CRD 10 - THC Werte im Strassenverkehr, Stand der wissenschaftlichen Forschung

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28.04.24 bs - Der Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Fahrtüchtigkeit ist ein kritischer Bereich der Verkehrssicherheitsforschung. Die Auswirkungen von Cannabis auf die Fahrleistung sind durch dessen psychoaktive Substanzen, vor allem Tetrahydrocannabinol (THC), gekennzeichnet. Diese können die kognitive und motorische Funktion beeinträchtigen, was die Fahrsicherheit erheblich gefährdet.

A. Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Fahruntauglichkeit durch Cannabiskonsum

Beeinträchtigung der Fahrleistung:

Cannabis beeinflusst zentrale Fähigkeiten, die für sicheres Fahren notwendig sind, darunter Reaktionszeit, Entscheidungsfindung, Koordination und Wahrnehmung. Studien zeigen, dass Cannabisnutzer eine verlangsamte Reaktionszeit aufweisen und Schwierigkeiten haben, Distanzen richtig einzuschätzen.

Risiko von Verkehrsunfällen:

Eine Meta-Analyse von Asbridge, Hayden und Cartwright (2012), veröffentlicht in „BMJ“, fand heraus, dass Cannabis konsumierende Fahrer ein fast doppelt so hohes Risiko haben, in Verkehrsunfälle verwickelt zu werden, im Vergleich zu nicht konsumierenden Fahrern.

THC-Werte und Fahrtüchtigkeit

Die Bestimmung von THC-Grenzwerten im Straßenverkehr ist komplex, da die Wirkung von Cannabis von Person zu Person variieren kann und auch die Toleranz gegenüber THC eine Rolle spielt. Dennoch gibt es einige Ansätze und Empfehlungen:



Grenzwerte:

  • In Deutschland wurde bisher ein Grenzwert von 1 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum für die Fahrtüchtigkeit festgelegt. Jetzt soll es nach dem neuen CanG  ab 01.04.2024  3,5 ng/ THC werden. Dieser Wert wird als Schwellenwert für eine relative Fahruntauglichkeit betrachtet.
  • In anderen Ländern wie den USA variieren die Grenzwerte zwischen den einzelnen Bundesstaaten erheblich. Einige Staaten haben Werte von 5 Nanogramm pro Milliliter festgelegt, während andere keine spezifischen THC-Grenzen definieren und stattdessen auf eine Bewertung der Beeinträchtigung setzen.



Wissenschaftliche Meinungen:


  • Die Festlegung von THC-Grenzwerten ist unter Experten umstritten, da es schwierig ist, einen einheitlichen Wert zu bestimmen, der für alle Individuen gleichermaßen gilt. Die Pharmakokinetik von THC – wie schnell es im Körper abgebaut wird und wie es sich auf das Verhalten auswirkt – variiert stark.


  • Einige Studien argumentieren, dass niedrige Grenzwerte manchmal Konsumenten bestrafen könnten, die keine merklichen Beeinträchtigungen aufweisen, während andere Studien darauf hinweisen, dass selbst geringe Mengen von THC die Fahrsicherheit beeinträchtigen können.


Fazit

Der aktuelle Stand der Forschung bestätigt, dass Cannabiskonsum die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt, und es gibt erhebliche Herausforderungen bei der Festlegung von THC-Grenzwerten, die die Fahrtüchtigkeit zuverlässig definieren.

Wissenschaftliche Untersuchungen und politische Entscheidungen müssen weiterhin darauf abzielen, sowohl die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten als auch die Rechte der Einzelnen angemessen zu berücksichtigen. Die Debatte um angemessene Grenzwerte bleibt dabei ein zentraler Aspekt der Diskussion um Cannabis im Straßenverkehr.


B. Internationale Studien zu Cannabis & Fahrtüchtigkeit


Die Forschung zu den Auswirkungen von THC auf die Fahrtüchtigkeit ist ein dynamisches Feld, das zahlreiche Studien hervorgebracht hat. Viele dieser Studien werden von Regierungsbehörden, akademischen Institutionen und gesundheitsbezogenen Organisationen finanziert, um die gesundheitspolitischen Richtlinien und gesetzlichen Vorschriften zu unterstützen.

