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Wann liegt Notwehr vor und was ist zur Verteidigung erlaubt?

  • 5 Minuten Lesezeit
Wann liegt Notwehr vor und was ist zur Verteidigung erlaubt?

Der Tod eines Hamburger Austauschschülers hatte 2014 für Aufsehen gesorgt: In den USA hatte ein Mann den Jugendlichen in seiner Garage erschossen. Angeklagt wurde er wegen vorsätzlicher Tötung. Nach der Anklageverlesung hatte der Täter sich jedoch für nicht schuldig erklärt. Er habe in Notwehr gehandelt und berief sich auf das Recht im US-Staat Montana, das eigene Haus mit Waffengewalt zu verteidigen. Das verneinte die Staatsanwaltschaft aber in diesem Fall. 

Der Angeklagte habe es geradezu herausgefordert, dass jemand in seine Garage eindringe. Laut Anklage habe er das Garagentor offenstehen lassen, eine Handtasche als Köder platziert und den Raum mit Bewegungsmeldern, einem Babyfon und Video überwacht, um rechtzeitig reagieren zu können. Eine Situation, bei der auch hierzulande Notwehr schwer zu rechtfertigen wäre. An welche Voraussetzungen ist die Notwehr in Deutschland aber eigentlich geknüpft? 

Was ist Notwehr?

Bei Notwehr keine Bestrafung. Diesen Zusammenhang kennt fast jeder. Aber nicht jede Gegenwehr ist gleich Notwehr. Und Notwehr rechtfertigt auch nicht immer alle Mittel.

Entsprechend schnell fällt der Satz „Das war doch Notwehr“, wenn Beschuldigte sich für unschuldig halten. Der „Notwehrparagraph“ 32 des Strafgesetzbuches (StGB) sagt dazu: „Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“ Bedrängten hilft das im Ernstfall wenig. Was soll bitte erforderlich sein? Was ist ein gegenwärtiger Angriff? Und wie soll man wissen, ob dieser rechtswidrig ist? Fest steht: Es bedarf immer einer Notwehrlage und eines Notwehrwillens. 

Wann liegt eine Notwehrlage vor?

Eine Notwehrlage besteht bei einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff. Ein Beispiel: Sie gehen spazieren und plötzlich attackiert Sie jemand grundlos mit Fäusten. Das wäre bereits ein notwehrfähiger Angriff, weil er von einem Menschen ausgeht und dieser Sie zumindest verletzen könnte. Ob der Angreifer das wollte oder fahrlässig handelte, ist nicht entscheidend. Zumindest ist Ihre rechtlich geschützte Gesundheit bedroht. Denn Körperverletzung ist strafbar. Und gegen Beeinträchtigungen rechtlich geschützter Güter – kurz Rechtsgüter – soll man sich umfassend wehren dürfen. 

Die Notwehr kennt insoweit keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsgüter. Sie könnten etwa genauso gut bestohlen, beleidigt oder festgehalten werden. Ausgenommen sind lediglich Angriffe auf vorwiegend im Allgemeininteresse geschützte Rechtsgüter, z. B. die Straßenverkehrssicherheit. Die Verteidigung dieser sogenannten Kollektivrechtsgüter ist Sache des Staates. Dessen Gewaltmonopol beschränkt die Notwehr zudem auf gegenwärtige Angriffe. 

Der Angriff muss unmittelbar bevorstehen, gerade stattfinden oder noch andauern. Selbstjustiz soll nur eng begrenzt, solange eine unmittelbare Gefahr besteht, erlaubt sein. Sonst ist Justiz und Polizei zuständig. Das hieße hier: Sie dürften sich nur zwischen dem unmittelbaren Nähern des Angreifers – bei Angriff mit bloßen Händen bis auf wenige Meter – und bis dieser wieder von Ihnen abgelassen hat bzw. ablassen will, verteidigen. 

Die StGB-Verfasser wussten um die Extremlage. So bleibt nach § 33 StGB auch der straflos, der die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet. Waren dagegen Gefühle wie Wut und Kampfeslust maßgebend, ist dieser sogenannte Notwehrexzess strafbar. Das Ausnutzen einer Notwehrlage zu anderen Zwecken als der Verteidigung rechtlich geschützter Güter stellt keine Notwehr dar. So etwa, um es dem verhassten Nachbarn einfach einmal heimzuzahlen. 

Nicht zuletzt muss der Angriff rechtswidrig erfolgen. Der Angreifer darf seinerseits keine Rechtfertigungsgründe haben. Das schließt insbesondere Notwehr gegen Notwehr aus. Denn die Notwehr rechtfertigt gerade ein an und für sich strafbares Verhalten, das infolgedessen straffrei wird. 

Muss Notwehr verhältnismäßig sein?

