BVerfG: Videomessung kann Verkehrssünder in ihren Grundrechten verletzen

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Ein aktuelles Urteil des Bundesverfassungsgerichts lässt Temposünder hoffen, die mittels  Aufzeichnung einer installierten Kamera überführt wurden.  Die Karlsruher Richter stellten klar: Eine permanente Videoaufzeichnung  des Autobahnverkehrs, die anschließend auf Geschwindigkeitsübertretungen einzelner Fahrer ausgewertet wird, ist ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der gefilmten Verkehrsteilnehmer.

Dieses Grundrecht gibt jedem  Einzelnen die Befugnis selbst zu entscheiden, wann und wie persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kann zwar im überwiegenden Allgemeininteresse eingeschränkt werden. Jedoch nicht ohne eine gesetzliche Grundlage. Und diese fehlte im Fall des Beschwerdeführers, der eine Geldbuße und drei Punkte kassiert hatte, weil er mit seinem PKW auf der BAB 19 Richtung Rostock um 29 km/h zu schnell gewesen war.  Der Geschwindigkeitsverstoß war mit dem Verkehrskontrollsystem VKS 3.0 festgestellt worden. Bei diesem System wird zunächst der gesamte ankommende Verkehrsfluss mit Video kontinuierlich aufgenommen. Dies muss aus einer Höhe von mindestens drei Metern über der Fahrbahn geschehen, weshalb die Kamera zumeist auf Autobahnbrücken montiert wird. Erst anschließend wird dann das gewonnene Bildmaterial abgerufen, per Computer aufbereitet und auf Geschwindigkeits- oder auch Abstandsverstöße ausgewertet.

Hier lag für die Verfassungsrichter die Krux. Sie machten deutlich: Es muss für die Ordnungsbehörde eine klare gesetzliche Befugnis geben, mit den gewonnenen Daten der Verkehrsteilnehmer auf diese Weise zu verfahren.  Es muss für die Bürger anhand eines formellen  Gesetzes erkennbar sein, wie und wann das von seiner Fahrt aufgezeichnete Bildmaterial zur Feststellung von Verkehrsverstößen herangezogen werden kann.  Die Rechtsauffassung des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts, die im Bußgeldverfahren einen Erlass des Wirtschaftsministeriums als Rechtsgrundlage für den Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung haben gelten lassen, wiesen die Karlsruher Richter scharf zurück.    

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts stellte die Auswertung der Videoaufzeichnung in einem Bußgeldverfahrens einen Verstoß gegen das Grundgesetz dar. Die Beweiserhebung war damit unrechtmäßig.  Die Kammer des 2. Senats hob die angegriffenen Gerichtsentscheidungen auf und wies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Fachgericht zurück. Dieses muss den Einspruch nun erneut unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Bedenken prüfen. Es ist kaum zu erwarten, dass es dabei  von der Karlsruher Sichtweise, der neben dem festgestellten Beweiserhebungsverbot auch ein Beweisverwertungsverbot für möglich hält, abweichen wird. Der Betroffene kann also mit einem Freispruch rechen.  

Fazit:

Die Feststellung von Verkehrsverstößen, die mittels dem Video-Abstands-Messverfahren (VAMA) oder seiner Weiterentwicklung VKS ermittelt  wurden, ist verfassungswidrig, wenn es an einer entsprechenden formal- gesetzlichen Eingriffsgrundlage für die mit der allgemeinen Filmaufzeichnung  verbundene Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung fehlt. An der gesetzlichen Eingriffsgrundlage fehlt es nach meiner Einschätzung bislang in allen Bundesländern. Dort gibt es bisher nur Richtlinien und Erlasse.

Der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung tritt systembedingt beim Einsatz von Videokontrollsystemen zutage, bei denen zunächst wahllos  das Verkehrsgeschehen aufgezeichnet wird und  erst später das aufgezeichnete Material auf bußgeldrelevante Vorgänge  ausgewertet wird. Dies ist nach heutigem Stand nur bei den von der PTB zugelassenen Verkehrskontrollsystemen VAMA, VKS und ViDiStA  der Fall. Zwar kann auch bei ProViDa und Police-Pilot eine nachträgliche Auswertung der Videoaufzeichnung erfolgen, jedoch geschieht dies nicht ohne einen konkreten Anfangsverdacht.  Die vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Grundrechtsverletzung ist nicht von der Methode des wahllosen Filmens zu trennen, die Bußgeldverfahren letztlich auf Zufallsfunde zurückführt.

Bis die Länder reagieren und die vom Bundesverfassungsgericht geforderte gesetzliche Eingriffsgrundlage schaffen, können sich Betroffene mit guter Erfolgsaussicht gegen den Bußgeldbescheid wehren, indem sie ein Beweisverwertungsverbot reklamieren.  Jedoch lässt sich dies nicht für alle Messmethoden mit Video- und Fotoauswertung verallgemeinern.

Ich und meine ebenfalls im Verkehrsbußgeldrecht tätigen Anwaltskollegen beraten Sie gerne. Verteidigung ist Kampf - in Bußgeldsachen ist das nicht anders.

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Der Beitrag nimmt Bezug auf den Beschluss des BVerfG vom 11.08.2009 (Aktenzeichen: 2 BvR 941/08).


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