Berufsunfähigkeitsversicherungen: Unterstützung im Nachprüfungsverfahren

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Ausgangspunkt

Leistungen aus Berufsunfähigkeitsversicherungen werden nach einem Anerkenntnis des Versicherers oder seiner gerichtlichen Verurteilung in aller Regel nicht bis zum Versicherungsende durchgehend ohne erneute Überprüfung erbracht. Vielmehr sehen die Versicherungsbedingungen die Möglichkeit vor, das Fortbestehen der Einstandspflicht im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens abzuklären und Leistungen für die Zukunft gegebenenfalls einzustellen. Hierfür gelten strenge Vorgaben, maßgeblich entwickelt zunächst von der Rechtsprechung, da es lange Zeit keinerlei gesetzliche Vorgaben gab. Seit dem 01. Januar 2008 ist das Recht der privaten Berufsunfähigkeitsversicherungen in den §§ 172 ff. des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) geregelt. § 174 Abs. 1 VVG legt fest, dass der Versicherer nur dann leistungsfrei wird, wenn er dem Versicherungsnehmer nach dem Entfallen der Voraussetzungen der Leistungspflicht diese Veränderung in Textform darlegt.


Mögliche Aktivitäten des Vermittlers

Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens bieten sich verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung des Versicherungsnehmers. Dieser kann zunächst über die Rahmenbedingungen nach dem VVG und den Versicherungsbedingungen informiert werden. Hilfreich ist sicherlich der Hinweis, dass die Versicherung von einem ihr aus nachvollziehbaren Gründen eingeräumten Recht Gebrauch macht und mit der bloßen Durchführung des Nachprüfungsverfahrens noch nichts über den möglichen Ausgang gesagt ist. In aller Regel beginnt die Nachprüfung mit der Übermittlung eines Fragebogens an den Betroffenen. Naheliegend ist es, anzubieten, diesen gemeinsam auszufüllen und aufkommende Fragen dabei gleich zu besprechen.


Verhalten bei Leistungseinstellung

Endet ein Nachprüfungsverfahren mit einer Leistungseinstellung, so ist diese sorgsam auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Oftmals liegen die Voraussetzungen für eine wirksame Einstellung in der Praxis tatsächlich nicht vor.

Im Nachprüfungsverfahren muss der Versicherer darlegen und beweisen, dass die vormals gegebenen Voraussetzungen seiner Einstandspflicht nicht mehr vorhanden sind. In diesem Verfahren ist die Situation für den Versicherungsnehmer damit deutlich günstiger als bei der erstmaligen Geltendmachung von Ansprüchen. Hier muss er ja seine Berufsunfähigkeit beweisen.


Formelle Rechtmäßigkeit der Leistungseinstellung

Folgende Punkte sollten hier bekannt sein und überprüft werden:


Einhaltung der maßgeblichen Frist

§ 174 Abs. 2 VVG sieht vor, dass der Versicherer frühestens mit Ablauf des dritten Monats nach Zugang seiner Einstellungsmitteilung leistungsfrei wird. Dies gilt für die nach dem 01. Januar 2008 abgeschlossenen Verträge. Bei Altverträgen gilt § 174 VVG gemäß Art. 4 Abs. 3 des Einführungsgesetztes zum VVG nicht. Hier ergibt sich die einzuhaltende (regelmäßig deutlich kürzere) Frist allein aus den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen des jeweiligen Vertrages.


Erfordernis der Nachvollziehbarkeit

Das Nachprüfungsverfahren zeichnet sich durch die Besonderheit aus, dass der Versicherungsnehmer verpflichtet ist, dem Versicherer Auskünfte über seine gesundheitliche und berufliche Situation zu erteilen und sich gegebenenfalls auch ärztlich untersuchen zu lassen. Er muss also gegebenenfalls daran mitwirken, dass der Versicherer ihm Leistungen für die Zukunft entziehen kann. Aus dieser Verpflichtung des Versicherungsnehmers resultiert die Verpflichtung des Versicherers, diesen im Falle der Leistungseinstellung umfassend und nachvollziehbar zu informieren. Sein Vertragspartner muss abschätzen können, wie die Aussichten einer möglichen gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung sind.


