Der Fall Kevin Großkreutz aus arbeitsrechtlicher Sicht

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Kevin Großkreutz – was darf sich ein Arbeitnehmer in seiner Freizeit zu Schulden kommen lassen?

Letzte Woche ging der Fall Kevin Großkreutz durch die Presse. Der Fußballweltmeister und Spieler des VFB Stuttgart, der derzeit verletzt ist, zog an einem Wochentag abends durch Stuttgart. Er tat dies nicht allein, sondern in Begleitung von drei minderjährigen Jugendspielern des VFB. Im Laufe des Abends wurden dann durch die Gruppe ein örtliches Bordell sowie eine Abiballparty besucht. Dabei geriet die Gruppe um Großkreutz in Streit und eine anschließende Schlägerei. Großkreutz wurde dabei übel erwischt und lag mit geschwollenem Gesicht für kurze Zeit im Krankenhaus. Wenig später gab er auf einer sehr emotionalen Pressekonferenz seine Vertragsauflösung beim VFB und seine vorläufige Abkehr vom Profifußball bekannt.

Fußballer sind auch nur Arbeitnehmer

Da Fußballer auch Arbeitnehmer Ihres Vereins sind – wenn auch etwas besser bezahlt als der Durchschnittsarbeitnehmer – lohnt sich im Fall Großkreutz ein Blick auf die arbeitsrechtliche Bewertung des Vorfalls.

Denn wenn der VFB und Großkreutz den Vertrag nicht im gegenseitigen Einvernehmen beendet hätten, wäre hier auch eine sog. außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung seitens des VFB in Betracht gekommen. Diese kann auch jeden normalen Arbeitnehmer im Verlaufe seines Arbeitslebens treffen und daher lohnt sich ein Blick auf das Großkreutz vorgeworfene Fehlverhalten und die Frage, inwiefern Arbeitnehmer durch außerdienstliches Verhalten ihren Arbeitsplatz gefährden können.

Außerordentliche Kündigung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes

Grundsätzlich ist es so, dass eine außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung nur dann möglich ist, wenn der Arbeitgeber gemäß § 626 BGB einen wichtigen Grund hat, um das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden. Dies ist generell dann der Fall, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der unter Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Interessenabwägung) dem kündigenden Arbeitgeber die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Restvertragszeit – durch eine nur ordentliche Kündigung – nicht zumutbar macht (Zumutbarkeit).

Ein wichtiger Grund liegt dabei vor, wenn ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers abstrakt gesehen eine erhebliche Verletzung der Vertragspflichten des Arbeitsvertrages darstellt. Diese Verletzungen können sowohl im Leistungsbereich (z. B. schlechte Arbeitsleistung/Minderleister), im Vertrauensbereich (z. B. bei Straftaten im Betrieb) oder bei Verletzungen der betrieblichen Ordnung (z. B.: Missachtung eines Rauchverbotes im Büro) entstehen. Großkreutz wurden dabei insbesondere die folgenden Vorwürfe gemacht:

Er wäre verletzt und arbeitsunfähig gewesen und trotzdem um die Häuser gezogen

Er hätte an einer Schlägerei teilgenommen und dadurch dem Ansehen des VFB Stuttgart geschadet

Da das Großkreutz vorgeworfene Fehlverhalten außerhalb des Fußballbetriebes stattfand, stellt sich hier nur die Frage nach der Vorwerfbarkeit des o. g. außerdienstlichen Freizeitverhalten als Nebenpflichtverletzung des Arbeitsvertrages im Vertrauensbereich.

Grundsätzlich kann ein Arbeitnehmer in seiner Freizeit machen was er will

Dabei ist generell zu sagen, dass das Freizeitverhalten von Arbeitnehmern nicht der Kontrolle des Arbeitgebers unterliegt und dass diese in Ihrer Freizeit entsprechend der grundgesetzlich normierten allgemeinen Handlungsfreiheit tun und lassen können, was sie wollen. Es gibt grundsätzlich keine Pflicht, seinen Lebensstil nach den Wünschen des Arbeitgebers einzurichten.

