Berufsunfähigkeitsversicherungen: 10 Tipps hinsichtlich des Nachprüfungsverfahren

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Werden aufgrund eines Anerkenntnisses der Einstandspflicht Leistungen durch einen Berufsunfähigkeitsversicherer erbracht, so steht diesem nach den zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen in aller Regel die Möglichkeit offen, das Fortbestehen der Voraussetzungen der Einstandspflicht zu überprüfen.

Im Rahmen dieses sogenannten Nachprüfungsverfahrens treffen den Versicherungsnehmer verschiedene Mitwirkungspflichten.

Konfrontiert mit dem vom Versicherer durchgeführten Nachprüfungsverfahren stellen sich dem Betroffenen zahlreiche Fragen. Auf einige dieser Fragen und wichtige Punkte im Nachprüfungsverfahren soll nachfolgend eingegangen werden.


1. Nerven behalten

Es ist zunächst wichtig, sich die Ausgangssituation zu vergegenwärtigen.

Eine Berufungsunfähigkeitsversicherung überprüft regelmäßig, ob weiterhin eine Einstandspflicht besteht oder aber nicht. Die Versicherung macht damit von einem ihr aus nachvollziehbaren Gründen eingeräumten Recht Gebrauch.

Mit der Durchführung des Nachprüfungsverfahrens alleine ist noch nichts über den möglichen Ausgang des Verfahrens gesagt. Soweit weiterhin eine Einstandspflicht der Versicherung besteht, kann diese sich auch durch das Nachprüfungsverfahren hiervon selbstverständlich nicht lösen.

Wichtig zu vergegenwärtigen ist daneben, dass eine etwaige negative Entscheidung des Versicherers im Nachprüfungsverfahren nicht bindend ist. Eine derartige Entscheidung kann, gegebenenfalls auch gerichtlich, überprüft werden. In diesem Falle wird dann objektiv festgestellt, ob die mitgeteilte Leistungseinstellung sowohl in formeller Hinsicht, also hinsichtlich des einzuhaltenden Verfahrens und der dort geltenden Regelungen, als auch inhaltlich gerechtfertigt ist.


2. Rechtsgrundlagen

Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG), welches auf alle private Versicherungsverträge Anwendung findet, hat zum 01. Januar 2008 erhebliche Änderungen erfahren.

Für Verträge, die ab diesem Zeitpunkt abgeschlossen worden sind, gelten nunmehr für den Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung spezielle Regelungen, die in den §§ 172 bis 177 VVG niedergelegt sind. Regelungen bzgl. des Nachprüfungsverfahrens finden sich in § 174 VVG. Daneben gelten die Regelungen in den dem jeweiligen Vertrag zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen.

Diese Regelungen sind bei Altverträgen, also Verträgen, die vor dem 01. Januar 2008 abgeschlossen worden sind, alleinige Grundlage für das Nachprüfungsverfahren.

Zu beachten ist daneben die umfassende Rechtsprechung der Gerichte, insbesondere des Bundesgerichtshofes. In Ermangelung gesetzlicher Regelungen sind die „Spielregeln“ im Nachprüfungsverfahren in erster Linie durch Urteile festgelegt worden. Ohne fundierte Kenntnisse der Rechtsprechung ist es nicht möglich, die Rechte und Pflichten der Beteiligten im Nachprüfungsverfahren zu verstehen.


3. Beweislast

Die Frage der Beweislast ist von großer Bedeutung. Sie ist dafür entscheidend, wer im Falle einer Leistungseinstellung im Nachprüfungsverfahren was beweisen muss.

Es verhält sich im Nachprüfungsverfahren so, dass der Versicherer, der seine Leistungen einstellen will, darlegen und beweisen muss, dass die vormals gegebenen Voraussetzungen seiner Einstandspflicht nicht mehr gegeben sind. Gelingt ihm dies nicht, so ist er weiterhin verpflichtet, die geschuldeten Leistungen zu erbringen.

Die Situation im Nachprüfungsverfahren ist insoweit für den Versicherungsnehmer deutlich besser als bei der erstmaligen Geltendmachung von Ansprüchen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung.

