Der Gang eines Strafverfahrens im Überblick – vom Anfangsverdacht bis zum Urteil

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Der folgende Artikel gibt einem Überblick über den üblichen Gang eines Strafverfahrens vom Anfangsverdacht über das Ermittlungsverfahren bis hin zu einem etwaigen Urteil. Daneben zeigt er auf, welche Bedeutung den verschiedenen einzelnen "Etappen" im Verfahrensverlauf zukommt und an welchen Stellen auf welche Weise durch Ihren Verteidiger interveniert werden kann.

Ermittlungsverfahren

Ermittlungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft

Wenn Sie verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben, werden Staatsanwaltschaft und Polizei ein Ermittlungsverfahren gegen Sie einleiten. Der Anfangsverdacht kann sich entweder daraus ergeben, dass eine dritte Person Strafanzeige gegen Sie erstattet oder die Behörden von sich aus auf eine mögliche Straftat bzw. Ihre Person als möglichen Täter aufmerksam werden.

Spätestens vor Abschluss der Ermittlungen, also noch bevor die Staatsanwaltschaft darüber entscheidet, ob in Ihrem Fall Anklage erhoben werden soll, muss Ihnen nach dem Gesetz Gelegenheit gegeben werden, sich zu dem Tatvorwurf zu äußern. Geht es um „Kleinkriminalität“, erfolgt die Anhörung in der Regel nur schriftlich, d.h. es wird Ihnen von der Polizei ein Anhörungsbogen zugeschickt, den Sie ausfüllen sollen. Bei gewichtigeren Vorwürfen erhalten Sie in der Regel eine Vorladung zum persönlichen Erscheinen vor der Polizei oder der Staatsanwaltschaft, wo Sie dann mündlich zur Sache vernommen werden sollen.

Spätestens mit Zusendung des Anhörungsbogens bzw. zu Beginn der mündlichen Vernehmung wird Ihnen auch mitgeteilt, was Ihnen konkret vorgeworfen wird. Sie können sich äußern, müssen dies aber nicht, denn es ist ihr gutes Recht – vielleicht das wichtigste Beschuldigtenrecht überhaupt – zum Tatvorwurf umfassend zu schweigen. Von Ihrem Schweigerecht sollten Sie unbedingt Gebrauch machen, solange Sie nicht einen Verteidiger befragt und mit diesem das Vorgehen abgestimmt haben. In aller Regel ist es nicht ratsam, ohne vorige Akteneinsicht eine Einlassung zur Sache abzugeben (mehr dazu hier).

Bereits im Ermittlungsverfahren können Sie jederzeit beantragen dass Beweise erhoben werden, die Sie entlasten könnten, wie z.B. die Vernehmung von bestimmten Zeugen. Möglicherweise können Sie auch schon jetzt, noch vor Ihrer ersten Anhörung/ Vernehmung, verlangen, dass Ihnen ein Pflichtverteidiger beigeordnet wird (mehr dazu hier).


Sobald die Behörden erfahren, dass Sie von einem im Strafrecht erfahrenen Anwalt betreut werden, halten diese sich Ihnen gegenüber oft etwas zurück – schon wegen dieses Nebeneffektes lohnt sich eine frühe Beauftragung eines Verteidigers.


Akteneinsicht

Sie oder der Anwalt, den Sie mit Ihrer Verteidigung beauftragt haben oder der Ihnen als Pflichtverteidiger bestellt wurde, dürfen spätestens bei Abschluss der Ermittlungen Einsicht in die Akten nehmen, um sich ein Bild von dem Ermittlungsstand machen zu können.

Nach Akteneinsicht kann dann zur Sache Stellung genommen werden und auf diese Weise versucht werden, auf die Entschließung der Staatsanwaltschaft Einfluss zunehmen. Gegebenenfalls, wenn dies verteidigungstaktisch sinnvoll erscheint, kann eine Einlassung zur Sache (über Ihren Verteidiger) nachgeholt werden.


Entschließung der Staatsanwaltschaft

Spätestens nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen wird Ihr Fall an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Die Staatsanwaltschaft ist „Herrin des Ermittlungsverfahrens“, ihr allein kommt die Aufgabe zu, die von den Polizei gesammelten Erkenntnisse in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu bewerten und zu entscheiden, wie mit Ihrem Fall weiter verfahren werden soll.

Ist die Staatsanwaltschaft der Meinung, dass sich der Anfangsverdacht nach den durchgeführten Ermittlungen bestätigt hat und sich Ihre Schuld vor Gericht voraussichtlich, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, auch beweisen lassen wird („hinreichender Tatverdacht“), erhebt sie in der Regel Anklage (oder beantragt einen Strafbefehl, mehr dazu hier). Andernfalls wird das Verfahren eingestellt und ist damit in der Regel beendet.

