Der Sommer 2022 im Zeichen der Annullierung. Welche Rechte haben Fluggäste und Teilnehmer an einer Pauschalreise?

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Seit einigen Wochen kündigt die Fluggesellschaft Deutsche Lufthansa AG an, zunehmend mehr Flüge in den Sommermonaten annullieren zu müssen. Von mehreren tausend Flügen ist die Rede. Und dann kommt am 27. Juli 2022 ein Streik des Bodenpersonals der Deutschen Lufthansa AG hinzu, mit der Folge, dass noch weitere rund eintausend Flüge annulliert werden mussten. Müssen dass die Fluggäste klaglos hinnehmen oder bestehen Ansprüche? 


Ansprüche bei Beförderungsverträgen (Nur-Flug-Buchung) mit Fluggeselschaften

Annulliert ein Luftfahrtunternehmen einen Flug, so bleibt grundsätzlich die Beförderungspflicht bestehen. Die Fluggesellschaft ist daher verpflichtet, den Fluggästen unverzüglich eine anderweitige Beförderungsmöglichkeit zu verschaffen oder nach Wahl des Fluggastes den Ticketpreis innerhalb von sieben Tagen zurückzuzahlen.

Kann die Beförderung erst am Folgetag erfolgen, muss das Luftfahrtunternehmen Mahlzeiten, Erfrischungen und eine Hotelunterbringung bereitstellen.

Daneben ist die Fluggesellschaft verpflichtet, einen Anspruch auf Ausgleichszahlung (250,00 €/400,00 €/600,00 € – je nach Flugentfernung) einzuräumen, es sei denn 

- die Fluggäste werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder 

- sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und das Endziel höchstens 4 Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder 

- sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen abzufliegen und das Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

Im Fall des Streikaufrufs der Gewerkschaft für den 27. Juli 2022 griff keine der vorgenannten Ausnahmen, die eine Befreiung der Fluggesellschaft von der Verpflichtung zur Leistung der Ausgleichszahlung hätte nach sich ziehen können.

Allerdings ist das Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht (Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung).

Den Streik der Piloten hatte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 21. August 2012 (X ZR 138/11) als außergewöhnlichen Umstand angenommen und den Fluggästen deswegen annullierter Flüge die Ausgleichszahlung versagt.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) musste dann am 17. April 2018 über den wilden Streik der Piloten der Fluggesellschaft TUIfly entscheiden und hat angenommen, dass in dem Verhalten der Piloten kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung liegt. Diese Rechtsprechung hat der EuGH mit Urteil vom 23. März 2021 (Rechtssache C-28/20) wiederholt. Der Aufruf einer Gewerkschaft, die Beschäftigten  sollen in den Streik treten, kann danach für das betroffene Luftfahrtunternehmen keinen außergewöhnlichen Umstand darstellen. Als Grund hierfür wird die Beherrschbarkeit des Arbeitskampfes für die Fluggesellschaft genannt.

Aus dieser Rechtsprechung ist daher zu entnehmen, dass den Fluggästen der Lufthansa, die streikbedingt am 27. Juli 2022 ihren Flug nicht in Anspruch nehmen konnten, die Ausgleichszahlung in Höhe von 250,00 € bei Flügen bis zu 1500 km, 400,00 € bei Flügen bis zu 3500 km und 600,00 € bei Flügen über 3500 km Entfernung zusteht. Der Anspruch besteht auch dann, wenn das Luftfahrtunternehmen am Folgetag ein Angebot zu einer anderweitigen Beförderung unterbreitet oder den Ticketpreis zurückerstattet hat. Forderungen auf Ausgleichszahlung gegen das Luftfahrtunternehmen verjähren in drei Jahren ab Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist.

Verpasst der Fluggast wegen eines annullierten Fluges seine Kreuzfahrt, bestehen Ansprüche gegen das Luftfahrtunternehmen auf Erstattung des Entgelts für die Kreuzfahrt. Der Fluggast sollte aber Bemühungen unternehmen, eine Umbuchung zum nächsten geplanten Hafen der Kreuzfahrt zu erzielen (Schadensminderungspflicht). Der gleiche Grundsatz gilt, wenn für das Ziel der Flugreise eine Hotelbuchung vorliegt. Hier ist der Versuch einer späteren Anreise geboten, bevor der Schadensersatz wegen der Hotelkosten geltend gemacht wird.


Annullierung von Flügen im Rahmen einer Pauschalreise

War der annullierte Flug Bestandteil einer Pauschalreise, bestehen einerseits die Ansprüche auf Ausgleichszahlung wie oben beschrieben gegen die Fluggesellschaft. Auch in diesem Fall muss die Fluggesellschaft Erfrischungen, Mahlzeiten und gegebenenfalls eine Hotelübernachtung bereitstellen, wenn der Flug beispielsweise erst am Folgetag nachgeholt wird.

Daneben bestehen aber auch Ansprüche des Fluggastes gegen den Pauschalreiseveranstalter. Der Reiseveranstalter muss im Falle einer Annullierung des Fluges durch die Fluggesellschaft unverzüglich Ersatzflüge bereitstellen, gegebenenfalls auch durch Buchung zusätzlicher Tickets bei einer anderen Airline. Auch der Reiseveranstalter ist verpflichtet, gegebenenfalls Hotelunterkunft und auch Mahlzeiten bereitzustellen. Kommt er dieser Verpflichtung bis zum tatsächlichen Abflug nicht nach, können gegebenenfalls die hierfür vom Reisenden geleisteten Kosten vom Reiseveranstalter zurückgefordert werden.

Fällt die Reise mangels Möglichkeit einer Ersatzbeförderung vollständig aus, hat der Reiseveranstalter den Reisepreis an den Reisenden zurückzuzahlen. Der Reisende kann zusätzlich eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit verlangen, die von den meisten Gerichten in Höhe von 50 % des vereinbarten Reisepreises angenommen wird.

Aber Achtung: Ansprüche auf Ausgleichszahlung und die Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit werden gegenseitig angerechnet, sodass der Reisende nur einmal den Ersatz für die immaterielle Beeinträchtigung fordern kann. Es ist ihm allerdings freigestellt, bei welchem Unternehmen (Reiseveranstalter oder Luftfahrtunternehmen) er diese Kompensation fordert. Es ist durchaus legitim, von dem Unternehmen die Kompensation zu fordern, das nach der gesetzlichen Lage den höheren Betrag zu leisten hat.

Fazit

Reisende stehen nach diesen Chaos-Tagen nicht ohne Rechte da und können einen Ausgleich für die ausgefallene oder verspätet durchgeführte Flugreise fordern.

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Foto(s): Holger Hopperdietzel

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