Blitzer-Abzocke Viernheim, Ausfahrt BAB 659, Ri. Rhein-Neckar-Zentrum – 7,5 Meter nach Ortseingang!

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Endlich geschafft, mag sich manch ein Verkehrsteilnehmer mit Blick auf das Ziel seiner Reise denken, wenn er die Bundesautobahn 659 in Richtung Mannheim bei der Anschlussstelle Viernheim verlässt. Nur noch die Autobahn-Abfahrt zum Rhein-Neckar-Zentrum und zu den Gewerbegebieten 3 und 4 nehmen und fast schon ist man in Viernheim angekommen.

Doch dann geht alles „blitzschnell“ und alle positiven Gedanken entweichen schlagartig – ein sattes Bußgeld droht, ein Punkt oder gar zwei noch dazu und im schlechtesten Fall soll dem Verkehrsteilnehmer gar ein Fahrverbot auferlegt werden. Doch aus Sicht des spezialisierten Verteidigers ist die Sachlage keineswegs aussichtslos – im Gegenteil.

I. Die Beschilderungssituation an der Autobahnabfahrt der BAB 659 zur Heidelberger Straße

Nachdem zuvor im Abfahrtsbereich 70 km/h zulässig sind, kommt man auf dem abzweigenden Zubringer in Fahrtrichtung Rhein-Neckar-Zentrum zunächst am Verkehrszeichen „Autobahn-Ende“ vorbei. Es folgt dann ein Ortseingangsschild.

Gerade einmal 7,5 Meter hinter diesem Schild, das die Geschwindigkeit auf höchstzulässige 50 km/h drosselt, sind in der Asphaltdecke Induktionsschleifen eingelassen, über die die Geschwindigkeit des Fahrzeugs ermittelt wird. Es verwundert nicht, dass das Messgerät des Typs TraffiPhot-S dort mehr als emsig den roten Blitz auslöst.

II. Drohende Rechtsfolgen

Bedenkt man, dass derjenige, der mit nur etwas mehr als den zunächst zulässigen 70 km/h, nehmen wir einmal an mit 75 km/h, auf das Ortseingangsschild zufährt, etwas mehr als 20 Meter pro Sekunde fährt, ergibt sich hieraus, dass er weniger als 0,4 Sekunden nach dem Passieren des besagten Schildes schon geblitzt wird.

Zuständig wird für die Verfolgung dieser angeblichen Geschwindigkeitsüberschreitung dann das Regierungspräsidium Kassel. Dieses versendet dann zunächst Anhörungsbögen und später Bußgeldbescheide, mit folgendem Tatvorwurf:

Ihnen wird vorgeworfen, am ... um ... Uhr in 68519 Viernheim, Heidelberger Str. / Ausfahrt BAB 659, FR Rhein-Neckar-Zentrum als Führer des ..., (amtliches Kennzeichen) ... folgende Ordnungswidrigkeit begangen zu haben:

Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um ... km/h.

Zulässige Geschwindigkeit: 50 km/h.

Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): ... km/h.

Beweismittel: Induktionsschleifenmessung und Foto

Zeuge: ..., Stadt Viernheim

Besonders problematisch ist an dieser Messstelle, dass sie sich eben geradeso schon im Bereich innerhalb geschlossener Ortschaften befindet. Dadurch wird die Grenze für ein drohendes Fahrverbot um 10 km/h nach unten verschoben: Während für einen Ersttäter mit Pkw oder Motorrad bei Verstößen außerhalb geschlossener Ortschaften die Zone für ein einmonatiges Fahrverbot nämlich erst bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 41 km/h beginnt, reichen für die gleiche belastende Rechtsfolge innerorts schon 31 km/h Überschreitung.

Bei den genannten Werten drohen in beiden Fällen zwei Punkte in Flensburg mit einer Tilgungsdauer von 5 Jahren sowie Geldbußen von mindestens 160 €, wobei das Risiko groß ist, dass einem Verkehrsteilnehmer auch noch vorsätzliches Handeln unterstellt wird, wodurch sich der Betrag gleich nochmals verdoppelt.

