Kein Primärrechtsschutz bei Vergabe unterhalb der EU-Schwellenwerte – Bieter dennoch nicht schutzlos

  • 3 Minuten Lesezeit

Wichtige Weichensteller für Vergabeverfahren sind die EU-Schwellenwerte. Nur für Aufträge, die diese Werte überschreiten, gilt ein sogenannter Primärrechtsschutz. Weil das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf ihn einem Unternehmen auch bei einer Vergabe unterhalb des Schwellenwerts gewährte, sorgte es für einiges Aufsehen. Wie ist die Entscheidung zu bewerten?

Gesellschaft beruft sich auf Primärrechtschutz

Im Fall vor dem OLG Düsseldorf ging es um die Überlassung einer städtischen Fläche an einen Förderverein zur Nutzung (Beschluss v. 13.12.2017, Az.: I-27 U 25/17). Der Verein sollte das Grundstück mit Freizeitanlagen wie einer Minigolfanlage und Beachvolleyballfeldern ausstatten und der Öffentlichkeit im Wesentlichen unentgeltlich zur Verfügung stellen. Dagegen wandte sich eine österreichische Gesellschaft. Aus ihrer Sicht hätte die Stadt ein Vergabeverfahren durchführen müssen. 

Stadt und Förderverein hatten den Vertrag jedoch bereits unterzeichnet. Die Gesellschaft machte Primärrechtsschutz nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geltend. Diesen Schutz sieht das Vergaberecht allerdings nur vor, wenn es sich um eine Vergabe oberhalb der Schwellenwerte handelt. Und das war hier gerade nicht der Fall. Die Schwellenwerte liegen seit Jahresbeginn 2018 bei 5.548.000 Euro netto für Bauaufträge und bei 221.000 Euro netto für Liefer- und Dienstleistungsaufträge.

Gesetzliche Informations- und Wartepflicht

Bei einer Oberschwellenvergabe darf ein öffentlicher Auftraggeber einen Vertrag erst nach Ablauf einer Wartefrist schließen. Gemäß § 134 GWB beträgt diese Frist 15 Kalendertage. Sie beginnt am Tag, nachdem der Auftraggeber die vorgeschriebene Information an unterlegene Bieter abgesendet hat. Sofern die Information per E-Mail oder Fax erfolgt, sind es immerhin 10 Kalendertage.

Vertrag über Auftrag möglicherweise unwirksam

Verstößt der Auftraggeber gegen die Informations- und Wartepflicht des § 134 GWB, kann der Vertrag gemäß § 135 GWB unwirksam sein. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass ein betroffener Bieter das innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Information der betroffenen Bieter und Bewerber durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht hat. 

Bei einer Bekanntgabe der Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union endet die Frist bereits 30 Kalendertage nach deren Veröffentlichung. In dieser Zeit können nicht berücksichtigte Bieter einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer stellen.

Ungeschriebenes Gesetz aus Gleichbehandlungsgrundsatz

Doch gibt es entsprechende Rechte und Pflichten für nicht berücksichtigte Bieter auch im Falle einer Unterschwellenvergabe? Davon ging jedenfalls das OLG Düsseldorf aus. Eine entsprechende Informations- und Wartepflicht gebiete der in Art. 3 Grundgesetz verankerte Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein ohne Information und Abwarten geschlossener Vertrag verstoße sonst gegen ein ungeschriebenes Gesetz. Dabei zog es Vergleiche zu der Besetzung von Beamten- und Richterstellen, bei denen es eine Informations- und Wartepflicht gebe.

Diese Rechtsansicht erklärte das OLG allerdings in einem sogenannten „obiter dictum“. Ein Gericht drückt darin etwas aus, auf das es für die Begründung der zugrundeliegenden Entscheidung zwar nicht ankommt. Da die Gesellschaft kein eigenes Interesse am Vertrag geltend machen konnte, scheiterte sie mit ihrer Berufung. Mit einem „obiter dictum“ möchten Richter aber die Gelegenheit zur Äußerung nutzen, da sie einen Fall ohnehin gerade verhandeln.

Kein Präzedenzfall geschaffen

Selbst wenn die Gesellschaft ein entsprechendes Interesse glaubhaft gemacht hätte, hätte die Entscheidung zum Primärrechtsschutz bei der Unterschwellenvergabe kaum Aussicht darauf gehabt, zum Maßstab für die weitere Rechtsprechung zu werden. Dafür spricht die sowohl durch das Gesetz als auch durch Rechtsprechung eindeutig geprägte Rechtslage. 

So sieht insbesondere das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bei der Unterschwellenvergabe keinen Anlass für einen gleichwertigen Primärrechtsschutz wie bei der Oberschwellenvergabe (Beschluss v. 13.06.2006, Az.: 1 BvR 1160/03). Damit kann bei der Unterschwellenvergabe Primärrechtsschutz weiterhin nur im Wege des Erlasses einer einstweiligen Verfügung erlangt werden, was jedoch eine rechtzeitige Information über die beabsichtigte Zuschlagserteilung voraussetzt. Diese Informationspflicht besteht nicht in allen Bundesländern. Gleichwohl sollten Auftraggeber die Entscheidung des OLG zum Anlass nehmen, zu erwägen, Aufträge auch im Unterschwellenbereich nicht ohne vorherige Bieterinformation und Einhaltung einer angemessenen Wartefrist zu vergeben.

Unterlegene Bieter haben im Rahmen der Unterschwellenvergabe immer noch die Möglichkeit, Sekundärrechtsschutz und damit Schadensersatz geltend zu machen. Auch hier kommt es darauf an, Vergaberechtsverstöße richtig vorzubringen. Benachteiligte Bieter sollten sich dazu in jedem Fall möglichst frühzeitig an einen im Vergaberecht erfahrenen Rechtsanwalt wenden.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Fachanwalt und Notar Eike-Heinrich Duhme

Beiträge zum Thema