Von diesem Grundsatz gibt es aber Ausnahmen. Bezogen auf die o. g. Vorwürfe im Fall Großkreutz werden die Ausnahmen unter den Stichworten

a) Verletzung der Pflicht zur Gesunderhaltung/-werdung bei Krankheit

b) Begehen von Straftaten in der Freizeit

c) Rufschädigung des Arbeitgebers

diskutiert.

Zu a) Genesungspflicht

Entgegen der insbesondere in der älteren Generation verbreiteten Ansicht, dass man im Falle der Krankheit eine strenge Bettruhe einhalten müsse, darf ein krankgeschriebener Arbeitnehmer auch während der Krankheit all die Tätigkeiten ausüben, die seiner Genesung nicht im Wege stehen.

Oder positiv formuliert: Ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer hat sich in seiner Freizeit so zu verhalten, dass er alsbald wieder gesund wird und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Dies ist fair, da der Arbeitgeber während der Krankheit des Arbeitnehmers ja weiter zu dessen Lohnfortzahlung verpflichtet ist, ohne dessen Arbeitskraft als Gegenleistung zu bekommen.

Wann aber ein bestimmtes Freizeitverhalten im Krankheitsfall die Genesung gefährdet, hängt vom vorliegenden Krankheitsbild, von dem konkret vorgeworfenen Freizeitverhalten und von der ärztlichen Diagnose ab.

So kann der Besuch eines Kinos für den erkälteten, krankgeschriebenen Mitarbeiter unproblematisch sein, während der gleiche Besuch für den an einer Bindehautentzündung leidenden Mitarbeiter einen Kündigungsgrund darstellen kann, sofern er seine Augen gemäß der ärztlichen Therapieanweisung zu schonen gehabt hätte.

Hier ergibt sich für den, den Arbeitnehmer vertretenden Anwalt, ein breites Argumentationsfeld. Kann man das Gericht davon überzeugen, dass das strittige Freizeitverhalten nicht genesungshemmend oder womöglich sogar heilungsfördernd war (insbesondere bei psychischen Krankheiten), war die Kündigung unwirksam.

Bezogen auf den Fall Großkreutz muss man beim Vorliegen einer fußballtypischen Verletzung sagen, dass der Besuch eines Bordells oder einer Abiparty grundsätzlich nicht geeignet ist, um die Genesung zu verzögern. Sofern Großkreutz die Termine seiner Reha und ähnliche Maßnahmen einhalten konnte, ist ihm die nächtliche Tour unter Genesungsgesichtspunkten nicht vorwerfbar.

Zu b) Begehung von Straftaten

Grundsätzlich ist die Begehung von Straftaten durch den Arbeitnehmer in seiner Freizeit kein Grund, um ein Arbeitsverhältnis außerordentlich kündigen zu dürfen. Denn durch das Begehen der Straftat verletzt der Arbeitnehmer unmittelbar keine der o. g. Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis.

Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung aber für die Fälle, in denen die Straftat auch einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Verhalten konkrete negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat.

Dieser Bezug wird in der Regel durch das Bundesarbeitsgericht bei Freizeitstraftaten des Arbeitnehmers verneint. So kann der Fahrer eines Busses trotz seiner Hooliganeskapaden am Wochenende Busfahrer bleiben. Anders ist aber der Fall zu bewerten, wenn der Busfahrer in seiner Freizeit regelmäßig betrunken Auto fährt oder der Kassierer in der Sparkasse wegen Internetbetruges bei Ebay verurteilt wird. Hier ist die generelle Eignung des Arbeitnehmers für seinen Beruf durch die Art der Straftaten unmittelbar in Frage gestellt und die außerordentliche Kündigung dürfte in der Regel zu bejahen sein.

Zu c) Rufschädigung

Bliebe als vorwerfbares Verhalten nur noch die potentielle Rufschädigung des Arbeitgebers VFB Stuttgart durch das Verhalten des Spielers. Dabei sind nur solche Fälle von Fehlverhalten erfaßt, die überhaupt in der Lage sind das Ansehen des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit zu minimieren.

