Höhere Gewalt bei internationalen Verträgen: allgemeine Hinweise und Empfehlungen

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Welche rechtlichen Auswirkungen hat der Begriff der „höheren Gewalt“ auf die Erfüllungspflicht der Verträge? Was muss für die Geltendmachung der höheren Gewalt beachtet werden? Unterschiede zwischen Auflösung, Aussetzung und Neuverhandlung des Vertrages.

Inhalt: 1. Coronavirus und höhere Gewalt: Vorbemerkung. – 2. Definition „höhere Gewalt“ und Coronavirus: Achtung auf die vertraglichen Begriffe. – 3. Die Mitteilung der Ursache der höheren Gewalt. – 4. Auswirkungen der höheren Gewalt und Abwicklung der Verträge. Auflösung des Vertrages. Aussetzung. Neuverhandlung.

1. Coronavirus und höhere Gewalt: Vorbemerkung

Nachdem festgestellt wurde, dass sich die wirtschaftlichen Einschränkungen auf die Ausführung von Verträgen auswirken und die eigene vertragliche Leistung unmöglich machen, ist es in erster Linie ratsam, den Vertrag nach Klauseln zu durchsuchen, welche das Szenario der höheren Gewalt regeln. In jedem Fall gelten auch folgende Erläuterungen.

Das international anerkannte Rechtsprinzip „pacta sunt servanda“, wonach die vertraglichen Verpflichtungen von allen Parteien erfüllt werden müssen, gilt im Normalfall. Das Eintreten einer höheren Gewalt entspricht nicht dem Normalfall und erlaubt es somit einer Partei, sich von der vertraglichen Leistung gänzlich oder teilweise zu befreien, ohne damit einen Vertragsbruch zu begehen und Schadensersatz leisten zu müssen.

Die Definition der höheren Gewalt ist jedoch nicht in jeder Rechtsordnung dieselbe. Das italienische Recht versteht darunter jegliche Ursache, welche eine Erfüllung der vertraglichen Leistung unmöglich macht und nicht dem Schuldner zuzuschreiben ist (Art. 1256, Abs. 1, ZGB). Im chinesischen Recht spricht man hingegen von einer objektiven Situation, welche unvorhersehbar, unvermeidbar und unüberbrückbar ist (Art. 117, Vertragsgesetz der VR China).

Für das Wiener Übereinkommen über den internationalen Warenkauf, welches von nahezu 100 Staaten ratifiziert wurde, besteht die höhere Gewalt nach Art. 79 in einem Hinderungsgrund, der außerhalb des Einflussbereiches einer Vertragspartei steht, vernünftigerweise zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht erwartet werden konnte sowie unvermeidbar und nicht überbrückbar ist.

Aber Vorsicht! Falls ein Vertragsverhältnis ausschließlich dem US-amerikanischen oder englischem Recht unterworfen ist, kann die höhere Gewalt nur dann geltend gemacht werden, wenn dies im Vertrag ausdrücklich vorgesehen ist und die Anwendbarkeit des Wiener Übereinkommens explizit ausgeschlossen ist. Zusätzlich spricht man dort nicht von höherer Gewalt, sondern von „frustration“ und „impracticability“, was enger als „höhere Gewalt“ ausgelegt wird.

2. Definition „höhere Gewalt“ und Coronavirus: Achtung auf die vertraglichen Begriffe

In der Praxis definieren internationale Verträge folgende Vorkommnisse als „höhere Gewalt“: Epidemien, Naturkatastrophen, Kriege, Aufstände und hoheitliche Verwaltungsakte (z. B. Embargo). Vorkommnisse wie Streiks, Lieferengpässe, Rohstoffkrisen oder Transportprobleme sind normalerweise davon ausgenommen.

Für den Ausschluss der vertraglichen Verantwortung bei solchen Ereignissen (ergo, um keinen Schadenersatz leisten zu müssen), ist es laut den internationalen Vertragsklauseln in der Regel nötig, dass die Leistung durch das Vorkommnis gänzlich oder teilweise unmöglich gemacht wird. Einige Klauseln regeln auch Situationen, die eine übermäßige Belastung einer der Vertragsleistungen mit sich bringen (s. g. Hardship-Klauseln). In jedem Fall sind Ereignisse ausgeschlossen, welche eine Leistung „lediglich“ erschweren.

