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Der Pflegegrad – häufiger Anlass für Rechtsstreitigkeiten, finanziell jedoch lohnend

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Entscheidend sind die Einschränkungen in 6 Lebensbereichen

Seit Januar 2017 hat sich das Maß zur Bestimmung der Pflegebedürftigkeit vollkommen geändert. Wurde früher der zeitliche Aufwand der benötigten Pflege zugrunde gelegt, der durch einfaches Zählen der für die Pflege aufzuwendenden Minuten zu ermitteln war und daraus die Pflegestufe errechnet, wird seit 2017 allein auf die Selbständigkeit der pflegebedürftigen Person abgestellt. Je weniger die pflegebedürftige Person in bestimmten Lebensbereichen noch allein - also selbständig - bewältigen kann, desto höher der nunmehr vergebene Pflegegrad (Pflegestufen gibt es nicht mehr). 


Der Mensch mit seinen individuellen Ressourcen soll nach dem Wunsch des Gesetzgebers im Mittelpunkt stehen. Das klingt gut, die neuen Regelungen bringen jedoch auch Probleme mit sich. Wie nämlich schätzt man die Selbständigkeit der pflegebedürftigen Person ein?

Es wird hauptsächlich nach sechs Lebensbereichen, den sogenannten Modulen unterschieden. Jedes einzelne der sechs Module wiederum enthält mehrere Aspekte der sechs Lebensbereiche. Die verschiedenen Aspekte jedes Moduls werden bewertet und am Ende wird nach einem nicht ganz einfachen Rechenschlüssel der Pflegegrad berechnet.

Modul 1 umfasst Aspekte der Mobilität

Modul 2 beinhaltet die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten

Modul 3 erfasst Verhaltensweisen und psychische Problemlagen

Modul 4 umfasst Aspekte der Selbstversorgung

Modul 5 beinhaltet die Bewältigung von und den selbständigen Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen

Modul 6 erfragt die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

Die Ergebnisse der einzelnen Module fließen später in unterschiedlicher Gewichtung in die Berechnung des Pflegegrades ein. So werden Beeinträchtigungen bei der Selbstversorgung (Modul 4) viel stärker gewichtet als beispielsweise Beeinträchtigungen bei der Mobilität (Modul 1).


Das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit wird sodann durch die Einordnung in einen von fünf Pflegegraden dargestellt. Pflegegrad 1 bedeutet dabei, dass geringe Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeiten vorliegen. Pflegegrad 5 hingegen wird bei schwersten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung zuerkannt.


Ermittlung der Einschränkungen bzw. des Unterstützungsbedarfs

Bei gesetzlich Pflegeversicherten erfolgt zur Ermittlung der Einschränkungen der Selbständigkeit der Besuch einer Pflegefachkraft des Medizinisches Dienstes (MD, früher MDK). Die Begutachtung in der häuslichen Umgebung sieht das Gesetz vor; eine telefonische Begutachtung bzw. eine Ermittlung allein anhand der Aktenlage der Pflegeversicherung stellt damit in der Regel einen Verfahrensfehler dar, der nicht akzeptiert werden sollte.


Problematisch ist bei der Begutachtung häufig und kann Anlass zum Streit mit der Pflegekasse sein, dass Pflegebedürftige selbst bzw. die sie pflegenden Angehörigen die Selbständigkeit viel schlechter einschätzen als der Gutachter der Pflegeversicherung. Der Gesetzgeber verwendet zur Bewertung der einzelnen Fähigkeiten nämlich unbestimmte Rechtsbegriffe wie "überwiegend selbständig" oder "Fähigkeit größtenteils vorhanden". So mag der Gutachter zu dem Ergebnis kommen, dass beispielsweise die zeitliche oder örtliche Orientierung der pflegebedürftigen Person noch "größtenteils vorhanden" sei oder das Treppensteigen noch „überwiegend selbständig“ möglich sei, die Betroffenen oder Angehörigen jedoch andere Erfahrungen haben und sagen, die Orientierung sei nur noch in "geringem Maße vorhanden" und das Treppensteigen nur mit Festhalten einer Hilfsperson möglich (= „überwiegend unselbständig“).


