Gefährliche Körperverletzung! Nein nicht die Schwere!

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In diesem Rechtstipp soll es weniger um einen Tipp gehen, sondern um eine Klarstellung: Ich bekomme immer wieder Anrufe von potentiellen Mandanten, die wegen einer schweren Körperverletzung nun ein Schreiben der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts bekommen haben und daher einen Anwalt suchen. Oft heißt es, dass der Gerichtstermin bevorstehe und sie jetzt einen Anwalt brauchen. 

Da werde ich dann hellhörig, weil ich ahne, das kann keine gefährliche Körperverletzung sein. Zwar kenne ich die Akte und das Schreiben noch nicht, aber in der Regel ist es doch eine gefährliche Körperverletzung. Da gibt es aber einen großen und wichtigen Unterschied!

Warum besteht also diese Verunsicherung, obwohl doch alles im Gesetz steht? Dieser Rechtstipp soll ein wenig Aufklärungs- und Bildungsarbeit leisten.


1. Körperverletzung nach §223 StGB

Fangen wir klein an. Der Grundtatbestand sowohl der gefährlichen Körperverletzung als auch der schweren Körperverletzung ist die sog. (einfache) Körperverletzung. In §223 StGB heißt es, wer eine andere Person an der Gesundheit beschädigt oder körperlich misshandelt wird bestraft. 

Eine Gesundheitsschädigung liegt vor, wenn ich den gesundheitlichen Normalzustand zum Nachteil der anderen Person verändere. Also z.B. eine funktionierende Atmung dadurch beeinträchtige, dass ich für kurze Zeit ein Kissen auf das Gesicht drücke (wir unterstellen mal, dass es wirklich nur ganz kurz sein sollte, also Tötungsabsichten außenvor bleiben). 

Eine körperliche Misshandlung liegt vor, wenn ich das körperliche Wohlbefinden einer anderen Person beeinträchtige. Das kann dann der Fall sein, wenn ich ihr eine Ohrfeige gebe. 

Als Faustregel kann man sich merken: Gesundheitsbeschädigung wirkt innerhalb, körperliche Misshandlung außerhalb des Körpers (das ist aber nur eine Faustregel). 

2. Die Qualifikation des §224 StGB

Nun zum Eingemachten: Die gefährliche Körperverletzung ist in §224 StGB geregelt. Sie stellt einen sog. Qualifikationstatbestand dar. Bei einem Qualifikationstatbestand schaut man sich an, ob der Grundtatbestand (§223 StGB) erfüllt ist. Kommen dann noch Merkmale dazu, die in dem Qualifikationstatbestand stehen, dann ist der auch erfüllt. Bei der gefährlichen Körperverletzung kommt es zur Qualifikation darauf an, WIE die Körperverletzung begangen wird. Es ist absolut egal, welche Folgen das Geschehen für das Opfer hat. Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Wenn ich einer Person mit meiner Faust auf die Nase schlage und diese dadurch breche, begehe ich eine einfache Körperverletzung nach §223 StGB. Wenn ich der Person mit einem Schlagring einen einzelnen Schlag auf die Nase versetze und ihr dadurch ebenfalls die Nase breche, begeh ich eine gefährliche Körperverletzung nach §224 Absatz 1 Nr. 2 StGB, weil der Schlagring ein gefährliches Werkzeug (vielleicht sogar eine Waffe) darstellt. In beiden Fällen ist die Verletzung des Opfers gleich. Es kommt also nicht darauf an, welche Verletzung das Opfer erleidet. Nur die Art und Weise der Begehung ist entscheidend.

Nach meiner Erfahrung sind die häufigsten Qualifikationstatbestände, wenn die Körperverletzung Nach Nr. 2, Nr. 4 und Nr. 5 begangen wird. Die beiden anderen kommen nach meiner Erfahrung eher selten vor. 


3. Die schwere Körperverletzung

Anders als bei der gefährlichen Körperverletzung (§224 StGB) handelt es sich bei der schweren Körperverletzung (§226 StGB) um eine sog. Erfolgsqualifikation. Bei einem solchen Delikt muss sich die Körperverletzung in ihrer Schwere (der Jurist spricht von Qualität) so sehr vom Grunddelikt unterscheiden, dass man das höher bestrafen muss. Es kommt also nicht darauf an, wie die Körperverletzung begangen wird, sondern welche Folgen sie für das Opfer hat. 

