BGH-Urteil im Erbrecht: Grabpflegekosten keine den Pflichtteil kürzende Nachlassverbindlichkeit

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 26.05.2021 (Az.: IV ZR 174/20) entschieden, dass Grabpflegekosten keine den Pflichtteilsanspruch kürzende Nachlassverbindlichkeit darstellen, wenn sie testamentarisch angeordnet sind.

I. Sachverhalt


Der Kläger machte gegen die Beklagte einen Anspruch auf einen Zusatzpflichtteil geltend. Die am 5.3.2017 verstorbene Erblasserin war ledig und hatte keine leiblichen Kinder. Den Kläger hatte sie 1981 als ehelichen Abkömmling durch Adoption angenommen. Die Erblasserin hinterließ ein eigenhändiges Testament mit folgendem Inhalt: „Mein letzter Wille! Christine [= Beklagte] möchte ich als Verwalter meine persönlichen Sachen übergeben. Wenn alles verkauft ist, bekommen alle 10 %, die ich jetzt namentlich schreibe: 1. Thomas [= Kläger], … Der Rest ist für die Beerdigung und 20 Jahre Pflege des Grabes.“ Die Beklagte wurde durch Beschluss des Nachlassgerichts zur Testamentsvollstreckerin ernannt und ihr ein Testamentsvollstreckerzeugnis erteilt. Der Kläger forderte die Beklagte zur Zahlung eines Zusatzpflichtteils auf, weil sein Erbteil wertmäßig hinter dem ihm zustehenden Pflichtteil zurückblieb. Die Beklagte lehnte ab und zahlte dem Kläger weniger aus, weil die Grabpflegekosten zu berücksichtigen seien.

II. Problem

Der Anspruch des Klägers und Adoptivsohns auf Zahlung eines Zusatzpflichtteils aus § 2305 S. 1 BGB stellte nur den Aufhänger für die Klärung zweier wichtiger praktischer Fragen durch den BGH dar. Erstens: Stellen Grabpflegekosten eine Nachlassverbindlichkeit i.S.v. § 1968 BGB dar? Zweitens: Stellt die hier erfolgte testamentarische Anordnung zur Grabpflege eine Nachlassverbindlichkeit dar und ist diese für die Berechnung des Pflichtteils bzw. Zusatzpflichtteils zu berücksichtigen? Denn Nachlassverbindlichkeiten wirken sich mindernd auf den Wert des Nachlasses aus und damit grundsätzlich auch auf die Höhe des Pflichtteils nach § 2311 BGB aus. Die Höhe des Pflichtteils war im vorliegenden Fall wiederum relevant für die Höhe des Zusatzpflichtteils des Klägers. Der Pflichtteilsrestanspruch bemisst sich nämlich aus der Differenz zwischen dem Pflichtteil des Klägers und dem an ihn bereits ausgezahlten Erbteil.

III. Entscheidung des BGH

 Grabpflegekosten sind keine Nachlassverbindlichkeiten i.S.v. § 1968 BGB


Mit seiner Entscheidung stellt der BGH klar, dass die Kosten der Grabpflege keine Nachlassverbindlichkeiten in Gestalt von Beerdigungskosten nach § 1968 BGB sind. Hiervon erfasst seien nur die eigentlichen Kosten der Beerdigung, also des Bestattungsakts selbst. Kosten der Instandhaltung und Pflege der Grabstätte und des Grabmals zählten nicht mehr zu den Kosten der Beerdigung, sondern entsprängen allenfalls einer sittlichen Verpflichtung des Erben. Der BGH unterstreicht hier ein enges Verständnis dieser Vorschrift. Aus § 1968 ergibt sich demnach keine Nachlassverbindlichkeit, die bei der Berechnung des Pflichtteils gem. § 2311 BGB abzuziehen wäre.

Testamentarische Anordnung zur Grabpflege als Nachlassverbindlichkeit?


Demgegenüber stellt die testamentarische Anordnung zur Grabpflege für 20 Jahre eine Nachlassverbindlichkeit in Form einer Auflage gem. §§ 1940, 2192 BGB dar. Eine Auflage ist eine Verfügung von Todes wegen, durch die einem Erben oder einem Vermächtnisnehmer eine Verpflichtung auferlegt wird, ohne dass eine begünstigte Person ein Recht auf die Leistung erhält. Nach der Auffassung des BGH liegt eine derartige Auflage vor, da die Erblasserin den Erben insgesamt aufgegeben habe, dass der Rest des Erbes für die Beerdigung und die Grabpflege auszugeben sei. § 1967 Abs. 2 BGB bestimmt, dass zu den Nachlassverbindlichkeiten die den Erben treffenden Verbindlichkeiten aus einer Auflage zählen.

Keine Berücksichtigung der Auflage beim Pflichtteilsanspruch


Allerdings führt die aus der Auflage folgende Nachlassverbindlichkeit nicht zu einer Kürzung des Pflichtteilsanspruchs. Dies ergebe sich aus einem Vorrang des Pflichtteilsanspruchs gegenüber Ansprüchen aus Auflagen und Vermächtnissen. Gesetzlich verankert sei dieser Vorrang in § 1991 IV BGB. Danach hat der Erbe die Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen so zu berichtigen, wie sie im Falle des Insolvenzverfahrens zur Berichtigung kommen würden. Nach § 327 Abs. 1 InsO werden Verbindlichkeiten gegenüber Pflichtteilsberechtigten vor Verbindlichkeiten aus den vom Erblasser angeordneten Vermächtnissen und Auflagen erfüllt. Dem Erblasser solle es verwehrt sein, den Pflichtteilsanspruch durch freigiebige Vermächtnisanordnungen oder Auflagen zu schmälern oder sogar auszuhöhlen.

Anders wäre nach dem BGH die anspruchskürzende Wirkung auf den Pflichtteil zu beantworten, wenn sich die Nachlassverbindlichkeit aus einem vom Erblasser noch zu Lebzeiten geschlossenen Grabpflegevertrag ergäbe. Der Unterschied liege darin, dass es sich in diesem Fall noch um eine vom Erblasser herrührende Nachlassverbindlichkeit in Form einer Erblasserschuld gem. § 1967 I BGB handele, die bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs wertmindernd zu berücksichtigen sei.

Warum trifft der BGH diese Unterscheidung? Im Pflichtteilsrecht sollen nur solche Nachlassverbindlichkeiten Beachtung finden, die den Pflichtteilsberechtigten auch als gesetzlichen Erben träfen. Das ist nur bei Erblasserschulden - hier die mögliche Verbindlichkeit aus einem lebzeitig geschlossenen Grabpflegevertrag - der Fall, nicht jedoch bei Erbfallschulden - hier die Verbindlichkeit aus der Auflage im Testament der Erblasserin.


LINDEMANN Rechtsanwälte

Stephanie-Réka Weidemann

Fachanwältin für Erbrecht

Fachanwältin für Familienrecht

Foto(s): LINDEMANN Rechtsanwälte

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