Nötigenfalls ist daher eine Überprüfung jedes einzelnen Moduls, jedes darin enthaltenen einzelnen Aspekts und demnach des gesamten Pflegegutachtens notwendig. Für unsere Mandanten nehmen wir uns gerade für diese ganz maßgebliche Ermittlung der konkreten Einschränkungen hinreichend Zeit und können auch entsprechende Formulare zur Selbstbewertung zur Verfügung stellen.


Pflegesachleistung und/oder Pflegegeld

Der Aufwand das Pflegegutachten des MD bzw. den von der Pflegekasse gewährten Pflegegrad umfassend zu überprüfen, kann sich finanziell schnell bezahlt machen. Bei der Wahl von Pflegesachleistungen in Form der häuslichen Pflegehilfe (Pflegedienst) werden derzeit je Kalendermonat

- für Pflegebedürftige des Pflegegrades 2 Leistungen bis zu einem Gesamtwert von 724,- Euro,

- für Pflegebedürftige des Pflegegrades 3 Leistungen bis zu einem Gesamtwert von 1.363,- Euro,

- für Pflegebedürftige des Pflegegrades 4 Leistungen bis zu einem Gesamtwert von 1.693,- Euro,

-  für Pflegebedürftige des Pflegegrades 5 Leistungen bis zu einem Gesamtwert von 2.095,- Euro erbracht.


Bei der alternativ möglichen Inanspruchnahme von Pflegegeld für selbst zu beschaffende Pflegehilfen (z.B. Pflege durch Angehörige) gewährt die Pflegeversicherung folgende monatlichen Beträge

Pflegegrad 2:              316,- Euro

Pflegegrad 3:              545,- Euro

Pflegegrad 4:              728,- Euro

Pflegegrad 5:              901,- Euro


Bei mehreren Hundert Euro Unterschied pro Monat zahlt sich ein Widerspruchs- oder gar Klageverfahren daher oftmals schnell aus.

Pflegesachleistung und Pflegegeld können auch kombiniert werden (sog. Kombinationsleistung), was individuelle Gestaltungsspielräume eröffnet. Sollte Sie eine solche Gestaltung interessieren, können wir Sie selbstverständlich beraten.

In Pflegegrad 1 erhält man lediglich, aber immerhin den sog. Entlastungsbetrag von 125,- EUR monatlich.


Fazit

Die Einordnung in den zutreffenden Pflegegrad ist kompliziert, aber der wichtigste Ausgangspunkt zur Bestimmung des individuellen Leistungsanspruchs. Der entsprechende Bescheid der Pflegekasse kann nötigenfalls mit Widerspruch und Klage angegriffen werden, um ihn überprüfen zu lassen und eine günstigere Einordnung zu erreichen - professionelle Hilfe ist insoweit aufgrund des nicht leicht verständlichen Begutachtungsinstruments angeraten. Gerne können Sie sich hierzu an die Kanzlei Blume Rechtsanwälte wenden, die auf das Sozialrecht spezialisiert ist und in einer Vielzahl von Pflegegradverfahren für ihre Mandanten höhere Leistungen durchsetzen konnte.


Sollten Sie eine persönliche Beratung unter Berücksichtigung Ihrer konkreten Ausgangslage wünschen, sprechen Sie uns gerne an.

Tobias Blume
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht


(Stand November 2022 - alle Angaben nach bestem Wissen, ohne Gewähr und Anspruch auf Vollständigkeit)

PS: In der Erstellung dieses für Sie kostenlosen Rechtstipps stecken einiges an Zeit und Mühe. Wir würden uns daher freuen, wenn Sie den Aufwand mit einer Bewertung honorieren würden - herzlichen Dank.


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