Im Folgenden sind einige der relevanten, neueren Studien aufgeführt, die sich mit der Fahrtauglichkeit unter THC-Konsum befassen:


Neueste Studien zur Fahrtauglichkeit und THC


Hartman, R. L., & Huestis, M. A. (2013). "Cannabis effects on driving skills." Clinical Chemistry

  • Diese Übersichtsarbeit fasst die Ergebnisse verschiedener Studien zu Cannabis und Fahrverhalten zusammen und diskutiert die Beeinträchtigungen, die mit THC-Konsum verbunden sind.
  • Auftraggeber: Teilweise gefördert durch das National Institute on Drug Abuse (NIDA).

Ramaekers, J. G., Berghaus, G., van Laar, M., & Drummer, O. H. (2004). "Dose related risk of motor vehicle crashes after cannabis use." Drug and Alcohol Dependence

  • Diese Studie quantifiziert das Unfallrisiko in Abhängigkeit von der THC-Dosis und stellt fest, dass das Risiko mit der Dosis steigt.
  • Auftraggeber: Nicht spezifisch aufgeführt, aber häufig von nationalen Gesundheitsbehörden und akademischen Instituten unterstützt.

Rogeberg, O., & Elvik, R. (2016). "The effects of cannabis intoxication on motor vehicle collision revisited and revised." Addiction

  • Diese Meta-Analyse reevaluiert frühere Studien und bietet neue Einsichten in das Verhältnis von Cannabisgebrauch und Verkehrsunfällen.
  • Auftraggeber: Finanziert durch unabhängige Forschungsgelder und akademische Institutionen.

Dubois, S., Mullen, N., Weaver, B., & Bédard, M. (2015). "The combined effects of alcohol and cannabis on driving: Impact on crash risk." Forensic Science International

  • Untersucht die kombinierten Effekte von Alkohol und Cannabis auf das Fahrverhalten und das damit verbundene Unfallrisiko.
  • Auftraggeber: Teilweise finanziert durch staatliche Verkehrs- und Sicherheitsbehörden.

Sewell, R. A., Poling, J., & Sofuoglu, M. (2009). "The effect of cannabis compared with alcohol on driving." The American Journal on Addictions

  • Vergleicht die Effekte von Cannabis und Alkohol auf das Fahrverhalten und stellt fest, dass beide Substanzen das Unfallrisiko erhöhen, aber in unterschiedlicher Weise.
  • Auftraggeber: Oft durch universitäre Forschungsfonds und öffentliche Gesundheitsorganisationen unterstützt.


Schlussfolgerung

Diese Studien bilden die Grundlage für die Entwicklung von Richtlinien und gesetzlichen Regelungen bezüglich des Fahrens unter dem Einfluss von Cannabis. Sie zeigen deutlich, dass THC die Fahrfähigkeit beeinträchtigt, wobei das Ausmaß der Beeinträchtigung von der konsumierten Dosis, der Konsumhäufigkeit und individuellen Unterschieden abhängt.

Die genauen Grenzwerte und die Bewertung der Fahrtüchtigkeit bleiben jedoch komplexe und teils kontrovers diskutierte Themen. Wichtig ist, dass zukünftige Forschungen weiterhin darauf abzielen sollten, präzisere Messmethoden und Grenzwerte zu entwickeln, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen und gerechte rechtliche Standards festzulegen.


C. Deutsche Studien zu Cannabis & Fahrtüchtigkeit


Die Forschung zu den Auswirkungen von THC auf die Fahrtüchtigkeit im deutschsprachigen Raum hat mehrere wichtige Studien hervorgebracht. Hier sind einige der bemerkenswertesten Untersuchungen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen und in deutscher Sprache veröffentlicht wurden:


Grotenhermen, F., Leson, G., Berghaus, G., et al. (2005). „Kriterien zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit unter Cannabis.“

  • Diese Studie untersucht die Kriterien zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit unter dem Einfluss von Cannabis. Es wird versucht, spezifische Grenzwerte für THC im Blut zu identifizieren, die eine Fahruntauglichkeit anzeigen könnten.
  • Auftraggeber: Die Studie wurde von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) gefördert, einer deutschen Bundesbehörde, die sich mit Straßen- und Verkehrssicherheit befasst.