Die Erforderlichkeit setzt der Verteidigungshandlung eine weitere Grenze. Ein Angegriffener muss zwar keine besondere Rücksicht auf den Angreifer nehmen. Die Abwehr muss im Einzelfall nur geeignet sein, den Angriff sofort zu beenden oder ihn wenigstens abzuschwächen, um dadurch die Gefahr endgültig abzuwenden. Entscheidend dafür ist die Sicht des Angegriffenen beim Angriff – nicht hingegen, was im Nachhinein besser gewesen wäre. Bei mehreren Verteidigungsmöglichkeiten muss der Verteidiger aber das mildeste, ebenso gut zur Abwehr geeignete Mittel wählen. Berechtigte Zweifel darüber gehen am Ende zulasten des Angreifers, der schließlich angefangen hat. 

Eine Pflicht wegzulaufen, gibt es nicht. Denn Recht muss dem Unrecht nicht weichen. Auch welche Rechtsgüter miteinander in Konflikt geraten ist nicht entscheidend – abgesehen von einem krassen Ungleichgewicht. Der Kirschendieb im Baum, den der Eigentümer des Baumes bei frischer Tat erschießt, ist ein bekanntes Beispiel für ein Ungleichgewicht, bei dem keine Notwehr mehr vorläge. 

Im Übrigen ist beim Einsatz lebensgefährlicher Waffen gegenüber unbewaffneten Angreifern Vorsicht angebracht. Obwohl sich niemand auf einen ungewissen Kampf einlassen muss, sollte außerhalb einer höchstbedrohlichen Lage erst mit der Waffe gedroht werden – bei Schusswaffen ist wenn möglich zunächst ein Warnschuss abzugeben. 

In allen Fällen ist ein Notwehrwille erforderlich – also die bewusste Verteidigung gegen die erkannte Rechtsverletzung. Die ebenfalls mögliche Notwehr für einen angegriffenen Dritten – die sogenannte Nothilfe – hat zu unterbleiben, wenn dieser sie nicht will. 

Neben dem Fall extremer Ungleichheit zwischen den betroffenen Rechtsgütern, gibt es weitere Fälle, in denen eine eingeschränkte Verteidigung geboten ist. So etwa bei bagatellhaften Angriffen insbesondere durch Kinder oder verwirrte Personen.  

Früher galt auch gegenüber Familienangehörigen und anderen nahestehenden Personen eine Einschränkung. Inzwischen ist diese davon abhängig, dass der Angriff sich nicht gegen die engere Beziehung oder mit deren Ausnutzen erfolgt. Opfer häuslicher Gewalt müssen diese somit nicht mehr als andere Angriffe erdulden. 

Notwehr nach vorheriger Provokation

Nicht zuletzt darf sich jemand, der die Notwehrlage selbst herbeigeführt hat, nur eingeschränkt verteidigen. So etwa bei einer vorherigen Provokation. Insbesondere wer einen Angriff bewusst herausgefordert hat, muss sich statt aktiv dann vorrangig passiv verteidigen und wenn möglich zurückweichen. Wer eine Notwehrlage bewusst herbeiführt, muss damit rechnen, dass das Gericht sein Notwehrrecht in einem Strafverfahren später nur eingeschränkt anerkennt. Ein Beispiel für eine solche Notwehrprovokation wäre gerade das Fallenstellen im Fall des getöteten Schülers aus Hamburg.  

Wer einen Einbrecher geradezu zum Diebstahl verleitet, um ihn dann unter Berufung auf Notwehr schwer zu verletzen oder gar zu töten, hat schlechte Karten. Unter diesen Umständen ist ein Provokateur zunächst zum Ausweichen verpflichtet. Gelingt das nicht oder ist das unmöglich, ist eine aktive Verteidigung zwar zulässig. Die Gegenwehr muss aber zurückhaltender ausfallen. Das gilt besonders in Hinblick auf den Schusswaffengebrauch. Nur wenn es keine Alternative dazu gab und der Angriff möglicherweise für einen tödlich ist, besteht eine Chance, dass ein Gericht in solch einer Situation noch Notwehr anerkennt.  

Im Fall des getöteten Schülers hätte der Täter die Polizei rufen können. Immerhin ist Missoula mit über 76.000 Einwohnern (Stand: 2022) die zweitgrößte Stadt Montanas, sodass diese schnell vor Ort gewesen wäre. Sein kühl kalkulierendes Verhalten, seine mutmaßliche Ankündigung, er werde Einbrecher niederschießen und das wilde Abfeuern mehrerer Kugeln in die Garage standen der Anerkennung einer Notwehrsituation daher entgegen. Das Gericht in Montana verurteilte den Angeklagten zu einer Haftstrafe von 70 Jahren.

(GUE)

Foto(s): ©Adobe Stock/guruXOX

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