Fristlose Änderungskündigung nur in Ausnahmefällen zulässig !

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Vorliegend hatte der Arbeitgeber einem langjährig bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer eine fristlose Änderungskündigung aus personenbedingten d.h. krankheitsbedingten Gründen ausgesprochen. Hinzu kam, dass der Arbeitnehmer aufgrund tariflicher Bestimmungen ordentlich unkündbar war.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (vgl. etwa Urteil des BAG vom 12.01.2006, Az. 2 AZR 242/05 veröffentlicht in: Juris) kann bei einem Ausschluss der ordentlichen Kündigung aufgrund tarifvertraglicher Vorschriften im Ausnahmefall auch eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommen, wobei dem betreffenden Arbeitnehmer dann jedoch eine soziale Auslauffrist zu gewähren ist, die der fiktiven Kündigungsfrist entspricht. Eine Krankheit bzw. eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist danach zwar als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB nicht grundsätzlich ungeeignet. An eine Kündigung wegen Erkrankung eines Arbeitnehmers ist allerdings schon bei einer ordentlichen Kündigung ein strenger Maßstab anzulegen, so dass nur in eng begrenzten Ausnahmefällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem kranken Arbeitnehmer für den Arbeitgeber im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar sein kann (vgl. Urteil des BAG vom 12.01.2006, Az. 2 AZR 242/05; Urteil des BAG vom 18.01.2001, Az. 2 AZR 616/99, beide veröffentlicht in: Juris). Ob eine Arbeitsunfähigkeit im Einzelfall einen wichtigen Kündigungsgrund darstellt, ist grundsätzlich nach § 626 Abs. 1 BGB zu beurteilen.

Demzufolge kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Ver-tragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündi-gungsfrist nicht zugemutet werden kann. Voraussetzung für eine fristlose Kündigung ist da-her zunächst das Vorliegen eines Sachverhaltes, der an sich objektiv geeignet ist, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Sodann müssen eine Einzelfallprüfung und eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass eine fristlose Kündigung nur dann wirksam ausgesprochen werden kann, wenn dem Kündigenden das Festhalten am Arbeitsverhältnis schlechthin nicht mehr zumutbar ist und andere Reaktionsmöglichkeiten nicht mehr in Betracht kommen (fristlose Kündigung als Ultima-Ratio).

Soweit eine außerordentliche Kündigung auf krankheitsbedingte Gründe gestützt werden soll, gilt grundsätzlich folgendes: Schon die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Im Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen (1. Stufe). Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten zu einer solchen Beeinträch-tigung führen (2. Stufe). Ist dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigung vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (3. Stufe).

Bei einer außerordentlichen Kündigung sind die Prüfungsmaßstäbe auf allen 3 Stufen erheblich strenger. Sie müssen den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an eine au-ßerordentliche Kündigung zu stellen sind, sowohl die prognostizierten Fehlzeiten als auch die sich aus ihnen ergebende Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen müssen deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen könnte. Es bedarf eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung (vgl. Urteil des BAG vom 23.01.2014, Az. 2 AZR 582/13; Urteil des BAG vom 25.04.2018, Az. 2 AZR 6/18, beide veröffentlicht in: Juris). Ein solches ist gegeben, wenn zu erwarten steht, dass der Arbeitgeber bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - gegebenenfalls über Jahre hinweg - erhebliche Entgeltzahlungen zu erbringen hätte, ohne dass dem eine nennenswerte Arbeitsleistung gegenüberstände. Auch können Häufigkeit und Dauer der krankheitsbedingten Fehlzeiten im Einzelfall dazu führen, dass ein Einsatz des Arbeitnehmers nicht mehr sinnvoll und verlässlich geplant werden kann und dieser damit zur Förderung des Betriebszweckes faktisch nicht mehr beiträgt. Die Aufrechterhaltung eines solchermaßen „sinnentleerten“ Arbeitsverhältnisses kann dem Arbeitgeber auch im Falle eines ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmers unzumutbar sein (vgl. Urteil des BAG vom 13.01.2014, Az. 2 AZR 582/13; Urteil des BAG vom 12.01.2006, Az. 2 AZR 242/05; Urteil des BAG vom 25.04.2018, Az. 2 AZR 6/18, alle veröffentlicht in: Juris). Gegebenenfalls ist im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen, ob die gravierende Äquivalenzstörung dem Arbeitgeber auf Dauer zuzumuten ist.

Auch bei einer Kündigung wegen einer Langzeiterkrankung oder wegen dauerhafter krank-heitsbedingter Leistungsunfähigkeit sind die Anforderungen an eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung höher als bei einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung, insbesondere hinsichtlich der anzustellenden Interessenabwägung.

Soweit bei einem ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmer in Ausnahmefällen die Voraussetzungen für eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung vorliegen und ein wichtiger Kündigungsgrund gegeben ist, hat der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung zwingend mit einer sozialen Auslauffrist auszusprechen, die der fiktiven ordentlichen Kün-digungsfrist entspricht. Wann eine krankheitsbedingte Kündigung bei einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer nur unter Einhaltung der Kündigungsfrist möglich ist, ist es schon zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs erforderlich, dass im Falle der außerordentlichen Kündigung eines „unkündbaren“ Arbeitnehmers eine Auslauffrist einzuhalten ist, welche der Dauer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entspricht. Ansonsten würde der an sich nicht kündbare Arbeitnehmer gegenüber dem kündbaren Arbeitnehmer benachteiligt (vgl. Urteil des BAG vom 25.04.2018, Az. 2 AZR 6/18, veröffentlicht in: Juris).

Maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung sind die ob-jektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Dies gilt somit auch für die Voraussetzungen einer (ordentlichen oder außerordentlichen) krankheitsbedingten Kündigung.
Die weiteren tatsächlichen Entwicklungen nach Ausspruch der Kündigung bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung bleiben regelmäßig unberücksichtigt und können nicht zur Bestätigung oder Korrektur der Prognose verwertet werden, ebenso wenig wie erst nach Zugang der Kündigung eingetretener Umstände (vgl. KR-Rachor, 13. Aufl., Rn. 349 und 393 zu § 1 KSchG; Urteil des BAG vom 21.02.2001, Az. 2 AZR 558/99, Rn. 20, veröffentlicht in: Juris), (vgl. insgesamt Urteil des LAG Sachsen-Anhalt vom 01.08.2019, Az. 2 Sa 213/17).

Mit Urteil vom 09.09.2022 schloss sich das Arbeitsgericht Halle der von uns, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vertretenen Rechtsauffassung an und erklärte die außerordentliche Änderungskündigung für unwirksam (vgl. Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 09.09.2022, Aktenzeichen: 6 Ca 1533/21). 

Der Arbeitsplatz des von uns vertretenen Arbeitnehmers konnte in unveränderter Form erhalten werden.

Sobald eine Änderungskündigung bzw. Beendigungskündigung auf dem Tisch liegt, sollte umgehend ein auf Arbeitsrecht spezialisierter Anwalt (z.B. Fachanwalt für Arbeitsrecht) aufgesucht werden, da nach §§ 2, 3 und 4 KSchG kurze Fristen (3-Wochen-Frist ab Zugang d.h. Empfang der Kündigung) zu beachten sind.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Heiko Posiege



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