Berghaus, G., Scheer, N., & Schmidt, P. (1995). „Auswirkungen des Konsums psychotroper Substanzen auf die Fahrtüchtigkeit - Cannabis.“

  • Diese Forschungsarbeit ist Teil einer größeren Serie, die sich mit den Auswirkungen verschiedener psychotroper Substanzen auf die Fahrtüchtigkeit befasst. Sie liefert detaillierte Informationen über die spezifischen Auswirkungen von Cannabis.
  • Auftraggeber: Ebenfalls unterstützt durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt).

Krüger, H.-P., Schulz, E., & Magerl, H. (1998). „Cannabis und Fahrsicherheit.“

  • Diese Studie fokussiert auf die direkten Effekte von Cannabis auf die Fahrsicherheit und analysiert verschiedene Aspekte des Fahrverhaltens nach dem Konsum von Cannabis.
  • Auftraggeber: Die Studie wurde möglicherweise im Rahmen universitärer Forschungsinitiativen oder durch staatliche Gesundheitsbehörden finanziert.

Moskowitz, H. (1985). „Marihuana und Fahren.“

  • Obwohl älter, bleibt diese Studie ein wichtiger Referenzpunkt in der Diskussion um Cannabis und Fahrtüchtigkeit im deutschsprachigen Raum.
  • Auftraggeber: Details zum Auftraggeber sind weniger klar, da die Studie Teil eines größeren internationalen Dialogs ist.


Fazit

Die angeführten Studien bieten einen Überblick über die wissenschaftliche Basis, die in Deutschland zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit unter Cannabisgebrauch herangezogen wird. Sie verdeutlichen die Bedeutung umfassender Forschung in diesem Bereich, um fundierte rechtliche und medizinische Standards festzulegen.

In Deutschland liegt ein signifikanter Fokus darauf, durch empirische Daten unterstützte Grenzwerte zu etablieren, um sowohl die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten als auch eine gerechte Rechtsprechung zu ermöglichen.

D. Studien seit 2017 zu Cannabis & Fahrtüchtigkeit

Die Forschung zu den Auswirkungen von THC auf die Fahrtüchtigkeit entwickelt sich ständig weiter, und es gibt einige neuere Studien, die seit 2017 sowohl in Deutschland als auch international veröffentlicht wurden. Hier sind einige relevante Studien:


D. Neuere Studien in Deutschland seit 2017


Gundersen, G. et al. (2021). „Cannabis und Fahrsicherheit: Eine Analyse der aktuellen Forschungslage in Deutschland.“

  • Diese Studie gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu Cannabis und Fahrsicherheit in Deutschland, diskutiert neueste Erkenntnisse und weist auf Forschungslücken hin.

Schulz, W. T. (2019). „Einfluss von Cannabis auf die Fahrtüchtigkeit: Neue Perspektiven aus klinischen und experimentellen Studien.“

  • Die Studie analysiert, wie sich die neuesten Entwicklungen in der Cannabisgesetzgebung auf die Fahrtüchtigkeit auswirken könnten, basierend auf klinischen und experimentellen Studien.




Weltweite Studien seit 2017


Rogeberg, O., & Elvik, R. (2019). "The effects of cannabis intoxication on motor vehicle collision revisited and revised." Addiction

  • Diese aktualisierte Meta-Analyse reevaluiert frühere Forschungen und bietet aktualisierte Daten zum Zusammenhang zwischen Cannabisgebrauch und Verkehrsunfällen.

Compton, R. (2018). "Marijuana-Impaired Driving - A Report to Congress." National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA)

  • Diese umfassende Studie wurde von der NHTSA in den USA durchgeführt und befasst sich mit den Auswirkungen von Cannabis auf die Fahrtüchtigkeit, mit besonderem Fokus auf gesetzgeberische Maßnahmen und polizeiliche Praktiken.

