BERUFSUNFÄHIGKEIT: KEINE LEISTUNG BEI KONKRETER VERWEISUNG AUF VERGLEICHSTÄTIGKEIT?

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Neuigkeiten zur Berufsunfähigkeitsversicherung kommen diesmal vom Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg (Urteil vom 31.01.2022, Az: 8 U 2196/21). Wird nach Eintritt der Berufsunfähigkeit eine neue Beschäftigung aufgenommen, kann der Versicherer über die konkrete Verweisung gegebenenfalls die Leistung einstellen. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die neue Tätigkeit mit der ehemaligen bezüglich des Einkommens und der sozialen Wertschätzung vergleichbar ist. Im konkreten Fall wurde diese Vergleichbarkeit abgelehnt.  

Was geschah? 

Im vorliegenden Fall war ein Konstruktionsmechaniker nicht mehr in der Lage, seinen gelernten Beruf auszuüben. Sein Versicherer, bei welchem er zwei Verträge bezüglich einer Berufsunfähigkeitsrente hatte, erbrachte die geschuldeten Leistungen auch zunächst. Als der Versicherungsnehmer und Kläger 2019 eine neue Beschäftigung als Fahrer und Messgehilfe bei dem Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung des Freistaates Bayern aufnahm, stellte der beklagte Versicherer die Leistungen nach einem Nachprüfungsverfahren jedoch ein. Dies geschah unter Bezugnahme auf die vertraglich vereinbarte konkrete Verweisung auf die neue Tätigkeit. Durch diese Tätigkeit werde die Lebensstellung des Klägers gewahrt – mit der Aufnahme ende der Versicherungsfall.  

Entscheidung der ersten Instanz 

Das Landgericht Weiden hatte die Klage in der ersten Instanz noch abgewiesen. Es war der Ansicht, dass die konkrete Verweisung wirksam gewesen sei und die Leistungspflicht des Versicherers damit endete. Dem widersprach das OLG in seiner Entscheidung und gab der Klage in der Hauptsache in vollem Umfang statt.  

Die Entscheidung des OLG 

Zwar verdiente der Kläger bei seiner neuen Tätigkeit sogar etwas mehr als in seinem erlernten Beruf. Das OLG hob jedoch hervor, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung den individuellen und sozialen Abstieg im Berufsleben und in der Gesellschaft verhindern soll. Aus diesem Grund sei bei der Aufnahme einer neuen Beschäftigung nach Eintritt der Berufsunfähigkeit deren Eignung zur Wahrung der versicherten Lebensstellung zu berücksichtigen, nicht nur die Höhe des Einkommens. Die soziale Stellung und Wertschätzung des Einzelnen beruhe auch auf dem durch seinen Beruf vermittelten Ansehen. Die Qualifikation der Erwerbstätigkeit hänge davon ab, welche Kenntnisse und Erfahrungen die ordnungsgemäße Ausübung der Tätigkeit voraussetze. Eine Vergleichstätigkeit liege nur dann vor, wenn diese keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordere als der bisherige Beruf. Die Vergütung und soziale Wertschätzung der Beschäftigung dürfe nicht spürbar unter das Niveau der Vortätigkeit absinken. Dies sei im Rahmen einer Gesamtabwägung festzustellen. 

Keine stellungswahrende Vergleichstätigkeit 

Dies zugrunde legend sah das OLG in der neuen Beschäftigung des Klägers keine entsprechende Vergleichstätigkeit. Zum einen war für die neue Tätigkeit lediglich eine vierwöchige Anlern- und Einarbeitungsphase erforderlich. Für den Beruf des Konstruktionsmechanikers hatte der Kläger demgegenüber die Gesellenprüfung abgelegt. Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seine durch die Ausbildung erlangten Kenntnisse bei seiner neuen Tätigkeit gewinnbringend einsetzen konnte. Weiterhin wird der Kläger nun nicht mehr an nur einem Ort, sondern in ganz Bayern eingesetzt. Auch dies senke nach Ansicht des OLG die Lebensstellung des Klägers. Das OLG lehnte auch das Argument der höheren Strahlkraft des öffentlichen Dienstes ab. Dafür gebe es keine Anhaltspunkte, vielmehr müssten sich auch öffentliche Arbeitgeber auf dem Stellenmarkt behaupten und sich gegen Konkurrenten durchsetzen.  

Die konkrete Verweisung des Versicherers scheiterte nach Ansicht des OLG somit schon an allgemeinen Kriterien. Der Versicherer wurde zur (Nach-)Zahlung von mehr als 25.000,00 € verurteilt und muss auch weiterhin die Berufsunfähigkeitsrente erbringen.  

Foto(s): Shutterstock.com

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