Werden erstmals Ansprüche geltend gemacht, so muss der Versicherungsnehmer, gegebenenfalls in einem gerichtlichen Verfahren, darlegen und beweisen, dass er unter Berücksichtigung der jeweils vereinbarten Versicherungsbedingungen als berufsunfähig anzusehen ist mit der Folge, dass ihm entsprechende Versicherungsleistungen zustehen. Bleiben hier Zweifel, so dass das Gericht die Frage des Bestehens von Berufsunfähigkeit nicht eindeutig in die eine oder andere Richtung entscheiden kann, so geht dies zu Lasten des Versicherungsnehmers.

Im Nachprüfungsverfahren indes verhält es sich genau umgekehrt. Lässt sich hier nicht mit Sicherheit sagen, ob die Voraussetzungen für eine weitere Leistungserbringung noch gegeben sind oder aber nicht, geht dies zu Lasten der Versicherung.


4. Zurückweisung möglich?

Voraussetzung für eine wirksame Leistungseinstellung, welche dem Betroffenen immer schriftlich mitgeteilt wird (für Verträge ab dem 01. Januar 2008 ist dies inzwischen auch gesetzlich festgelegt), ist, dass die Person, die eine solche Leistungseinstellung auf Seiten der Versicherung ausspricht, dazu auch tatsächlich berechtigt ist.

Es ist daher auch zu prüfen, ob tatsächlich eine wirksame Bevollmächtigung der jeweiligen Person gegeben ist und dies auch nachgewiesen wird. Soweit eine derartige Bevollmächtigung tatsächlich nicht gegeben ist, kann eine Leistungseinstellung unter Umständen schon deshalb zurückgewiesen werden.

Eine mögliche Zurückweisung muss innerhalb bestimmter Fristen und in bestimmter Form erklärt werden. Erfolgt eine wirksame und fristgemäße Zurückweisung, so muss der Versicherer nochmals - nunmehr ordnungsgemäß - eine Leistungseinstellung mitteilen. Unterbleibt dies, so verbleibt es bei der Einstandspflicht. Soweit eine erneute, diesmal korrekte Leistungseinstellung mitgeteilt wird, wirkt diese gegebenenfalls erst zu einem späteren Zeitpunkt.


5. Fristberechnung

Eine Einstellung kann selbstverständlich nur mit Wirkung für die Zukunft ausgesprochen werden. Dem Versicherungsnehmer wird in jedem Falle eine gewisse Frist zugestanden, die ab Ausspruch bzw. Erhalt der Leistungseinstellung und dem Ende der Leistungspflicht der Versicherung liegt.

Bei Altverträgen, also Verträgen, die vor dem 01. Januar 2008 abgeschlossen worden sind, ergeben sich entsprechende Fristen aus den Versicherungsbedingungen. Hier ist oftmals vereinbart, dass eine Leistungseinstellung beispielsweise wirksam wird mit Ablauf des der Einstellungsmitteilung nachfolgenden Monates oder ähnliches.

Für Verträge ab dem 01. Januar 2008 gilt die in § 174 Abs. 2 VVG geregelte Frist. Hier kann eine Leistungseinstellung frühestens mit dem Ablauf des dritten Monats nach Zugang einer entsprechenden Erklärung des Versicherers in Betracht kommen.

Bei der Frage, ob die zu beachtenden Fristen eingehalten sind, ist bei Altverträgen zu beachten, dass hier noch nicht geklärt ist, ob die kürzeren Fristen überhaupt noch wirksam sind, nachdem gesetzlich für die Zukunft eine längere Frist für Neuverträge vorgesehen ist. Auch hier bedarf es also einer sorgfältigen Prüfung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung.


6. Nachvollziehbarkeit

Es genügt nach der Rechtsprechung nicht, dass der Versicherer lediglich mitteilt, seine Leistungen zukünftig einzustellen. Vielmehr muss der Versicherer seinen Versicherungsnehmer umfassend informieren.

Eine Änderungsmitteilung ist nur dann wirksam, wenn sie einen Vergleich des dem Anerkenntnis des Versicherers zugrundeliegenden Gesundheitszustandes mit dem für die Leistungseinstellung nunmehr maßgeblichen aktuellen Gesundheitszustand enthält. Der Versicherer muss weiter aufzeigen, auf welche Veränderungen er seine Entscheidung stützt bzw., soweit er eine Verweisung auf eine andere Tätigkeit ausspricht, im einzelnen darlegen, warum eine entsprechende Verweisung in Betracht kommt und zu einer wirksamen Leistungseinstellung führt.