Auch hier ein Beispiel: Ich Schlage einer Person mit der Faust zweimal aufs Auge, sie hat ein blaues Auge und einige Tage Schmerzen am selbigen. Alles heilt nach wenigen Wochen ab. Ich habe eine einfache Körperverletzung begangen. Wenn ich nun aber zweimal so stark auf das Auge schlage, dass ich dadurch das Erblinden dieses Auges hervorrufe, dann habe ich (Vorsatz vorausgesetzt) eine schwere Körperverletzung begangen. Die Art und Weise der Begehung ist dieselbe, aber die Folgen für das Opfer sind massiv anders. 

Ich selbst hatte nur wenige dieser Fälle, kann aber aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen sagen, dass wohl der §226 Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB die gängigen Folgen sein sollen. 


4. Warum ist diese Unterscheidung wichtig? 

Nun könnte man ja sagen, das ist ja Jacke wie Hose. Aber nein! Die Frage, nach welcher der beiden Normen die Anklage erfolgt, ist für einen Angeklagten von sehr hoher Bedeutung. 

Das hat einerseits mit den Strafrahmen zu tun: Bei §224 StGB geht es bei 6 Monaten los, bei §226 StGB bei einem Jahr. Beide laufen bis 10 Jahre. Da es sich bei §226 StGB um einen Verbrechenstatbestand handelt (Freiheitsstrafe ab einem Jahr) steht ihnen ein Pflichtverteidiger nach §140 StPO zu, was bei §224 StGB nicht der Fall ist (es kann sein, muss aber nicht zwingend). 

Weiterhin ist zu beachten, welches Gericht zuständig ist. Bei §224 StGB wird wahrscheinlich beim Strafrichter oder dem Schöffengericht angeklagt werden (wenn es keine besonderen Konstellationen in der Akte gibt). Diese dürfen nur bis zu 4 Jahren Freiheitsstrafe ausurteilen. Das heißt, bei 4 Jahren ist Schluss. Bei §226 StGB, ist die Gefahr größer, dass beim Landgericht angeklagt wird (Zwar ist auch hier das Schöffengericht denkbar, aber die Gefahr ist höher). Das Landgericht kann die vollen 10 Jahre ausurteilen. Also ist auch die tatsächlich zu erwartende Strafe maßgeblich davon abhängig, ob §224 StGB oder §226 StGB angeklagt werden.

Dazu kommt, dass sie bei §226 StGB weniger Möglichkeiten haben, das Verfahren ohne Gerichtsverhandlung zu beenden, als bei §224 StGB. Außerdem ist es auch für einen Schmerzensgeldanspruch wichtig, welche Verletzungen das Opfer davongetragen hat. Da ist es ungünstig, wenn man einer Person einen Finge abhackt, als wenn man ihr "nur" mit einem Baseballschläger auf denselben haut und diesen "nur" bricht.  

Der Anwalt muss sich auch eine andere Verteidigungsstrategie überlegen, wenn es um §226 StGB geht. Das hat einerseits mit der Frage der Rechtsmittel zu tun, als auch damit, dass hier bei einem Jahr angesetzt wird, ist der Raum bis zu einer Bewährung kleiner (diese darf nur bei Strafen bis maximal 2 Jahren gewährt werden). Daher muss hier viel genauer auf diese Frist geachtet werden als bei einer gefährlichen Körperverletzung. 

5. Fazit

Auch wenn es für sie dasselbe sein sollte, spätestens, wenn sie die Strafe bekommen, werden sie den Unterschied merken. Ihr Anwalt merkt das sofort und muss bei einer schweren Körperverletzung ganz andere Gedanken entwickeln als bei einer gefährlichen Körperverletzung.

Dieser kleine Einblick hat hoffentlich dazu beigetragen, dass der Unterschied deutlicher wird. Wenn sie also das nächste Mal ihrem Anwalt von einer Körperverletzung berichten, helfen sie ihm und verwenden die korrekte Norm. Nur dann kann er sie richtig beraten und alle Schritte einleiten, um das beste Ergebnis für sie zu erzielen. 


(Dieser Rechtstipp ist ein grober und unvollständiger Überblick über ein kleines Rechtsgebiet. Der Autor hat lediglich Grundsätze und allgemeine Hinweise weitergegeben! Daher können Details ihres Falles, die dem Autor nicht bekannt sind, zu einer anderen Einschätzung führen. Es kann keine Gewähr dafür übernommen werden, dass die Rechtslage und die Rechtsprechung dauerhaft unverändert bleiben. Daher gilt: Je älter dieser Rechtstipp ist, mit desto mehr Vorsicht ist er zu genießen. Ich rate davon ab, ohne Rechtsberatung durch einen Anwalt, der sich mit ihrem Fall auskennt, nur auf Grundlage dieses Rechtstipps zu handeln.)


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