Um den Ersatz des Schadens auszuschließen, ist es in Zeiten des Coronavirus also nötig, dass die Beschränkungsmaßnahmen der staatlichen Behörden die vertragliche Leistung konkret beeinträchtigen und somit die vertragliche Verantwortung für Nichterfüllung ausschließen.

Hierfür ist eine genaue Vertiefung der vertraglichen Klauseln unerlässlich!

3. Die Mitteilung der Ursache der höheren Gewalt

Um eine höhere Gewalt korrekt geltend zu machen, schreiben die internationalen Verträge sowie diverse staatliche Gesetze vor, dass die betroffene Vertragspartei die Unmöglichkeit der Leistungserbringung aufgrund höherer Gewalt der anderen Vertragspartei zeitnah mitteilen muss. In der Mitteilung muss auch der konkrete Beweis für die höhere Gewalt erbracht werden.

Eine selbst verschuldete, verspätete Mitteilung führt dazu, dass die höhere Gewalt nicht geltend gemacht werden kann. Allerdings muss der Schaden in diesem Fall nur bis zum Zeitpunkt der Mittelung ersetzt werden.

Um einer Schadenersatzforderung zu entgehen, ist eine sofortige, transparente und wahrheitsgetreue Mitteilung an den Vertragspartner in jedem Fall unerlässlich.

4. Auswirkungen der höheren Gewalt und Abwicklung der Verträge. Auflösung des Vertrages. Aussetzung. Neuverhandlung.

Die Auflösung des Vertrages verläuft in internationalen Verträgen zwar nicht automatisch, wird allerdings unausweichlich, wenn die eigene Leistung aufgrund höherer Gewalt unmöglich oder unausführbar wird. Einige internationale Verträge sehen zudem vor, dass der Vertrag nach Mitteilung des Grundes der höheren Gewalt automatisch aufgelöst ist.

Nach der Auflösung kann der Vertragspartner keinen Schadenersatz für die Unmöglichkeit oder die übermäßige Erschwernis der Vertragsleistung aufgrund höherer Gewalt geltend machen. Davon ausgenommen ist natürlich der Schadenersatz für andere Gründe oder für eine verspätete Mitteilung des Hindernisses der höheren Gewalt.

Der Vertragspartner muss nach der Vertragsauflösung allerdings auch die eigene Leistung nicht mehr erbringen und kann das bereits Erbrachte zurückverlangen. Falls sich die oben genannte Unmöglichkeit nur auf einen Teil der vertraglichen Leistung bezieht, hat der Vertragspartner das Recht auf eine anteilsmäßige Reduzierung des Ausmaßes der eigenen Leistung. Diese Rückgabekriterien finden sich oft in internationalen Verträgen wieder.

Wenn bei bestimmten Verträgen die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses im vordergründigen Interesse liegt, so ist die Aussetzung der vertraglichen Verpflichtungen sinnvoller und auch oft im Vertrag vorgesehen. Die dafür anfallenden Spesen werden im Falle höherer Gewalt i. d. R. von jedem Vertragspartner selbst getragen. Viele Verträge und Rechtsordnungen sehen zudem vor, dass der Vertrag nach einer bestimmten Zeit aufgelöst oder neu verhandelt werden muss.

In jeglichem Zweifelsfall kann eine Neuverhandlung der vertraglichen Bedingungen die beste Lösung für alle Seiten darstellen. Hier können neue Lieferfristen bestimmt werden, eine Verlängerung der Vertragsdauer oder in komplizierten Fällen die gegenseitigen Leistungen neu aufeinander abgestimmt werden.

Abschließend kann somit festgestellt werden, dass die verschiedenen Rechtsordnungen sowie die vertragliche Praxis der höheren Gewalt Rechnung tragen und somit ungerechtfertigte Schadenersatzforderungen ausschließen. In jedem Fall ist große Sorgfalt im Umgang mit der vertraglichen Krise walten zu lassen. Ebenfalls ist eine loyale und transparente Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern unerlässlich, auch um unnötige weitere Schäden beim Vertragspartner zu vermeiden (und potenziell unnötige und kostspielige Streitverfahren).



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