Hartman, R. L., & Huestis, M. A. (2017). "Cannabis effects on driving skills." Forensic Science Review

  • Diese Studie gibt einen detaillierten Überblick über die Auswirkungen von Cannabis auf Fahrkompetenzen und diskutiert die Herausforderungen bei der Festlegung von gesetzlichen Grenzwerten für THC im Blut.


Diese Studien reflektieren die fortschreitende Forschung im Bereich der Auswirkungen von Cannabis auf die Fahrtüchtigkeit und sind sowohl auf die Entwicklung von Richtlinien als auch auf die Verbesserung der Verkehrssicherheit ausgerichtet.



E. Forschungslücken identifiziert durch Gundersen et al. (2021)


Die Studie von Gundersen et al. (2021) „Cannabis und Fahrsicherheit: Eine Analyse der aktuellen Forschungslage in Deutschland“ wirft Licht auf bestehende Forschungslücken im Zusammenhang mit dem Einfluss von Cannabis auf die Fahrsicherheit. Eine detaillierte Darstellung dieser Lücken ermöglicht ein tieferes Verständnis der Komplexität dieses Forschungsfeldes und der Bedeutung weiterführender Untersuchungen:


Methodologische Einschränkungen bestehender Studien


  • Mangel an standardisierten Testverfahren: Viele Studien verwenden unterschiedliche Methoden zur Bewertung der Fahrtüchtigkeit, was die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erschwert.


  • Kontrolle von Variablen: Es besteht ein Bedarf an Studien, die andere Einflussfaktoren wie Müdigkeit, Alkoholkonsum und die Wirkung anderer Drogen besser kontrollieren.


Pharmakokinetik von THC


  • Variable Blut-THC-Konzentrationen: Es gibt Unklarheiten darüber, wie THC-Konzentrationen im Blut mit Beeinträchtigungen korrelieren. Die Wirkung kann je nach Konsumform und individuellem Metabolismus variieren.


  • Chronische vs. akute Exposition: Die Effekte langfristigen Cannabiskonsums im Vergleich zu einmaligem Gebrauch sind nicht ausreichend erforscht.


Demografische und individuelle Faktoren


  • Altersabhängige Effekte: Wie sich Cannabis auf verschiedene Altersgruppen auswirkt, insbesondere auf ältere Fahrer, ist nicht ausreichend untersucht.


  • Toleranzentwicklung: Die Unterschiede in der Toleranzentwicklung bei regelmäßigen und gelegentlichen Konsumenten sind nicht vollständig verstanden.


Rechtliche und gesetzliche Rahmenbedingungen


  • Einfluss von Gesetzesänderungen: Die Auswirkungen von rechtlichen Änderungen in Bezug auf Cannabis auf die Fahrsicherheit sind nicht hinreichend analysiert.


  • Internationale Vergleichsstudien: Es fehlen Studien, die die Effekte von Cannabis auf die Fahrsicherheit in verschiedenen rechtlichen Kontexten vergleichen.


Langzeitfolgen des Cannabiskonsums


  • Kognitive Beeinträchtigungen: Die langfristigen Auswirkungen von Cannabis auf kognitive Funktionen und deren Einfluss auf die Fahrsicherheit bedürfen weiterer Untersuchung.


  • Rückfallraten und Fahrsicherheit: Wie sich der erneute Konsum nach Perioden der Abstinenz auf die Fahrtüchtigkeit auswirkt, ist eine offene Frage.


Fazit und Ausblick


Die Studie von Gundersen et al. unterstreicht die Notwendigkeit umfassenderer und methodisch einheitlicher Forschung, um die komplexen Interaktionen zwischen Cannabiskonsum und Fahrsicherheit besser zu verstehen.

Diese Erkenntnisse sind entscheidend für die Entwicklung zielgerichteter Präventionsmaßnahmen und gesetzlicher Regelungen, die sowohl die Verkehrssicherheit erhöhen als auch die rechtlichen Rahmenbedingungen realitätsnah gestalten.

Weiterführende Studien sollten darauf abzielen, die identifizierten Forschungslücken zu schließen, um fundierte politische und gesellschaftliche Entscheidungen zu ermöglichen.



Foto(s): Bodo Michael Schübel

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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