Ein Führerschein-Neuling riskiert auch noch die Anordnung eines Aufbauseminars und eine Probezeitverlängerung auf vier Jahre.

Selbst, wenn es aber nicht zu so deutlichen Überschreitungen der 50-km/h-Marke kommt, drohen schon bei toleranzbereinigten 71 km/h immerhin 80 € Geldbuße und 1 Punkt im Fahreignungsregister mit einer Tilgungsdauer von 2,5 Jahren. Und gerade diese Gefahr ist besonders groß, weil eben – um unser Beispiel von oben aufzugreifen – derjenige so in die Falle tappt, der zuvor völlig korrekt noch mit etwas mehr als den bis zum Ortsschild zulässigen 70 km/h gefahren war.

Doch nicht immer sind derartige Vorwürfe auch berechtigt und es ist zu empfehlen, diese im Einzelfall durch einen fachkundigen Anwalt überprüfen zu lassen.

Am Ende hat über einen Einspruch das Amtsgericht Lampertheim in Hessen zu entscheiden, sofern das Verfahren nicht bereits vom Regierungspräsidium Kassel eingestellt wird.

III. Verstoß der Beschilderungssituation gegen Verwaltungsrichtlinien

In jedem Bundesland sind bei der Durchführung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen landeseigene Verwaltungsrichtlinien zu berücksichtigen. Diese sehen unter anderem vor, ob ein und gegebenenfalls welcher Abstand zwischen dem Messgerät und dem vorangegangenen Begrenzungsschild für die zulässige Höchstgeschwindigkeit einzuhalten ist.

So ist dies auch für das hier betroffene Bundesland Hessen der Fall. Grundsätzlich muss ein Abstand von 100 m eingehalten werden. Diese Soll-Vorgabe ist freilich bei den tatsächlich nur vorhandenen 7,5 m in einem extremen Maß, das selbst dem Bußgeld-Experten trotz unzähliger geführter Bußgeldverfahren mit kaum einer anderen Stelle vergleichbar erscheint, unterschritten.

Zwar gibt es von dieser Vorgabe Ausnahmen beispielsweise für besondere Unfallgefahrenpunkte. Wir meinen aber, dass diese Ausnahmen an der besagten Messstelle nicht gegeben sind, und begründen dies in mehreren ausführlichen Schriftsätzen gegenüber Behörden und Gerichten und mit einem uns vorliegenden Beweisvideo.

IV. Ziel der Verteidigung: Verfahrenseinstellung oder zumindest Abwehr eines Fahrverbots

Zwar führt die Feststellung eines Verstoßes gegen die Geschwindigkeitsrichtlinien eines Bundeslandes nicht zwingend zu der Einstellung des geführten Bußgeldverfahrens. Bei eher geringfügigen Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sollten Gerichte aber unter dem Gesichtspunkt der Opportunität hierüber nachdenken.

Bei schwerer wiegenden Verstößen im Fahrverbotsbereich wird eine Verfahrenseinstellung möglicherweise nicht zu erzielen sein; dann aber erscheint häufig das drohende Fahrverbot nicht mehr als geboten.

V. Sonstige Verteidigungsansätze: verfassungswidrige Beweisvernichtung durch den Hersteller, zögerliche Herausgabe restlicher Daten durch das Regierungspräsidium

Das in Viernheim eingesetzte Induktionsschleifenmessgerät weist dasselbe Problem auf wie zahllose andere Messgerätetypen: Nur ein sehr kleiner Teil der bei der Vorbeifahrt eines Fahrzeugs generierten Daten werden auch gespeichert und können später zur Überprüfung der Korrektheit der Messung ausgewertet werden. Der weit überwiegende Teil der sogenannten Roh-Messdaten hingegen wird auf Veranlassung des Geräteherstellers gelöscht.

