Eil-Verfassungsbeschwerde gegen Unterbringung erfolgreich

  • 3 Minuten Lesezeit

Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 19.05.2023, Az. 2 BvR 637/23) hat die wochenlange Unterbringung einer Beschuldigten in der Psychiatrie wegen verfassungsrechtlicher Bedenken untersagt. In einem Eilverfahren, in dem auch Rechtsanwalt Thomas Hummel tätig war, kam es zu dem Schluss, dass eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts droht.


Beschuldigte möglicherweise nicht zurechnungsfähig

Gegen die Beschwerdeführerin wurde wegen mehrerer Vergehen aus dem Bereich der leichten bis mittleren Kriminalität ermittelt, vor allem wegen Körperverletzung, Beleidigung und Drogenbesitzes. Bis dato wurde weder ein Urteil gesprochen noch überhaupt eine Verhandlung durchgeführt. Ob die Beschuldigte also überhaupt etwas Strafbares getan hat, ist völlig unklar.

Das für die kommende Verhandlung zuständige Amtsgericht Augsburg hatte Zweifel an ihrer Schuldfähigkeit und ordnete zunächst eine psychiatrische Untersuchung an. Als diese scheiterte, regte der Gutachter eine Unterbringung in der Psychiatrie an, um sie dort beobachten und ggf. untersuchen zu können.


Anordnung einer sechswöchigen Unterbringung

Darauf beschloss das Amtsgericht die Unterbringung der Beschuldigten für maximal sechs Wochen. Möglicherweise sei sie dann bereit, ein Gespräch mit dem Gutachter durchzuführen. Außerdem könne dieser durch Beobachtung Verhaltensauffälligkeiten prüfen.

Auf die Beschwerde ihres Verteidigers Fachanwalt Helmut Linck von der Kanzlei Ruisinger, Steiner, Remmele (Augsburg) musste sich das Landgericht Augsburg mit der Angelegenheit beschäftigen. Dieses bestätigte jedoch trotz der von RA Linck vorgebrachten Bedenken die Entscheidung des Amtsgerichts als geeignet und verhältnismäßig.


Erhebung einer Verfassungsbeschwerde

Da es kein weiteres Rechtsmittel gegen diese Entscheidung gab, nahm Rechtsanwalt Linck mit der Kanzlei Abamatus (Rechtsanwalt Thomas Hummel) Kontakt auf, um die Aussichten einer Verfassungsbeschwerde zu prüfen und das weitere Vorgehen zu planen. Nach eingehenden Besprechungen erhob RA Linck dann für seine Mandantin die Verfassungsbeschwerde.

Zudem wurde ein Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt, um die bevorstehende Verhaftung und Unterbringung der Mandantin zu verhindern.

Gerügt wurde ein Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG). Konkret bestehe die Gefahr, dass das Recht eines Beschuldigten, schweigen zu dürfen und sich selbst nicht belasten zu müssen, umgangen werde. Zudem drohe eine möglicherweise sinnlose Unterbringung für längere Zeit, der Verlust der Arbeitsstelle und in der Folge auch der Wohnung.


Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht schloss sich diesen Argumenten an. Da die Beschuldigte die Untersuchung verweigerte, sei ein Erkenntnisgewinn nur dadurch zu erwarten, dass Druck auf sie ausgeübt, doch noch auszusagen. Eine „Totalbeobachtung“, die die Betroffene zu einem Objekt staatlicher Überwachung degradiere, sei mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht unvereinbar.

Ob dies hier vorliegt, ist aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts noch nicht sicher, sondern muss erst im Hauptverfahren geklärt werden. Um eine möglicherweise nicht mehr gutzumachende Grundrechtsverletzung zu verhindern, hat es aber eine einstweilige Anordnung erlassen, um die Unterbringung auszusetzen.


Weiteres Verfahren

Diese Anordnung des Bundesverfassungsgerichts ist natürlich kein Freispruch. Die Beschuldigte bleibt aber auf freiem Fuß.

Das Strafverfahren kann nun in rechtsstaatlicher Weise weitergeführt werden, ohne dass zu befürchten ist, dass sich die Beschuldigte in der Ausnahmesituation einer wochenlang anhaltenden 24-Stunden-Überwachung in der Psychiatrie – möglicherweise zu Unrecht – selbst belastet.

Über die Verfassungsbeschwerde als solche wird das Bundesverfassungsgericht im Hauptverfahren entscheiden. Dies wird aber sicher noch einige Monate, vielleicht sogar Jahre dauern.

Dieser Fall zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, als Beschuldigter in einem Strafverfahren möglichst früh, also schon vor der mündlichen Hauptverhandlung, durch einen kompetenten und engagierten Strafverteidiger, ggf. auch mit verfassungsrechtlicher Unterstützung, vertreten zu werden.



Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Thomas Hummel

Beiträge zum Thema