Notwendige Vergleichsbetrachtung

Dazu gehört, dass die Information des Versicherers einen Vergleich des dem Anerkenntnis des Versicherers zugrunde liegenden Gesundheitszustandes mit dem nunmehr für die Leistungseinstellung maßgeblichen aktuellen Gesundheitszustand enthält. Aufgezeigt werden muss, auf welche Veränderungen die Entscheidung gestützt wird. Wird auf eine andere vergleichbare Tätigkeit verwiesen, ist darzulegen, warum eine entsprechende Verweisung in Betracht kommt. Soweit es an einer derartigen nachvollziehbaren Begründung ermangelt, ist die Leistungseinstellung schon deshalb unwirksam. Ob, wie und wann dies gegebenenfalls gerügt werden sollte bedarf sorgfältiger Abwägung zusammen mit einem Fachmann.


Nachschieben von Gründen

Die geforderte Nachvollziehbarkeit der Entscheidung des Versicherers soll dem Versicherungsnehmer ermöglichen, abzuschätzen, ob sich ein Vorgehen hiergegen voraussichtlich „lohnen“ wird oder aber nicht. Für diese Beurteilung kann der Versicherungsnehmer regelmäßig nur auf das abstellen und das berücksichtigen, was ihm der Versicherer mitgeteilt hat. Dieser muss sämtliche Karten auf den Tisch legen, also sämtliche Gründe, auf die er seine Entscheidung stützt, angeben. Soweit sich eine Leistungseinstellung unter Berücksichtigung der in der Einstellungsmitteilung angegebene Begründung als nicht haltbar erweist, kann der Versicherer vor diesem Hintergrund zu einem späteren Zeitpunkt nicht auf andere Gründe abstellen, welche er zuvor nicht mitgeteilt hat. Bezüglich neuer Erkenntnisse bleibt ihm nur der Weg der Einleitung eines neuen Nachprüfungsverfahrens.


Materielle Rechtmäßigkeit der Leistungseinstellung

Maßgeblich hier ist, ob die Voraussetzungen für die weiteren Leistungen tatsächlich entfallen sind.


Gesundheitsverbesserung

Inhaltlich ist Voraussetzung für den Entfall der Leistungspflicht, dass sich die gesundheitliche Situation des Betroffenen dergestalt verbessert hat, dass er nicht weiter als berufsunfähig gemäß den dem Vertrag zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen anzusehen ist. Erforderlich ist nach der Rechtsprechung, dass sich der Gesundheitszustand derart gebessert hat, dass dies zu bedingungsgemäß relevanten Auswirkungen auf die beruflichen Betätigungsmöglichkeiten geführt hat. Dies wird oft vorschnell angenommen.


Nichtbefolgen ärztlicher Anordnungen

Versicherungsbedingungen sehen teilweise eine Verpflichtung vor, ärztlichen Anordnungen zu folgen.

Eine Einstellung kann jedoch nicht darauf gestützt werden, dass Anordnungen eines Gutachters nicht befolgt worden wären. Zuletzt hat das Landgericht Heidelberg mit Urteil vom 25. März, Az. 1 O 83/10, r+s 2011, 306, festgehalten, dass als Arzt im Sinne der vereinbarten Versicherungsbedingungen nur der behandelnde Arzt anzusehen ist, nicht jedoch ein beauftragter Gutachter.


Relevanz vom Versicherer eingeholter Gutachten

Derartige Gutachten sind nicht entscheidend und das Maß aller Dinge. Im Rahmen einer etwaigen gerichtlichen Auseinandersetzung wird in aller Regel ein (objektives) Sachverständigengutachten durch das Gericht einzuholen sein. Vorgerichtliche Gutachten stellen bloßen Parteivortrag dar. Sie sind insbesondere dann kritisch zu sehen, wenn sie von Begutachtungsinstituten stammen, die regelmäßig (nur) für Versicherer tätig werden. Die dort gefunden Ergebnisse werden in aller Regel nach den Erfahrungen des Unterzeichners von den gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht geteilt. Gerichte sind bzgl. derartiger Gutachten auch durchaus kritisch. So hat z.B. das LG Köln mit Beschluss vom 15. Januar 2004, Az. 23 T 1/04, dem Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen stattgegeben, da zumindest eine wirtschaftliche Abhängigkeit bestehe und die Gutachten regelmäßig für die jeweilige Versicherung günstige Ergebnisse mit sich bringe.


