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Der „Gollum“-Vergleich stellt eine Beleidigung dar – die Entscheidung des Landgerichts München

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Am 14.11.2022 entschied das Landgericht München I durch Beschluss, dass eine Bürgerbewegung es zu unterlassen hat, einen Wissenschaftler als „Gollum“ zu bezeichnen (Beschl. v. 14.11.2022, Az. 25 O 12738/22).

Ausgangslage

In einem öffentlich verteilten Flyer verglich eine Bürgerbewegung einen Wissenschaftler als „Gollum“. Die Bezeichnung „Gollum“ steht für eine Romanfigur aus J.R.R. Tolkiens Fantasyromanen „Der Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“. 

Ursprünglich handelte es sich beim „Gollum“ um die zuerst freundliche Romanfigur „Smégaol“, die jedoch durch Mord an den „Ring der Macht“ gelangt. Der Ring verändert sein Wesen, er wird misstrauisch, heimtückisch und lebt zunehmend isoliert in einem unterirdischen Höhlensystem. Da er schließlich nur noch Brabbel- und Gluckslaute von sich gibt, erhält er den Spottnamen „Gollum“. Der Ring verdirbt seine Seele und auch sein Körper verändert sich und wird immer abstoßender. Als gespaltene Persönlichkeit spricht er nur noch mit sich selbst. 

Bezeichnung als „Gollum“

 – Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung? 

Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Meinungsäußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung geprägt.

Es handelt sich dabei um die persönliche Auffassung der äußernden Person und ist daher nicht überprüfbar im Sinne von wahr oder falsch.

Tatsachenbehauptungen sind hingegen einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich. 

Des Weiteren ist für die Einordnung als Tatsachenbehauptung erforderlich, dass bei der Äußerung aus Sicht des Empfängers die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meines gegenüber den zugrundeliegenden Tatsachen in den Hintergrund treten.

Die Abgrenzung, ob eine Äußerung eine Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung darstellt, erweist sich oft als schwierig, da eine Äußerung regelmäßig sowohl wertende als auch tatsächliche Elemente enthält.

Eine Unterscheidung ist jedoch notwendig, da unwahre Tatsachenbehauptungen nicht in den Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG fallen und der Betroffene somit weitreichendere Möglichkeiten hat, als bei einer Meinungsäußerung.

Dazu gehören vor allem der Unterlassungs-, Berichtigungs-, Gegendarstellungs-, Schadensersatz- und Geldentschädigungsanspruch.

Handelt es sich hingegen um eine Meinungsäußerung, steht dem Betroffenen ein Unterlassungsanspruch nur dann zu, wenn eine Abwägung beiderseitiger Interessen ergibt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Meinungsfreiheit überwiegt. 

Bei der Unterscheidung kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der Äußerung an.

Vorliegend stufte das Gericht die Bezeichnung des Wissenschaftlers als „Gollum“ als Meinungsäußerung ein, da es sich bei der Romanfigur um kein positiv besetztes Wesen handelt, und diese Aussage somit eine persönliche Auffassung der Bürgerbewegung ist, welche daher nicht überprüfbar im Sinne von wahr oder falsch ist. 

Wenn die Bürgerbewegung jedoch die Bezeichnung „Gollum“ benutzte um damit auszusagen, dass der Wissenschaftler keine entsprechende wissenschaftliche Bildung habe, handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung, da diese Aussage dem Beweis zugänglich ist.

Der klagende Wissenschaftler hat seine wissenschaftliche Bildung jedoch hinreichend nachgewiesen, weshalb es sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung handelt, welche stets unzulässig ist.

Grundrechtlicher Schutz der Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 GG 

Wenn man darauf abstellt, dass es sich bei der Äußerung der Bürgerbewegung, um eine Meinungsäußerung handelt, ist diese durch die Meinungsfreiheit des Art. 5 I 1 GG geschützt.

Denn Meinungen genießen Schutz unabhängig von ihrer „Qualität“.

Demnach können auch verletzend formulierte Meinungen und welche die von anderen für schädlich gehalten werden, geschützt sein.

Denn Sinn und Zweck der Meinungsfreiheit ist es, dass grundsätzlich jedem die Freiheit gebührt, zu sagen, was er oder sie denkt. 

Abgrenzung Meinungsfreiheit vs. Beleidigung im Sinne des § 185 StGB

Das Recht der Meinungsäußerung hat jedoch seine Grenzen.

Diese Grenzen, die sogenannten Schranken, finden sich gemäß Art. 5 Abs.2 GG in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dazu gehört auch der Straftatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB.

Damit der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht zu stark eingeschränkt wird, müssen diese allgemeinen Gesetze wiederum „im Lichte der Meinungsfreiheit“ ausgelegt werden.

Daher ist häufig eine Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und den entgegenstehenden Rechten der betroffenen Person erforderlich. 

Ob eine Äußerung eine Beleidigung oder eine freie Meinungsäußerung darstellt, wird demnach im Wege der Abwägung ermittelt.

Keine Abwägung erforderlich bei Schmähkritik, Formalbeleidigung und bei Angriffen auf die Menschenwürde

Eine Abwägung ist nicht erforderlich, wenn die Meinungsfreiheit hinter das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person zurücktreten muss, denn solche Äußerungen sind immer unzulässig.

Stets unzulässig ist die sogenannte Schmähkritik und die Formalbeleidigung.

Mit der Schmähkritik sind Aussagen gemeint, deren Hauptzweck allein in der Diffamierung der angegriffenen Person liegt und nicht in der Auseinandersetzung mit der Sache an sich.

Bei einer Formalbeleidigung werden mit Absicht, nach allgemeiner Auffassung besonders krasse, aus sich heraus herabwürdigende Schimpfwörter verwendet.

Des Weiteren sind Aussagen unzulässig, welche die Menschenwürde, Art. 1 I GG, berühren.

Fällt die Meinungsäußerung unter keiner der drei Fallgruppen, muss eine Abwägung zwischen der Beleidigung und der Meinungsfreiheit stattfinden.

Das BVerfG listet eine Vielzahl von Kriterien auf, die einen Einfluss auf die Abwägung der Grundrechte haben. Dabei muss stets eine umfassende Auseinandersetzung mit dem konkreten Einzelfall stattfinden.

Eine Äußerung stellt demnach nur dann eine ehrbeeinträchtigende Äußerung im Sinne des § 185 StGB dar, wenn die Abwägung ergibt, dass die persönliche Ehre der betroffenen Person die Meinungsfreiheit der äußernden Person überwiegt.

Ein Indiz dafür, dass die Meinungsfreiheit gewichteter ist, ist wenn die getätigte Äußerung darauf abzielt einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten.

Ein Indiz dagegen ist, wenn es lediglich um die emotionalisierte Verbreitung von Stimmungen gegen die betroffene Person geht. 

Fazit: Die Bezeichnung als „Gollum“ stellt eine Beleidigung dar

Das Gericht stellte mit Beschluss fest, dass es sich bei dem „Gollum“-Vergleich um eine Beleidigung handelt und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Wissenschaftlers gegenüber dem Recht auf Meinungsäußerung der Bürgerbewegung überwiegt. 

Grund für diese Entscheidung ist, dass das Gericht in der Aussage der Bürgerbewegung vorliegend eine nicht sachbezogene Herabsetzung der Person des Antragsstellers sieht.

Eine Person als „Gollum“ zu bezeichnen ist somit geeignet, rechtswidrig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einzugreifen.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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