Hintergrund für die Verpflichtung des Versicherers, umfangreich zu informieren, ist, dass der Versicherungsnehmer abschätzen können muss, wie seine Aussichten einer möglichen gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung sind.

Im Nachprüfungsverfahren besteht ja die Besonderheit, dass der Versicherungsnehmer nach den zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen verpflichtet ist, der Versicherung Auskünfte zu erteilen und sich auch ärztlich untersuchen zu lassen. Der Versicherungsnehmer ist also mit anderen Worten verpflichtet, selber daran mitzuwirken, dass gegebenenfalls eine Leistungseinstellung erklärt werden kann. Da ihm eine entsprechende Mitwirkungsobliegenheit trifft, soll auf der anderen Seite der Versicherer auch verpflichtet sein, sicherzustellen, dass sein Vertragspartner seine Rechte aus dem Versicherungsverhältnis ebenfalls sachgerecht wahrnehmen kann. Dies bedeutet auch, dass ihm sämtliche Informationen an die Hand gegeben werden, die es ihm ermöglichen, sein mögliches Prozessrisiko abzuschätzen.

Soweit es an einer derartigen nachvollziehbaren Begründung ermangelt, ist die Leistungseinstellung schon aus formellen Gründen unwirksam.


7. Überlassung medizinischer Unterlagen

An einer Nachvollziehbarkeit ermangelt es insbesondere dann, wenn medizinische Unterlagen, auf die der Versicherer seine Leistungseinstellung stützt, dem Versicherungsnehmer nicht zugänglich gemacht werden.

Soweit die Leistungseinstellung auf ein eingeholtes Gutachten, eine ärztliche Einschätzung bzw. Arztberichte oder ähnliches gestützt wird, sind diese Unterlagen mit der Mitteilung der Leistungseinstellung an den Versicherungsnehmer zu übermitteln. Es reicht keinesfalls aus, lediglich auf derartige Unterlagen zu verweisen oder diese nur auszugsweise mitzuteilen. Da der frühere und der aktuelle Gesundheitszustand nachvollziehbar miteinander verglichen werden müssen und eine derartige Gegenüberstellung auch Bezug nehmen muss auf entsprechende ärztliche Unterlagen, die die Leistungseinstellung stützen sollen, bedarf es auch der Möglichkeit der Einsicht in die entsprechenden Dokumente.


In der Praxis kommt es häufig vor, dass entsprechende Unterlagen dem Versicherungsnehmer nicht zugänglich gemacht werden. In diesem Falle ist sehr sorgfältig abzuwägen, ob und falls ja zu welchem Zeitpunkt das Fehlen dieser Unterlagen moniert werden soll. Hier spielen dann auch taktische Fragen eine nicht zu unterschätzende Rolle.


8. Nachschieben von Gründen

Die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung soll es dem Versicherungsnehmer ermöglichen, abzuschätzen, ob sich, soweit eine anderweitige Verständigung nicht möglich ist, die Einleitung gerichtlicher Schritte voraussichtlich „lohnt“ oder aber nicht. Um dies beurteilen zu können, wird der Versicherungsnehmer regelmäßig auf das abstellen und nur das berücksichtigen können, was ihm der Versicherer als tragende Gründe für seine Entscheidung mitgeteilt hat.

Da es sich im Nachprüfungsverfahren um eine ganz besondere Situation handelt, in der der Versicherungsnehmer mitwirken muss, um gegebenenfalls dem Versicherer eine Leistungseinstellung zu ermöglichen, muss auch der Versicherer fair mit seinem Versicherungsnehmer umgehen. Dies bedeutet, dass er die Karten auf den Tisch legen und sämtliche Gründe, die er zu haben glaubt, angeben muss.

Soweit sich eine Leistungseinstellung unter Berücksichtigung der in der Einstellungsmitteilung angegebenen Begründung als nicht haltbar erweist, kann der Versicherer vor diesem Hintergrund nicht zu einem späteren Zeitpunkt auf andere Gründe abstellen, die er zuvor nicht mitgeteilt hat. Dies ist ihm aufgrund der besonderen Situation im Nachprüfungsverfahren untersagt.