Verweisung

Eine Leistungseinstellung kann gerechtfertigt sein, wenn die Voraussetzungen für eine Verweisung auf eine andere Tätigkeit vorliegen. Je nach Bedingungswerk kann als zusätzliche Voraussetzung für eine Einstandspflicht der Versicherung vereinbart sein, dass die betroffene Person auch nicht in der Lage ist, eine vergleichbare Tätigkeit abstrakt auszuüben und/oder eine vergleichbare Tätigkeit tatsächlich nicht konkret ausübt.  Der Wortlaut der vereinbarten Versicherungsbedingungen ist hier von entscheidender Bedeutung. Hierauf muss sich der erste Blick richten. Besonders kritisch muss der Blick bei Selbständigen sein. Hierzu gibt es umfassende   Rechtsprechung zur Frage der Zumutbarkeit und einer möglichen Umorganisation.


Vergleichbarkeit

Oftmals ist vereinbart, dass eine Tätigkeit, auf die verwiesen werden kann, aufgrund der Ausbildung und Fähigkeiten des Versicherungsnehmers von diesem ausgeübt werden können und der bisherigen Lebensstellung entsprechen muss. Da eine bestimmte berufliche Tätigkeit, und zwar die Tätigkeit, wie sie zuletzt in gesunden Tagen konkret ausgeübt worden ist, versichert ist, kann der Versicherer nicht auf jedwede Tätigkeit verweisen. Es muss sich vielmehr um eine sowohl bezüglich des Verdienstes als auch des Ansehens der jeweiligen Tätigkeit vergleichbare Tätigkeit handeln.


Vergleichbarkeit bzgl. des Verdienstes

Bezüglich des Verdienstes gibt es eine grobe Richtschnur, dass Einbußen von weniger als 10 Prozent grundsätzlich hingenommen werden müssen und Einbußen von 10 bis 20 Prozent in der Regel. In der Regel nicht hinnehmbar sind hingegen Differenzen von 20 bis 30 Prozent, grundsätzlich nie höhere. Wichtig ist, und dies wird häufig seitens der Versicherer ausgeblendet, dass auch die wahrscheinliche Anpassung des früheren Einkommens an die gestiegenen Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen ist. Dies wurde jüngst vom Landgericht Mannheim festgehalten (Urteil vom 11. Oktober 2002, Az. 10 O 45/11, r+s 2013, 243).


Vergleichbarkeit bzgl. des Ansehens

Auch insofern muss der Status gewahrt sein. Nicht vergleichbar ist beispielsweise die neue Tätigkeit als Firmenkundenberater einer Großbank mit der davor ausgeübten Tätigkeit als leitender Angestellter bei ausschließlicher Unterstellung gegenüber dem Geschäftsführer (LG Mannheim, Urteil vom 11. Oktober 2002, Az. 10 O 45/11, r+s 2013, 243). Nicht verwiesen werden kann ferner unter Umständen auf eine Tätigkeit als Angestellter, die gegenüber der früheren selbständigen Tätigkeit bei geringeren Anforderungen an die Qualifikation und geringerer gesellschaftlicher Wertschätzung eine kürzere Arbeitszeit, ein höheres Entgelt und eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung bietet (OLG Karlsruhe, Urteil vom 06. Dezember 2012, Az. 12 U 93/12, VersR 2013, 747). Ein Gerichtsvollzieher kann nicht auf die Tätigkeit im mittleren Justizdienst verwiesen werden, weil die soziale Wertschätzung deutlich abfällt (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 07. Mai 2009, Az. 12 U 82/08, r+s 2011, 487).


Resümee

Gerade im Nachprüfungsverfahren kann Hilfestellung von großer Bedeutung sein. Viele Entscheidungen sind in Ansehung der hohen Vorgaben der Rechtsprechung angreifbar. Allgemeine Vorgaben lassen sich nicht machen. Jeder Einzelfall ist individuell zu würdigen. Falsch ist in jedem Fall blinder Aktionismus. Wichtig ist eine Prüfung in Ruhe und sodann ein abgestimmtes taktisches Vorgehen nach Klärung der Ziele des Versicherungsnehmers.


Oliver Roesner LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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