Der Abgasskandal – Warum Automobilhersteller auf Zeit spielen und was Sie jetzt wissen sollten...

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Dezember 2020 über die Verjährungsfrage im Abgasskandal entschieden. Gleichzeitig lässt er aber eine ganz entscheidende Frage offen.


Unstreitige Kenntnis des Fahrzeugbesitzers

Der Entscheidung lag die Klage eines vom Abgasskandal betroffenen PKW-Besitzers zugrunde. Der dortige Kläger hatte im April 2013 einen VW Touran erworben. Der PKW verfügte über den „Skandalmotor“ VW EA 189. Unstreitig in dem Verfahren blieb bis zum Schluss, dass die Volkswagen AG die breite Öffentlichkeit ab Ende September 2015 bis Mitte Oktober 2015 darüber informierte, dass im Motor VW EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut war. Die Volkswagen AG berief sich auch auf die umfangreiche Presseberichterstattung zum Abgasskandal von Ende 2015. Der dortige Kläger stritt nicht ab, dass er bereits im Jahr 2015 davon wusste, dass sein PKW vom Abgasskandal betroffen war. Er erhob jedoch erst im Jahr 2019 Klage gegen die Volkswagen AG.

Er verlor vor dem Landgericht (LG) Stuttgart und in der Berufungsinstanz vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart. Auch die Revision vor dem BGH blieb erfolglos.


Regelmäßige Verjährung ist anzuwenden

Mit Urteil vom 17. Dezember 2020, VI ZR 739/20, entschied der BGH, dass die Schadensersatzansprüche des Besitzers eines vom Abgasskandal betroffenen PKW in der regelmäßigen Verjährungsfrist verjähren. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) drei Jahre. Der Beginn der regelmäßigen Verjährung ist in § 199 BGB geregelt. Danach beginnt die regelmäßige Verjährung am Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsberechtigte von anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder hätte ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müssen.

In dem entschiedenen Fall wusste der Kläger unstreitig schon ab September 2015 davon, dass sein PKW vom Abgasskandal betroffen ist. Dementsprechend begann die regelmäßige Verjährung für den dortigen Kläger am 31. Dezember 2015. Folglich trat am 31. Dezember 2018, also genau drei Jahre später, die regelmäßige Verjährung ein.


Was der BGH nicht entschied ist viel wichtiger

Ungeprüft blieb jedoch, ob dem Kläger der so genannte „Restschadensersatzanspruch“ aus § 852 Satz 1 BGB zusteht.

Nach § 852 BGB ist der Ersatzpflichtige auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet (§ 852 Satz 1 BGB). Dieser Anspruch verjährt in 10 Jahren von seiner Entstehung an, ohne Rücksicht auf seine Entstehung in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an (§ 852 Satz 2 BGB). Bei § 852 BGB handelt es sich nicht um einen Bereicherungsanspruch, sondern um einen sogenannten Restschadensersatzanspruch, also einen Anspruch aus unerlaubter Handlung, der in Höhe der Bereicherung nicht verjährt ist. Sobald die Verjährungseinrede erhoben wird, muss das entscheidende Gericht von sich aus auch prüfen, ob ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB gegeben ist.

Einfach ausgedrückt bedeutet das: Wenn jemand aufgrund einer unerlaubten Handlung etwas erlangt hat, bleibt der ursprüngliche Schadenersatzanspruch auch nach Eintritt der regelmäßigen Verjährung bestehen. Der Restschadensersatzanspruch ist der Höhe nach begrenzt auf die Bereicherung.

Leider war zu den Voraussetzungen dieses Restschadenersatzanspruchs in den vorangegangenen Instanzen nicht vom Kläger vorgetragen worden, so dass der BGH diese Rechtsfrage nicht prüfen konnte.


Erkenntnisse aus der Entscheidung

Der BGH hat klargestellt, dass die regelmäßige Verjährung für die Schadensersatzansprüche aus §§ 826, 31 BGB gilt. Man könnte meinen, die Volkswagen AG und auch die anderen Automobilhersteller müssten nach dieser Entscheidung aufatmen. Denn seit dem Bekanntwerden des Abgasskandals im September 2015 sind mittlerweile über fünf Jahre vergangen. Insbesondere der Volkswagen Konzern hat die letzten Jahre auf Zeitablauf gesetzt, um sich in vielen Fällen auf die Einrede der Verjährung berufen zu können.

Ob diese Strategie jedoch aufgehen wird, bleibt offen. Denn die Entscheidung des BGH lässt erahnen, dass man in Karlsruhe die Anwendbarkeit des Restschadensersatzanspruchs aus § 852 BGB und damit eine 10-jährige Verjährungsfrist für denkbar hält.  Damit ist klar, dass der Abgasskandal noch lange nicht vorbei ist und vor allem Schadensersatzansprüche noch nicht verjährt sind.

Es mehren sich übrigens Verfahren, in denen die Volkswagen AG auf die Einrede der Verjährung verzichtet, nachdem die zuständigen Gerichte auf die mögliche Anwendbarkeit des Restschadensersatzanspruchs nach § 852 BGB hingewiesen hatten. Offenbar fürchtet man in Wolfsburg, dass diese Entscheidung zeitnah vom BGH entschieden werden könnte.

Für betroffene Verbraucher bedeutet dies: Ihre Chancen auf Schadensersatz im Abgasskandal sind nach wie vor hoch!


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Weitere Infos finden Sie auch unter: https://www.abgasskandal-nrw.de/


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Foto(s): Moritz Raspe


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