Soweit andere Gründe eine Leistungseinstellung rechtfertigen, bleibt dem Versicherer nur die Möglichkeit, ein erneutes Nachprüfungsverfahren mit Wirkung für die Zukunft einzuleiten. Ein „Nachkarten“ bezüglich des zunächst eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens ist ihm indes nicht gestattet.


9. Gesundheitsverbesserung

Inhaltlich ist Voraussetzung für den Entfall der Leistungspflicht, dass sich die gesundheitliche Situation des Betroffenen dergestalt verbessert hat, dass er nicht weiter als berufsunfähig gemäß den dem Vertrag zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen anzusehen ist.

Erforderlich ist nach der Rechtsprechung, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten derart gebessert hat, dass dies zu bedingungsgemäß relevanten Auswirkungen auf die beruflichen Betätigungsmöglichkeiten des Versicherten geführt hat.

Im Rahmen einer etwaigen gerichtlichen Auseinandersetzung wird zu der Frage einer relevanten Verbesserung der gesundheitlichen Situation in aller Regel ein Sachverständigengutachten einzuholen sein.

Bei der Frage, ob eine relevante Gesundheitsverbesserung eingetreten ist, ist auch zu überprüfen, was genau der Versicherer seiner ursprünglichen Entscheidung, Leistungen zu erbringen, zugrunde gelegt hat. Soweit zu diesem Zeitpunkt eine fehlerhafte Einschätzung zugrunde lag, kann diese nicht nachträglich im Nachprüfungsverfahren korrigiert werden. Auch insoweit bedarf es der Kenntnis der hierzu ergangenen obergerichtlichen Urteile.


10. Verweisung

Berufsunfähigkeit liegt in aller Regel dann vor, wenn die versicherte Person aus gesundheitlichen Gründen außer Stande ist, die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte berufliche Tätigkeit weiter auszuüben. Ändert sich etwas an der gesundheitlichen Situation dahingehend, dass die bisherige Berufstätigkeit nunmehr wieder möglich ist, so kann dies eine Leistungseinstellung rechtfertigen.

Eine Leistungseinstellung kann unter Umständen aber auch gerechtfertigt sein, wenn die Voraussetzungen für eine Verweisung auf eine andere Tätigkeit vorliegen.

Je nach Bedingungswerk kann als zusätzliche Voraussetzung für eine Einstandspflicht der Versicherung vereinbart sein, dass die betroffene Person auch nicht in der Lage ist, eine vergleichbare Tätigkeit auszuüben und/oder eine vergleichbare Tätigkeit tatsächlich nicht ausübt.

Bei einer Leistungseinstellung aufgrund einer Verweisung durch den Versicherer ist der Wortlaut der jeweils vereinbarten Versicherungsbedingungen von entscheidender Bedeutung. Hieraus ergibt sich, ob überhaupt eine Verweisung und falls ja unter welchen Voraussetzungen in Betracht kommt.

Oftmals ist vereinbart, dass eine Tätigkeit, auf die verwiesen werden kann, aufgrund der Ausbildung und Fähigkeiten des Versicherungsnehmers von diesem ausgeübt werden können und der bisherigen Lebensstellung entsprechen muss.

Da eine bestimmte berufliche Tätigkeit, und zwar die Tätigkeit, wie sie zuletzt in gesunden Tagen konkret ausgeübt worden ist, versichert ist, kann der Versicherer nicht auf jedwede Tätigkeit verweisen. Es muss sich vielmehr um eine sowohl bezüglich des Verdienstes als auch des Ansehens der jeweiligen Tätigkeit vergleichbare Tätigkeit handeln. Zu diesen Fragen sind zahlreiche gerichtliche Entscheidungen, die den Rahmen vorgeben, ergangen.


Abschließende Empfehlung:

Spätestens bei einer Leistungseinstellung im Nachprüfungsverfahren sollte ein entsprechend spezialisierter Rechtsanwalt hinzugezogen werden. Anderenfalls wird auch hier eine Kommunikation mit dem Versicherer auf gleicher Augenhöhe kaum möglich sein.

Gerade dann, wenn es hier um die oftmals existentielle Frage geht, ob weiter Leistungen erbracht werden oder aber nicht, sollte ein Berater so früh wie möglich, gegebenenfalls auch zunächst nur beratend, beteiligt werden.


Oliver Roesner LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht


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