Bundesverwaltungsgericht: Idiotentest bereits ab 1,1 Promille.

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Bisher galt: Erst wer mit einer Alkoholisierung von 1,6 Promille oder mehr im Straßenverkehr aufgegriffen wird und dem deswegen die Fahrerlaubnis vom Gericht entzogen wird, mußte zur Wiedererteilung eine positive MPU vorlegen.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat entschieden (AZ: 3 C 3.20), daß alkoholisierte Autofahrer schon ab 1,1 Promille zur medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) müssen, auch wenn sie keine Ausfallerscheinungen zeigen.

Fehlende Ausfallerscheinungen deuten auf Alkoholismus hin.

Zur Klärung von Zweifeln an der Fahreignung sei auch dann ein medizinisch-psychologisches Gutachten gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde beizubringen, wenn der Betroffene bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug zwar eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von weniger als 1,6 Promille aufwiese, bei ihm aber trotz einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt worden seien. In einem solchen Fall begründeten, wie § 13, Satz 1, Nr. 2, Buchst. A, Alt. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) voraussetzt, sonstige Tatsachen die Annahme von (künftigem) Alkoholmissbrauch. Die dadurch hervorgerufenen Zweifel an der Fahreignung habe die Fahrerlaubnisbehörde nach dieser Vorschrift durch die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu klären. Der Kläger zeigte trotz 1,3 Promille Blutalkoholkonzentration keine Ausfallerscheinungen. Gerade dies indiziere, daß er Fahren und Trinken nicht mehr sicher trennen könne.

Das Gericht führt dazu aus: „Das Bundesverwaltungsgericht hat das Berufungsurteil geändert und die Berufung des Klägers gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen. Gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV durfte die Beklagte auf die Nichteignung des Klägers schließen, da er ihr kein positives medizinisch-psychologischen Gutachten vorgelegt hatte. Sie hatte von ihm auf der Grundlage von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zu Recht die Beibringung eines solchen Gutachtens gefordert. Nach dieser Regelung ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung einer Fahrerlaubnis an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne liegt vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts steht § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV der Anwendung der von der Beklagten herangezogenen Regelung nicht entgegen. Aus dem Wortlaut, der Systematik und der Entstehungsgeschichte von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und c FeV lässt sich nicht entnehmen, dass dem Buchstaben c eine "Sperrwirkung" in dem Sinne zukommt, dass bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille und Anhaltspunkten für eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung ein Rückgriff auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ausscheidet.“

Zusatztatsache nach § 13 FeV: Hohe Alkoholgewöhnung bedingt hohe Rückfallgefahr.

„Bei Personen, die aufgrund ihres Trinkverhaltens eine hohe Alkoholgewöhnung erreicht haben, besteht eine erhöhte Rückfallgefahr. Die Giftfestigkeit führt u.a. dazu, dass der Betroffene die Auswirkungen seines Alkoholkonsums auf die Fahrsicherheit nicht mehr realistisch einschätzen kann. Deshalb liegt in dem Umstand, dass der Betroffene trotz eines bei seiner Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug festgestellten hohen Blutalkoholpegels keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen aufwies, eine aussagekräftige Zusatztatsache im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c Alt. 2 FeV. Dieser zusätzliche tatsächliche Umstand rechtfertigt auch mit Blick auf den Buchstaben c, der demgegenüber allein das Erreichen von 1,6 Promille genügen lässt, die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand kann von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung ausgegangen werden, wenn der Betroffene bei seiner Trunkenheitsfahrt eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr aufwies. Außerdem muss festgestellt und dokumentiert worden sein, dass er dennoch keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen zeigte.“

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte schon vor längerer Zeit seine Rechtsprechung geändert. Die MPU könne schon bei relativer Fahruntüchtigkeit ab 0,3 Promille angeordnet werden (VGH München, Urt. v. 17.11.2015 - 11 BV 14.2738).

Dieses Urteil hat erhebliche Bedeutung. § 13 FeV ist unpräzise verfasst, so daß sowohl Gerichte wie Behörden diese unterschiedlich auslegen können. § 13 FeV regelt, daß eine MPU angeordnet werden muß, wenn Fahrzeuge mit einem Promillewert von mehr als 1,6 geführt wurden (§ 13 FeV, Nr. 2 Buchstabe c), aber auch, wenn der Führerschein (strafrechtlich) entzogen wurde (§ 13 FeV, Nr. 2 Buchstabe d – verweisend auf Buchstaben a bis c). Die Frage, ob schon nach der ersten Trunkenheitsfahrt eine MPU notwendig ist, war bisher also weitgehend rechtlich strittig. Trunkenheitsfahrt und Trunkenheit im Verkehr regeln § 316 StGB und § 24a StVG. Da Fahrfehler aber auch bei nüchternen Fahrern vorkommen, ist entscheidend, ob das konkrete Fahrverhalten typischerweise bei alkohol- bzw. drogenbeeinflussten Fahrern vorkommt und deshalb den Schluss rechtfertigt, dass man sich in nüchternem Zustand anders verhalten hätte (z.B. Schlangenlinien fahren, um Straßenschäden ausweichen zu wollen).

Sofern Sie Betroffener sind, empfiehlt sich unbedingt die anwaltliche Vertretung. Wichtig ist, bis zur Akteneinsicht des Verteidigers konsequent zu schweigen.

 

Rechtsanwalt Holger Hesterberg, Wolfratshausen, München

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im Deutschen Anwaltverein.


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