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Dienstunfähigkeit bei Soldaten – Unterschiede zum Beamtenrecht

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Soldaten unterliegen einem eigenständigen Dienstrecht. Es stimmt in vielen Teilen mit dem Beamtenrecht überein. In einigen Punkten gelten jedoch abweichende Maßstäbe. Einer dieser Punkte ist die Beurteilung von Dienstunfähigkeit. 

Dabei sind gesetzlichen Regelungen im Wortlaut absolut identisch: Ein Beamter/Berufssoldat ist in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist (§ 44 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes und § 44 Abs. 3 Satz 1 des Soldatengesetzes). Ein Soldat auf Zeit ist zu entlassen, wenn er dienstunfähig ist (§ 55 Abs. 2 SG). Ein wichtiger Unterschied zwischen Beamten- und Soldatenrecht besteht aber hinsichtlich des Maßstabs, nach dem die Dienstunfähigkeit festzustellen ist. Die Dienstunfähigkeit eines Beamten richtet sich – grob vereinfacht ausgedrückt – nach verfügbaren Stellen, die der Beamte trotz gesundheitlicher Einschränkungen noch wahrnehmen kann. Ein Beamter ist dienstunfähig, wenn es im Geschäftsbereich seiner Behörde keinen Dienstposten mehr gibt, der seinem Statusamt entspricht und trotz etwaiger gesundheitlicher Leistungseinschränkungen von ihm wahrgenommen werden kann.

Verteidigungsauftrag der Streitkräfte

Bei Soldaten richten sich die dienstlichen Anforderungen dagegen nach dem Verteidigungsauftrag der Streitkräfte (Art. 87a Abs. 1 des Grundgesetzes) und den Anforderungen im Verteidigungsfall. Daraus ergeben sich im Vergleich mit Berufsbeamten erhebliche Unterschiede, die das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 27.06.2013 herausgearbeitet. In dem Verfahren ging es um einen Stabsarzt, der als Soldat auf Zeit seine Entlassung wegen Dienstunfähigkeit beantragt hatte, weil er wegen einer allergischen Reaktion auf die Inhaltsstoffe von Gummi keine ABC-Schutzausrüstung tragen konnte. Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht erkannten diese Einschränkung als Dienstunfähigkeit an und verpflichteten den Dienstherrn zur Entlassung. Für das Bundesverwaltungsgericht war die Sache nicht so einfach. Es verwies die Sache an das OVG zurück. In der Begründung des Urteils wird folgendes festgestellt:

Ständige Einsatzbereitschaft erfordert Flexibilität

Der Verteidigungsauftrag verpflichtet den Bund, die Streitkräfte organisatorisch so zu gestalten und personell so auszustatten, dass diese ihren militärischen Aufgaben gewachsen sind. Der Soldat ist nach Eignung, Befähigung und Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, sexuelle Identität, Abstammung, Rasse, Glauben, Weltanschauung, religiöse oder politische Anschauungen, Heimat, ethnische oder sonstige Herkunft zu ernennen und zu verwenden (§ 3 Abs. 1 SG). In diesem Rahmen folgt aus dem Verteidigungsauftrag, dass ein Soldat nicht verlangen kann, auf Dienstposten verwendet zu werden, die im Stellenplan mit einer seinem Dienstgrad und seiner Besoldungsgruppe entsprechenden Planstelle abgedeckt sind. Die Bundeswehr muss ständig einsatzbereit sein. Dies setzt ein hohes Maß an personeller Flexibilität voraus. Diese Flexibilität ist unerlässliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit und Schlagkraft der Bundeswehr.

Militärische Erfordernisse

Einem Soldaten können daher ungeachtet seines Dienstgrades grundsätzlich alle Aufgaben übertragen werden, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls bei objektiver Beurteilung noch zumutbar sind. Im Rahmen der Zumutbarkeit können Soldaten auch auf Dienstposten verwendet werden, die der Stellenplan nicht ihrem Dienstgrad zuordnet.

Maßgebend für die Verwendung sind militärische Erfordernisse, die sich wiederum aus den organisatorischen Strukturen der Streitkräfte und der Einsatzplanung ergeben.

