichkeitsprüfung ist demnach nicht nur die Notwendigkeit der zu verrichtenden Betriebsratsarbeit, sondern auch, ob diese Betriebsratsarbeit die Nichtleistung der beruflichen Tätigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt erforderlich macht. Grundsätzlich sind dabei die Dringlichkeit der beruflichen Tätigkeit und der Verrichtung von Betriebsratsarbeit gegeneinander abzuwägen. Dies gilt auch für die Teilnahme an Betriebsratssitzungen. Wenn in einer Sitzung keine wichtigen oder keine sonstigen Fragen zu behandeln sind, welche die Teilnahme gerade dieses Betriebsratsmitglieds erfordern, kann es durchaus sachgerecht sein, das Betriebsratsmitglied bei einer betrieblichen Unabkömmlichkeit als an der Teilnahme verhindert anzusehen, so dass an seiner Stelle ein Ersatzmitglied an der Betriebsratssitzung teilnimmt“ Quelle: Beck-online.de

Keine Behinderung der Betriebsratsarbeit

LAG Köln: „Ein Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG scheidet hier schon deswegen aus, weil sich selbst dann, wenn objektiv erforderliche Betriebsratstätigkeiten ausgeübt worden sein sollten, kein grober Verstoß der Arbeitgeberin gegen ihre sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergebenden Pflichten feststellen ließe. Denn die Arbeitgeberin hat lediglich Zeiten nicht vergütet, an denen nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder nicht gearbeitet hatten, und in diesem Zusammenhang bestritten, dass diese stattdessen erforderliche Betriebsratsarbeit geleistet haben. Streitpunkte sind damit ungeklärte Tatsachen und nicht ohne weiteres zu beantwortende Rechtsfragen. Auch wenn eine grobe Pflichtverletzung nicht unbedingt ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers voraussetzt, stellt die Verteidigung einer Rechtsposition in ungeklärten Tatschen- und Rechtsfragen keinen groben Pflichtverstoß des Arbeitgebers dar.“ Quelle: Beck-online.de

Kein Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung von Entgeltabzügen in der Zukunft

LAG Köln: „Vielmehr begehrt er die Unterlassung der Unterlassung von Entgeltzahlungen. Wie bereits die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts in dem zwischen den Beteiligten geführten einstweiligen Verfügungsverfahren 5 TaBVGa 1/22 in ihren Hinweisen vom 25.03.2022 und 04.04.2022 dargelegt hat, ist das Verlangen des Betriebsrats in Wirklichkeit auf ein zukünftiges Handeln der Arbeitgeberin, nämlich die Zahlung von Arbeitsentgelt, gerichtet. Für einen Anspruch des Betriebsrats auf zukünftige Entgeltzahlung an seine Mitglieder bietet § 78 Satz 1 BetrVG keine geeignete Anspruchsgrundlage. Bei gegenwärtig noch fortdauernden widerrechtlichen Behinderungen kann ein Betriebsrat nach den allgemeinen Grundsätzen negatorischen nur deren Beseitigung verlangen. Dieser Anspruch erstreckt sich allein auf die Beseitigung eines bereits bestehenden betriebsverfassungswidrigen Zustands einschließlich der Beeinträchtigungen, die durch die primäre Störung entstehen. Dem Betriebsrat geht es im vorliegenden Fall jedoch um Verhinderung eines künftigen Verhaltens der Arbeitgeberin; er verlangt eben nicht die Zahlung an seine (Ersatz-) Mitglieder für vergangene Zeiträume und die Beseitigung der möglicherweise darin liegenden Behinderung der Betriebsratstätigkeit, für die im Übrigen keine Notwendigkeit mehr bestünde, würde man das Vollstreckungsverfahren gemäß seiner Anregung aussetzen, bis über die Entgeltklage des Betriebsratsmitglieds entschieden wäre.“ Quelle: Beck-online.de

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren ausschließlich als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf die Kündigung von Mitarbeitern/innen? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie zu den Rechten und Pflichten des Betriebsrats gemäß Betriebsverfassungsgesetz.


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