Selbst wenn Sie nach Meinung der Staatsanwaltschaft als Täter in Betracht kommen und Ihnen der Vorwurf vor Gericht voraussichtlich nachgewiesen werden kann, muss dies nicht in jedem Fall zu einer Anklage führen. Bei nicht schwer wiegenden Vergehen kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren auch bei hinreichendem Tatverdacht aus Ermessensgründen einstellen („Einstellung aus Opportunitätsgründen“). Von den verschiedenen Einstellungsmöglichkeiten, welche die StPO den Behörden eröffnet, wird in der Praxis rege Gebrauch gemacht. Die meisten Einstellungen beruhen auf:

  • § 153 Abs. 1 StPO – Einstellung wegen Geringfügigkeit (nur geringe Schuld und kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung) sowie

  •  § 153a Abs. 1 StPO – Einstellung gegen Auflage (nur geringe Schuld, öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung kann durch Erteilung von Weisungen und Auflagen beseitigt werden)


Wer einen Verteidiger erst nach Entschließung der Staatsanwaltschaft – also nach bereits erfolgter Anklage (oder Beantragung eines Strafbefehls) – hinzuzieht, begibt sich damit der Möglichkeit, mit einer gutbegründeten Stellungnahme auf die Entschließungsentscheidung der Staatsanwaltschaft Einfluss zu nehmen und das Verfahren frühzeitig „abzuräumen“. Ist die Anklage erst einmal erhoben, ist es aus naheliegenden psychologischen Gründen ungleich schwerer die Staatsanwaltschaft von einer anderen Sichtweise und Bewertung zu überzeugen als vor ihrer Entscheidung – wer korrigiert sich schon gerne selbst?


Zwischenverfahren

Nach Eingang der Anklage beim zuständigen Gericht prüft dieses zunächst aus einer unabhängigen Sicht, Sie nach dem bisherigen Ermittlungsstand auch zu Recht angeklagt worden sind, d.h. das Gericht trifft eine eigene Bewertung dahin, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht. 

Vor der Entscheidung über die Zulassung der Anklage wird das Gericht  Ihnen die Anklageschrift zustellen, d.h. förmlich übersenden, und Ihnen eine Frist setzen, innerhalb derer Sie zu dem Anklagevorwurf Stellung nehmen sowie einzelne Beweiserhebungen beantragen können. Ihr Verteidiger oder in der Regel auch Sie selbst, wenn Sie keinen Verteidiger haben, können auch nach Anklageerhebung Einsicht in Ihre Akte verlangen.


Wird die Anklage zugelassen, bedeutet das, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht zu der Einschätzung gelangt sind, dass ein hinreichender Tatverdacht besteht und eine Verurteilung in Ihrem Fall wahrscheinlicher ist als ein Freispruch. Von dem eher seltenen Fall abgesehen, dass Sie über ein echtes „Ass im Ärmel“ verfügen, das ohne weiteres zweifelsfrei Ihre Unschuld beweisen wird, aber außer Ihnen bisher noch niemandem bekannt ist, sollten spätestens jetzt alle Alarmglocken läuten und Sie einen Verteidiger beauftragen.


Hauptverfahren

Für den Fall, dass das Gericht die Anklage zulässt und es zu einer Hauptverhandlung kommt, erhalten Sie in der Regel einige Wochen, spätestens aber eine Woche vor der Hauptverhandlung eine Ladung zum Termin. Zum Hauptverhandlungstermin dürfen und müssen Sie erscheinen! Wenn Sie unentschuldigt fehlen, kann das Gericht anordnen, dass die Polizei Sie abholt und zum Termin vorführt. Das Gericht kann im Einzelfall aber auch allein deshalb, weil Sie nicht freiwillig gekommen sind, einen Haftbefehl erlassen und Sie bis zur Gerichtsverhandlung inhaftieren.

Neben Ihnen nehmen an der Verhandlung außerdem u. a. in der Regel ein oder mehrere Richter, ein Staatsanwalt und Ihr Verteidiger (falls beauftragt oder beigeordnet) teil. Die gerichtliche Verhandlung läuft in der Regel wie folgt ab:

Nachdem Zeugen über ihre Wahrheitspflicht belehrt und vorübergehend aus dem Sitzungssaal geschickt worden sind, stellt Ihnen der Richter einige Fragen nach Ihren Personalien, die sie wahrheitsgemäß beantworten müssen (jedenfalls Name, Anschrift, Geburtsdatum). Danach verliest der Staatsanwalt die Anklage.

Der Richter klärt Sie anschließend u. a. über Ihr Recht auf, die Aussage zu verweigern. Wenn und solange Sie zur Aussage bereit sind, können Sie den Hergang der Ihnen vorgeworfenen Tat aus Ihrer Sicht schildern. Der oder die Richter und die anderen Verfahrensbeteiligten dürfen Fragen an Sie stellen.

In der Beweisaufnahme wird das Gericht ggf. Zeugen vernehmen, Sachverständige anhören, Urkunden verlesen oder Beweismittel in Augenschein nehmen. Auch Sie dürfen Fragen an die Zeugen und Sachverständigen stellen.

Am Ende der Beweisaufnahme verliest der Richter in der Regel noch einen Auszug aus dem Bundeszentralregister, um festzustellen, ob es bereits vorher Strafverfahren und gegebenenfalls Verurteilungen gegen Sie gegeben hat. Das Gericht kann das Verfahren auch jetzt noch - ggf. mit Auflagen - einstellen. Ansonsten halten der Staatsanwalt und Ihr Verteidiger, sofern Sie einen solchen haben, Ihre Plädoyers und stellen einen Antrag, wie das Gericht im Urteil entscheiden sollte. Sodann haben Sie die Gelegenheit, etwas zu sagen (das sog. letzte Wort).

Am Ende der Hauptverhandlung verkündet der Richter das Urteil und begründet es. Wenn Sie verurteilt wurden, erklärt er Ihnen zuletzt noch, welche Möglichkeiten Sie haben, das Urteil von einem höheren Gericht überprüfen zu lassen (Berufung und Revision).


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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