Breite Verwendungsmöglichkeit

Damit gilt als Maßstab für die Feststellung der Dienstunfähigkeit nicht allein die Dienststellung des Soldaten nach den Anforderungen seines Dienstgrades, selbst wenn die zentralen Dienstvorschriften der Bundeswehr für die Dienstfähigkeit allein darauf abstellen. Das Bundesverwaltungsgericht erweitert die Verwendungsmöglichkeiten deutlich und stellt hierzu fest: In Friedenszeiten ist ein Soldat dienstfähig, wenn es in der Bundeswehr eine Stelle gibt, auf der er zumutbar verwendet werden kann, und sich der Dienstherr entscheidet, diese mit ihm zu besetzen. Es obliegt der Entscheidung des Dienstherrn, welche personellen Änderungen er vornimmt, um die Stelle mit einem anderweitig nicht verwendbaren Soldaten besetzen zu können.

Unverzichtbare Anforderungen im Verteidigungsfall

Die Dienst(un)fähigkeit ist nicht nur aufgrund der Verwendbarkeit eines Soldaten in Friedenszeiten zu beurteilen. Maßgebend ist der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr. Die Streitkräfte können ihren Auftrag nur erfüllen, wenn ihre Soldaten in der Lage sind, ihre Aufgaben unter den spezifischen Bedingungen des Verteidigungsfalles zu erfüllen. Welche militärischen Anforderungen von jedem Soldaten dafür zu erfüllen sind, bestimmt der Dienstherr. Ein Soldat, der diesen Anforderungen nicht genügt, ist selbst dann dienstunfähig, wenn er in Friedenszeiten zumutbar verwendet werden kann.

Unterschiede nach Waffengattung und Verwendung

Die unverzichtbaren Anforderungen an den Einsatz im Verteidigungsfall können sich nach Waffengattung und Verwendung unterscheiden. So wird es für Soldaten der kämpfenden Truppe unverzichtbar sein, eine ABC-Schutzausrüstung tragen zu können. Etwas Anderes mag je nach der an militärischen Erfordernissen ausgerichteten Einschätzung des Dienstherrn für Soldaten gelten, die in Stäben oder im Sanitätsdienst der Bundeswehr verwendet werden. Welche Anforderungen insoweit maßgebend sind, muss jeweils im konkreten Einzelfall geklärt werden.

Zumutbarkeit bei einem Einsatz im Verteidigungsfall

Dafür hat das Bundesverwaltungsgericht einen strengen Prüfkatalog aufgestellt: Es sei zu klären, ob und bis zu welcher Grenze dem Stabsarzt trotz seiner Allergie das Tragen einer ABC-Schutzausrüstung noch zuzumuten sei. Da einem Stabsarzt auch administrative Tätigkeiten übertragen werden können, komme es darauf an, ob das Erfordernis, im Verteidigungsfall eine ABC-Schutzausrüstung zu tragen, als militärische Grundvoraussetzung uneingeschränkt auch für Stabsärzte gilt, die im administrativen Bereich eingesetzt werden. Ist dies der Fall, so müsse geklärt werden, ob der Kläger diese Anforderung gesundheitlich erfüllen kann. Hierfür muss festgestellt werden, welche körperlichen gesundheitlichen Auswirkungen das Tragen der ABC-Schutzausrüstung für den Kläger hat. Er sei nur dann dienstunfähig, wenn ihm die Folgewirkungen nicht zugemutet werden können. Die vorliegenden Gutachten, auf deren Auswertung sich das Oberverwaltungsgericht beschränkt hatte, würden als Grundlage für eine abschließende Beurteilung dieser Frage nicht ausreichen. Zusätzlich müsse die Verträglichkeit der ABC-Schutzausrüstung auf der Grundlage der gegenwärtigen Ausrüstung der Bundeswehr in diesem Bereich geprüft werden. Es komme darauf an, ob der Kläger auf sämtliche verwendeten ABC-Schutzmasken allergisch reagiert. Es gebe nämlich auch Masken, die für Allergiker besonders geeignet sind. Darüber hinaus müsse das Oberverwaltungsgericht bei der Beurteilung, ob das Tragen einer ABC-Schutzausrüstung für den Kläger aus gesundheitlichen Gründen zumutbar ist, auch berücksichtigen, dass allergische Reaktionen unterschiedlich stark ausfallen können. Sie reichen von einfachen Hautrötungen bis hin zu einem vitalen Organversagen. Letztlich sei in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass ein Soldat die Pflicht hat, im Einsatz lebensbedrohliche Situationen auf sich zu nehmen, zumal der Soldat mit einer Schutzausrüstung im Verteidigungsfall besser gegen atomare, biologische und chemische Kampfstoffe geschützt ist, als ohne.

Bundesverwaltungsgericht – Urteil vom 27.06.2013 – 2 C 67.11


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