Ob hier eine solche Rufschädigung überhaupt schon tatbestandlich vorliegt, ist aber mehr als fraglich. So ist der Besuch eines Bordells in der heutigen liberalen Zeit nicht ehrenrührig. Auch die Teilnahme an einer Schlägerei ist grundsätzlich kein rufschädigender Akt des Arbeitgebers. Umso mehr als Großkreutz wohl nicht der Auslöser, sondern vielmehr dessen Opfer war. Eine Rufschädigung des VFB Stuttgart ist daher m.E. nach abzulehnen.

Jedoch hängt die Beurteilung sehr vom Einzelfall ab. So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) z. B. eine Rufschädigung für den Fall bejaht, dass ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber bei Facebook schlechtgemacht hätte. Hier reichte dem BAG für die Annahme eines Kündigungsgrundes bereits der wohl eher humoristisch zu verstehende Profileintrag bei Facebook „angestellt bei: Menschenschinder“.

Kündigung muss das letzte Mittel sein

Ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes dem Grunde nach zu bejahen, muss die außerordentliche Kündigung des weiteren auch das letzte Mittel sein, um die Störung des Arbeitsvertragsverhältnisses zu beseitigen (Ultima-ratio-Prinzip).

Ein Arbeitsgericht prüft insofern, ob nicht auch mildere Mittel die Störung des Arbeitsvertragsverhältnisses behoben hätten (Verhältnismäßigkeitsprüfung). Gab es ein milderes Mittel, war die außerordentliche Kündigung unwirksam. Insofern kommt in vielen Fällen die vorherige Abmahnung als milderes Mittel zur außerordentlichen Kündigung in Betracht, da oft durch sie bereits die gewünschte Verhaltensänderung des Arbeitnehmers für die Zukunft bewirkt werden kann.

Entgegen eines weit verbreiteten Irrglaubens muss ein Arbeitgeber aber nicht jedes Fehlverhalten zuvor abmahnt haben. Stellt ein Fehlverhalten eine derart schwerwiegende Pflichtverletzung dar, dass das Vertrauensverhältnis nachhaltig für die Zukunft gestört sein wird (Zukunftsprognose), kann auch sofort die Kündigung ausgesprochen werden.

Insofern muss der Arbeitgeber alle Umstände, die für und gegen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses sprechen, gegeneinander abwägen und diese vor einem Arbeitsgericht darlegen. Die Abwägung kann dann auch durchaus zugunsten des Arbeitnehmers ausfallen. Insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer über viele Jahre hinweg dem Arbeitgeber niemals einen Grund zu Beanstandungen gegeben hat. Andere Abwägungspunkte sind auch z. B. die Auswirkungen auf den Betriebsfrieden, der Grad des Verschuldens (leicht, mittel, hoch?), ein evtl. Schaden des Arbeitgebers, Dauer der Betriebszugehörigkeit und die soziale Lage des Arbeitnehmers (Alter, Familienstand, Unterhaltspflichten). Ergibt dabei die Abwägung, dass kein milderes Mittel zur Verfügung stand, war Kündigung des Arbeitgebers wirksam.

Doch auch dann ist für den Arbeitnehmer unter Umständen noch nicht alles verloren. Der Grund liegt darin, dass § 626 II BGB dem Arbeitgeber nur eine 2-Wochenfrist zur außerordentlichen Kündigung nach Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen gibt. Handelt der Arbeitgeber nicht innerhalb dieser 2 Wochen, ist die Kündigung grundsätzlich unwirksam und der Arbeitnehmer kann trotz seiner Verfehlung weiter im Betrieb bleiben. Auch hier ergeben sich Ansatzpunkte für den Anwalt des Arbeitnehmers.

Als Fazit kann man zusammenfassen, dass eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung von Großkreutz hier aller Voraussicht nach durch ein Arbeitsgericht als unwirksam angesehen worden wäre. Sofern das Arbeitsgericht das Vorliegen eines wichtigen Grundes überhaupt bejaht hätte, hätte es angesichts der Geringfügigkeit des vorwerfbaren Verhalten einer vorherigen Abmahnung bedurft. Kevin Großkreutz könnte noch Spieler des VFB Stuttgart sein.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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