Wir sehen hierin von der Verteidigerseite eine systematische Beweisvernichtung und wehren uns für unsere Mandanten gegen diese Praxis seit vielen Jahren Tag für Tag vor Behörden und Gerichten.

Der Saarländische Verfassungsgerichtshof hat zu eben dieser Frage am 05.07.2019 (Az.: Lv 7/17) ein bahnbrechendes Urteil gesprochen und die Datenlöschung als verfassungswidrig angesehen, weil auf die beschriebene Weise ein faires rechtsstaatliches Verfahren nicht mehr zu erzielen sei.

Für das dortige Bundesland dürfen so gewonnene Messergebnisse nicht mehr verwertet werden. Tausende Bußgeldverfahren müssen von den Behörden und Gerichten des Saarlandes eingestellt werden. Die Hersteller der Messgeräte bessern nach und zukünftig wird man dort als Verteidiger eines Betroffenen mehr Messdaten erhalten und überprüfen können.

Zwar gilt diese Entscheidung unmittelbar nur für die Behörden und Gerichte des Saarlandes, nicht hingegen für jene aus anderen Bundesländern. Da aber die dortigen Landesverfassungen in den maßgeblichen Bereichen nahezu gleichlautende Regelungen enthalten wie die Saarländische Verfassung und auch das deutsche Grundgesetz, vertreten wir die Auffassung, dass die stimmig erscheinende Argumentation der saarländischen Verfassungsrichter auch u. a. auf Messungen in Hessen zu übertragen ist. 

Wir kämpfen somit nun u. a. in den Viernheimer Fällen dafür, dass Messungen wegen systematischer Vernichtung von Beweismitteln als unverwertbar angesehen werden – zur Not bis hin zum hessischen Verfassungsgericht. 

Für den juristischen Laien ist ohnehin kaum verständlich, warum Messdaten gelöscht und somit einer Überprüfung unzugänglich gemacht werden. Wenn die Hersteller von der Qualität ihrer Geräte überzeugt sind, sollten sie doch gerade durch Transparenz glänzen. Das Gegenteil aber ist der Fall.

Einen merkwürdigen Beigeschmack bekommt das Ganze dann noch, wenn das Regierungspräsidium Kassel regelmäßig zunächst einmal nach ersten anwaltlichen Schriftsätzen die Herausgabe selbst der wenigen verbleibenden Daten verweigert, obwohl das für diese Behörde maßgebliche Oberlandesgericht Frankfurt am Main längst einen Anspruch auf deren Erhalt zugebilligt hat. Erst nach eindringlichen Hinweisen, der Ankündigung von Anträgen auf gerichtliche Entscheidung und der Erhebung von Dienstaufsichtsbeschwerden bekommen wir dann das, was von den Messdaten derzeit übrig ist. 

VI. Empfehlung: Nicht zögern – wehren!

Gerade weil es an der besagten Messstelle schnell um die Mobilität geht und aus unserer Sicht auch ungerechtfertigte Punkteeintragungen drohen, sollten Tatvorwürfe nicht ungeprüft hingenommen werden.

Die Beschilderungssituation ist weit mehr als nur „grenzwertig“ und auch die Messtechnik bietet nach den voranstehenden Ausführungen Angriffspunkte für die Verteidigung.

Rechtschutzversicherer übernehmen die Kosten der anwaltlichen Verteidigung und notwendigenfalls auch für die Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens.

Dr. Sven Hufnagel

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Dr. Sven Hufnagel hat sich von Beginn seiner inzwischen 16-jährigen Praxis als Rechtsanwalt auf die Verteidigung in Bußgeldsachen spezialisiert und kann auf Erfahrungen aus einer vierstelligen Zahl geführter Bußgeldverfahren zurückgreifen. 2015, 2016, 2017, 2018 und auch 2019 wurde er in der großen „FOCUS-Liste“ als „Top-Anwalt für Verkehrsrecht“ benannt. Nähere Informationen finden Sie auf unseren Themen-Seiten www.fahrverbot-rechtsanwalt.de und www.anwalt-strafrecht.com.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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