Einschränkung der Notwehr bei provoziertem Angriff? Es kommt darauf an! (BGH, Beschl. v. 19.08.2020 – 1 StR 248/20)

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Bei körperlichen Auseinandersetzungen zwischen mindestens zwei Personen ist es nicht selten der Fall, dass sich eine Person zu dem Angriff provoziert fühlte. In der Praxis ist es ebenfalls nicht selten der Fall, dass sich dabei auch auf eine Notwehr berufen wird. Fallen die Umstände einer Provokation und einer Notwehr zusammen, stellt sich aus juristischer Sicht folgende Frage:

Darf sich derjenige, der den Angriff mit seinem Vorverhalten provoziert hat auch wirksam auf die Notwehr berufen?

Antwort:

Das Notwehrrecht ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dann eingeschränkt, wenn der Verteidiger gegenüber dem Angreifer ein pflichtwidriges Vorverhalten an den Tag gelegt hat, das bei vernünftiger Würdigung aller Umstände des Einzelfalls den folgenden Angriff als eine adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtverletzung des Angegriffenen erscheinen lässt. In einem solchen Fall muss der Verteidiger dem Angriff unter Umständen auszuweichen versuchen und darf zur lebensgefährlichen Trutzwehr nur übergehen, wenn andere Abwehrmöglichkeiten erschöpft oder mit Sicherheit aussichtslos sind. Die Einschränkung ist dann zu machen, wenn zwischen der Provokation und dem Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Ursachenzusammenhang besteht und die Provokation nach Kenntnis des Provozierenden dazu geeignet ist, den Angriff herauszufordern.

Der Fall:

In einem vom Bundesgerichtshof (BGH, Beschl. v. 19.08.2020 – 1 StR 248/20) entschiedenen Fall waren die durch eine verbale Auseinandersetzung erfolgten wechselseitige Beleidigungen nicht dazu geeignet, das Notwehrrecht des Angeklagten einzuschränken. Denn im Anschluss daran war es der Geschädigte, der den Angeklagten mit Beleidigungen dazu aufforderte, aus der S-Bahn auszusteigen um sich (einvernehmlich) körperlich auseinanderzusetzen. Es war der Geschädigte, der sich entgegen der zunächst ins Auge gefassten ausschließlich körperlichen Auseinandersetzung sichtbar mit einem Pfefferspray und einem Messer bewaffnete und damit maßgeblich für die Eskalation verantwortlich war. Von dem Angeklagten war in dieser Situation von Rechts wegen nicht zu fordern, vor dem Geschädigten zu fliehen. Allein die vorausgegangenen wechselseitigen Beleidigungen vermögen eine vorwerfbare Provokation des Angriffs gegen ihn mit Waffen bei einer lediglich erwarteten Prügelei nicht zu begründen. Mit dem Aufklappen und Vorzeigen des eigenen Messers hat der Angeklagte dem Geschädigten aufgezeigt, dass er sich wehren würde und zudem den möglichen Einsatz des Messers angedroht. Als der Geschädigte dem Angeklagten mit dem mitgeführten Pfefferspray ins Gesicht sprühte, setzte der Angeklagte das Messer unkontrolliert gegen den Geschädigten ein. Zu diesem Zeitpunkt war jegliche Einschränkung des Notwehrrechts des Angeklagten entfallen, da er neben dem Pfeffersprayeinsatz auch mit einem Messereinsatz rechnen musste. Des Weiteren bestand aufgrund der durch das Pfefferspray verursachen Sichtbehinderung keine erfolgsversprechende anderweitige Handlungsmöglichkeit, sich vor den unmittelbar bevorstehenden weiteren Angriffen des Geschädigten zu schützen.

 Empfehlung:

Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass man die Frage des eingeschränkten Notwehrrechts bei vorangegangen Provokationen nicht pauschal beantworten kann. Vielmehr komme es unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles auf die konkrete Situation und Gegebenheiten an.

Haben Sie eine Vorladung als Beschuldigter oder bereits einen Strafbefehl erhalten? Oder wurden Sie wegen Körperverletzung von der Staatsanwaltschaft angeklagt? Gern können Sie mich kontaktieren und gemeinsam mit mir eine interessengerechte sowie zielgerichtete Verteidigungsstrategie entwickeln. Ich stehe Ihnen verteidigend und rechtsberatend zur Seite.


Mit freundlichen Grüßen


André Rosner

Rechtsanwalt

Internet: www.anwalt-rosner.de

E-Mail: rosner@anwalt-rosner.de


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