Erwerbsminderungsrente bei Wegeunfähigkeit: Unzumutbarkeit der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln

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Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 17.12.2020 (Aktenzeichen: L 7 R 3817/19) entschieden, dass eine - zumindest befristete - Erwerbsminderungsrente wegen eingeschränkter Wegefähigkeit zu gewähren ist, wenn ein Versicherter nicht auf die Verwendung öffentlicher Nahverkehrsmittel verwiesen werden kann.

Eine (volle) Erwerbsminderung aufgrund eingeschränkter Wegefähigkeit liegt nach der Entscheidung vor, wenn der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann.

Das Landessozialgericht Baden Württemberg ging vorliegend davon aus, dass es der Klägerin nicht in zumutbarer Weise möglich war, eine Arbeitsstätte aufzusuchen. Bei der Klägerin bestand aufgrund einer Stuhlinkontinenz bei einer chronischen Darmerkrankung (Morbus Crohn) die Notwendigkeit, jederzeit eine Toilette aufsuchen zu müssen. Nach Auffassung des Senats konnte sie deshalb nicht auf die Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel verwiesen werden, da diese entweder gar keine Toiletten oder Toiletten nicht in quantitativ ausreichender und funktionell zuverlässiger Weise haben. Der Senat hat in dieser Entscheidung zutreffend noch darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit der Klägerin, eine Wegstrecke von 500 m zu Fuß zurückzulegen, für die Wegefähigkeit gerade nicht ausreicht, da das Zurücklegen einer solchen Wegstrecke nur dem Aufsuchen der nächsten Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel dient.

Da die Klägerin nicht über einen Führerschein verfügte, konnte sie auch nicht zumutbar auf die Nutzung eines Pkws verwiesen werden.

Fazit

Grundsätzlich wird eine Erwerbsminderungsrente gewährt, wenn ein Versicherter nur noch über ein eingeschränktes Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verfügt (vgl. § 43 SGB VI). Die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente kommt allerdings auch in Betracht, wenn ein Versicherter nicht mehr in der Lage ist, eine Arbeitsstelle zumutbar aufzusuchen. Dies deshalb, weil neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen gehört, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. In diesen Fällen ist dann eine volle Erwerbsminderung gegeben, obwohl der Versicherte noch in der Lage ist 6 Stunden täglich einer Tätigkeit nachzugehen.

Bitte beachten Sie, dass dieser Beitrag – für den wir keine Haftung übernehmen – eine Beratung im Einzelfall nicht ersetzen kann.

Alexander Seltmann
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Sozialrecht

Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart


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